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HEGEMONIE/1759: Länderfinanzausgleich stört den europäischen Wettbewerbsstaat (SB)




Mit der Verfassungsklage der Landesregierungen Bayerns und Hessens gegen den Länderfinanzausgleich wird ein Projekt neoliberaler Standortpolitik aufgegriffen, dessen Geschichte so alt ist wie die Klage über die unzureichende Wettbewerbsfähigkeit, die sich aus den Ausgleichsleistungen der sozialen und föderalen Solidarsysteme ergebe. Schon in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre forderten der damalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel und der FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff eine Steuerautonomie für die Länder und eine Einschränkung des Finanzausgleichs, um die Konkurrenz zwischen ihnen zu schüren und der Ausgabenpolitik der Landesregierungen engere Grenzen zu setzen. Daß Henkel heute mit einer rechten EU-Kritik von sich reden macht, die auf die Trennung des Euro in eine "harte" Nord- und "weiche" Südwährung abzielt, dient nicht minder dem Versuch, Wettbewerbsfähigkeit über alles zu stellen.

Im Oktober 2004 prangerte der damalige Bundespräsident Horst Köhler den Länderfinanzausgleich als eine auf staatlichen Subventionen beruhende Form der egoistischen Versorgungsmoral an. Man müsse sich in Deutschland mit unterschiedlichen ökonomischen Niveaus abfinden und staatliche Subventionen für entwicklungsschwache Regionen weiter abbauen, forderte der Inhaber des höchsten politischen Amts der Bundesrepublik. Köhler hatte als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium den neoliberalen Charakter des Vertrags von Maastricht maßgeblich mitgeprägt und mit der finanzpolitischen Flankierung des Anschlusses der DDR an die BRD für ein innerdeutsches Produktivitätsgefälle gesorgt, das beste Voraussetzungen für die Senkung von Lohnkosten und Sozialleistungen zugunsten der Verwertungsinteressen des Kapitals bot. Um nichts anderes ging es ihm auch bei dieser Forderung.

Mit seinem Angriff auf den föderalen Ausgleich zwischen den Bundesländern stellte er ein konstitutives Element der grundgesetzlich gewährten Herstellung einer gleichmäßigen sozialen Entwicklung der Bundesrepublik in Frage. So wird dem Bund im Verhältnis zu den Ländern Vorrang im Gesetzgebungsrecht zugewiesen, "wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht" (Art. 72 Abs. 2 GG). Auch gilt für das Erheben von Steuern, daß die Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder so aufeinander abzustimmen seien, "daß ein billiger Ausgleich erzielt, eine Überbelastung der Steuerpflichtigen vermieden und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt wird" (Art. 106 Abs. 3 Ziff. 2 GG). In beiden Fällen betont der Gesetzgeber sein Interesse an der staatlichen Einheit der Bundesrepublik, die durch extreme soziale Unterschiede auf die Dauer gefährdet wäre, weil diese nicht nur den sozialen Frieden, sondern auch die territoriale Integrität durch das Aufkommen sezessionistischer Bewegungen bedrohten.

Um die Krise des Kapitals durch eine Verschärfung des Wettbewerbs zwischen den Verkäufern ihrer Arbeitskraft und den regionalen Wirtschaftsstandorten aufzufangen, sollen die Profitrate schmälernde Lohnkosten, Sozialabgaben, Unternehmens- wie Kapitalsteuern und Umweltauflagen gesenkt werden. Das Aufbrechen der Flächentarifverträge zugunsten einzelbetrieblicher Lohnverhandlungen dient diesem Ziel ebenso wie die Zerschlagung der sozialstaatlichen Überlebensgarantien und der Strukturen des finanziellen Ausgleichs zwischen den Gebietskörperschaften. Um dieser Entwicklung noch entgegenstehende Formen demokratischer Einflußnahme zu umschiffen, wird der Weg über die suprastaatliche Ebene EU-administrativer Regulation genommen, wie die Bevormundung nationaler und regionaler Haushaltsplanungen durch Fiskalpakt und Schuldenbremse belegt.

So drückt sich in der EU-politisch geförderten Regionalisierung europäischer Verwaltungs- und Wirtschaftsstrukturen das Interesse daran aus, den Standortwettbewerb so zu vereinheitlichen, daß hoheitliche Rechtsakte der Mitgliedstaaten als auch landes- und kommunalpolitische Regelungen immer weniger dazu in der Lage sind, eine Durchsetzung des Marktprimats zu verhindern, die die ökonomisch schwächsten wie stärksten Regionen im direkten Wettbewerb gegeneinander stellt. Dem entspricht auch das Drängen der Bundesregierung auf die europaweite Etablierung eines Workfare-Regimes nach Vorbild der Agenda 2010. Je prekärer die Lebensbedingungen der Menschen werden, desto leichter läßt sich ihre auf Angst und Zwang beruhende Maßregelung zur Akzeptanz jeder nur erdenklichen Zumutung versorgungs- wie arbeitstechnischer Art durchsetzen.

Insofern handelt es sich beim Einlegen einer Verfassungsbeschwerde durch Bayern und Hessen gegen den Länderfinanzausgleich keineswegs um eine bloße Wahlkampfstrategie. Zwar wird in beiden Ländern im Herbst parallel zur Bundestagswahl gewählt, doch zielt der Ausstieg aus einem weiteren Solidarsystem der Bundesrepublik auf ihre Integration in den EU-europäischen Wettbewerbsstaat ab. Dessen territoriale Gliederung orientiert sich vor allem an der ökonomischen Leistungsfähigkeit der jeweiligen Region, die als eigenständiges Marktsubjekt und lokaler Staat in erster Linie dafür zuständig ist, ihre Attraktivität für Kapitalinvestoren zu erhöhen. Darüber hinausgehende Regelungs- und Exekutivkompetenzen, die etwa die Befriedung innerer Widersprüche durch staatliche Gewaltorgane oder die Stärkung der EU als globaler Wirtschaftsakteur betreffen, sollen zwecks größerer Effizienz auf supranationaler Ebene gebündelt und vereinheitlicht werden.

So dient der Rückbau der Gesetzgebungskompetenz der EU-Mitgliedstaaten nur bedingt der Entschärfung einer nationalstaatlichen Souveränität, die schon häufig Ausgangspunkt nationalchauvinistischer Aggression war. Zu befürchten ist vielmehr, daß die damit vorangetriebene Kapitalverwertung auf die höhere Ebene EU-europäischer Administrativgewalt verlagert und in deren relativer Unerreichbarkeit zu neuen Qualitäten sozialstrategischer Repression und Ermächtigung ausgebaut wird. So wird der ohnehin geringen Möglichkeit, dieser Entwicklung über die demokratische Einflußnahme auf die eigenen Regierungen entgegenzutreten, auch durch die Regionalisierung der Europäischen Union das Wasser abgegraben. Diese Entwicklung mit der Behauptung zu legitimieren, sie führe zur größeren Selbstbestimmung der Bevölkerungen im Rahmen ihrer lokalen und kommunalen Organisation, erweist sich mithin als Täuschungsmanöver von erheblicher Blendwirkung.

25. März 2013