Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

HEGEMONIE/1769: EU-imperialistische Weichenstellung in der Ukraine (SB)




Im Mai 2013 stattete eine Delegation der ukrainischen Partei Swoboda der NPD-Fraktion des Sächsischen Landtags einen Besuch ab. Ein Foto zeigt den damaligen NPD-Vorsitzenden Holger Apfel in trauter Eintracht mit dem Swoboda-Abgeordneten Mychajlo Holowko. Nur wenige Wochen zuvor hatte der deutsche Botschafter in Kiew den Swoboda-Fraktionsvorsitzenden und -Parteivorsitzenden, Oleh Tjahnybok, getroffen und dabei laut der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke im Bundestag [1] unterstrichen, "dass antisemitische Äußerungen aus deutscher Sicht inakzeptabel seien". Um dies zu wissen, mußte Tjahnybok nicht eigens den deutschen Botschafter konsultieren. Dieser wiederum hatte offensichtlich Anlaß zu dieser Äußerung, was belegt, daß andere Interessen im Spiel waren.

Tjahnyboks rassistische und antisemitische Positionen sind allgemein bekannt und haben den Jüdischen Weltkongreß im Mai 2013 veranlaßt, ein Verbot der Partei zu fordern. Swoboda verehrt den ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera, dem angelastet wird, noch vor Einmarsch von Wehrmacht und SS in der westukrainischen Stadt Lemberg ein Massaker an Juden und Kommunisten angerichtet zu haben, dem 7000 Menschen zum Opfer fielen. Während der bei der orangenen Revolution 2004 politisch aufgestiegene Wiktor Juschtschenko Bandera während seiner Präsidentschaft 2010 unter Protest zahlreicher internationaler Opferverbände wie des EU-Parlaments den Titel "Held der Ukraine" verlieh, machte sein Nachfolger Janukowitsch diesen Schritt rückgängig.

Seit Swoboda mit der Ukrainischen Demokratische Allianz für Reformen (UDAR) Vitali Klitschkos und der Partei Vaterland Julia Timoschenkos ein Oppositionsbündnis bildet, wird die mit über 10 Prozent bei den Parlamentswahlen 2012 erfolgreiche neofaschistische Organisation Swoboda, die unter anderem die Todestrafe für antiukrainische Aktivitäten fordert, allen früheren Distanzierungen zum Trotz von Politikern der EU wie USA umworben. Für den EU-Botschafter Jan Tombinski handelt es sich laut Interview mit dem Focus vom 21. Dezember 2013 um einen "gleichwertigen Partner für Gespräche mit der EU". Das EU-Parlament hatte ein Jahr zuvor noch in einer Entschließung daran erinnert, "dass rassistische, antisemitische und ausländerfeindliche Auffassungen im Widerspruch zu den Grundwerten und Grundsätzen der EU stehen" [2], und an die anderen im Kiewer Parlament vertretenen Parteien appelliert, nicht mit Swoboda zu koalieren oder zusammenzuarbeiten.

Obwohl schon im Dezember eine starke Beteiligung neofaschistischer Demonstranten an den Protesten auf dem Maidan bekannt war und der von der Konrad-Adenauer-Stiftung geförderte Klitschko stets Einigkeit mit Arseni Jazenjuk von Vaterland sowie Tjahnybok von Swoboda demonstrierte, traten die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton, der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des EU-Parlaments, Elmar Brok, die Grünen-EU-Abgeordnete Rebecca Harms, der Grünen-Parteichef Cem Özdemir und der damalige deutsche Außenminister Guido Westerwelle in Unterstützung der Oppositionskräfte auf dem Platz auf. US-Senator John McCain speiste mit ihren führenden Politikern, darunter auch Tjahnybok, und sicherte ihnen Unterstützung aus aller Welt zu. Die Bild-Zeitung überschrieb den Bericht über seinen Besuch mit einem Zitat Elmar Broks, der auf dem Maidan "eine Stimmung wie vor der deutschen Wiedervereinigung" ausmachte, und erklärte, daß McCain Deutschland für eine führende Rolle bei der Lösung der Krise in der Ukraine empfehle [3].

Auch nach den Ereignissen der letzten Woche, in der zahlreichen Berichten zufolge insbesondere die Mitglieder Swobodas und anderer neofaschistischer Gruppierungen die Polizei mit aggressivsten Mitteln attackierten, wird dem amtierenden ukrainischen Präsidenten in Medien und Politik der Bundesrepublik die Verantwortung für die Eskalation angelastet. Der Sprecher der US-Regierung behauptete trotz des umfassenden Bild- und Videomaterials, das den Einsatz potentiell tödlicher Mittel durch Demonstranten in Kiew belegt, daß die ukranische Oppositionsbewegung sich an das Prinzip der Gewaltfreiheit gehalten habe.

Derweil bringen EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, EU-Kommissionschef José Manuel Barroso und die stärkste Fraktion im EU-Parlament, die Europäische Volkspartei, mögliche Sanktionen gegen die Ukraine ins Spiel. Dies ist als Drohung an die Adresse der Bevölkerung, deren materielle Not bei weiterer Verweigerung der Annäherung an die EU zu vergrößern, unmißverständlich. Daß EU und IWF zahlreiche sozialfeindliche Maßnahmen im Gepäck haben, um die Ukraine "wettbewerbsfähig" zu machen, sprich auf noch lukrativere Weise als bisher für ausländische Direktinvestitionen und Kredite zu erschließen, wird der Bevölkerung eher verschwiegen.

Barroso habe sich in einem Telefongespräch am Donnerstag von Janukowitsch zusagen lassen, keinen Ausnahmezustand mit weitgehenden Befugnissen für Polizei und Armee über das Land zu verhängen [4]. Ein bemerkenswertes Zugeständnis in Anbetracht einer Lage, in der ein Bürgerkrieg droht, wie Äußerungen der Oppositionsführer belegen. Daß Klitschko dem Präsidenten am Donnerstag damit drohte, bei Nichterfüllung der Forderungen der Opposition "anzugreifen", und Jazenjuk von der Partei Vaterland vollmundig erklärte, die Regierungsgegner würden auch eine "Kugel in den Kopf" nicht fürchten, denn ihr Kampf wäre ehrlich, gerecht und mutig, belegt ihre Bereitschaft, bis aufs Äußerste zu gehen. Ohne die massive Unterstützung der EU und der US-Regierung wäre kaum vorstellbar, daß die Besetzung des Maidan einem entschiedenen Räumungsversuch widerstanden hätte. Daß ein solcher blutig verlaufen wäre, liegt nahe. Janukowitsch agiert keineswegs weniger autoritär als andere Staatschefs, und es gibt keinen Grund, ihn aus linker Perspektive wertzuschätzen. Für oppositionelle Kräfte in der Bundesrepublik stellt sich jedoch die Frage, womit man es bei einer Regierung zu tun hat, die sich gegen Rechtsextremismus positioniert und andernorts nicht die Zusammenarbeit mit Neofaschisten scheut.

Hätten die Aktivistinnen und Aktivisten der Occupy-Bewegung in den USA auch nur zu einigen der Gewaltmittel gegriffen, mit denen der Maidan in den letzten Tagen verteidigt wurde, dann wäre ein Einsatz der US-Streitkräfte nicht mehr auszuschließen gewesen. Die Regierung Präsident Obamas, die heute das Recht der ukrainischen Opposition verteidigt, mit lebensgefährlichen Gewaltmitteln auf die Staatsorgane loszugehen, hat die Occupy-Bewegung im eigenen Land mit geheimdienstlichen Mitteln unterwandert und mit Terrorismusverdacht kriminalisiert, so daß diese trotz der sozialen Probleme, die zu beseitigen ihr Ziel war, aufgeben mußte. Eine Bewegung, die zum Teil mit antikapitalistischen Forderungen aufwartete, soll keineswegs die gleichen Rechte haben wie ukrainische Neonazis.

Während linke Stimmen aus der Ukraine über ihre Verdrängung vom Maidan durch die antikommunistische Mehrheit der Opposition [5] und den anwachsenden Einfluß rechtspopulistischer Organisationen auf die Protestbewegung [6] berichten, forcieren deutsche Politiker und Kommentatoren den baldigen Machtwechsel in Kiew, wohlwissend, daß dies den Einfluß der sich selbst als sozialnationalistisch positionierenden Swoboda mehren wird. So löst sich der offenkundige Widerspruch, in der Bundesrepublik das Verbot der NPD zu fordern und in der Ukraine gemeinsame Sache mit Neofaschisten zu machen, in der Gutheißung imperialistischer EU-Politik rückstandslos auf. Hier geben nicht etwa unterschiedliche Aufgabenstellungen in Innen- und Außenpolitik den Ton an, hier werden Kräfte instrumentalisiert, die im Ziel, die kapitalistische Eigentumsordnung mit sozialchauvinistischen und rassistischen Mitteln durchzusetzen, nicht so weit von den mehrheitlichen Strömungen deutscher Politik entfernt sind, wie diese mit symbolpolitischen Stellungnahmen gegen Nationalismus und Rechtsextremismus glauben macht.

"Links- und Rechtspopulisten setzen die EU aufs Spiel", tönt SPD-Chef Sigmar Gabriel auf dem Europaparteitag seiner Partei und geht damit frontal auf die Linkspartei los. Dort hätte man zwar in Anbetracht des rabiaten Versuchs, die Ukraine auch zum Preis eines Bürgerkriegs und eines unabsehbaren Konflikts mit Rußland in die eigene Interessensphäre zu drängen, wie der jüngsten Kriegsplanungen für Afrika allen Grund, die EU-kritische Position der Partei nicht zu revidieren. Es steht jedoch zu befürchten, daß die auf Regierungsfähigkeit abonnierte Reformmehrheit in der Linken noch genügend Scheuklappen im Gepäck hat, um nicht ins Abseits einer gesellschaftlichen Minderheit zu geraten, die Imperialismus auch so nennt, wenn er sein Haupt erhebt.

Nachdem es so aussieht, als ob Janukowitsch auch die Unterstützung ihm bislang gewogener Oligarchen verliert, scheint die Rechnung der Oppositionsbewegung, unbeirrt an ihren Maximalforderungen festzuhalten und jedes vermittelnde Angebot des Präsident abzulehnen, aufzugehen. Mit der in deutschen Medien aufgestellten These, Klitschko wolle eigentlich deeskalierend vermitteln, werde aber von der militanten Mehrheit auf dem Maidan zu diesem Kurs genötigt, wird dem Sachwalter deutscher Hegemonialinteressen schon einmal vorsorglich ein Persilschein ausgestellt. Daß dies weder in seinem Fall noch bei anderen Nutznießern rechter Militanz in Brüssel und Berlin zutrifft, liegt in Anbetracht vorliegender Stellungnahmen wie der Eskalationsstrategie, derer sich Klitschko nicht minder als seine Verbündeten bedient, auf der Hand.

Der Vergleich mit dem Versuch deutscher Nationalkonservativer, sich Adolf Hitlers und der NSDAP zu bedienen, um schließlich durch die Nazis entmachtet zu werden, hat für die heutige Situation allerdings keine Relevanz mehr. Hier werden keine Geister gerufen, derer man dann nicht mehr Herr wird, hier erweisen sich Ideologie und Praxis politischer Herrschaft von vornherein als Ausdruck eines Krisenmanagements, dem jedes Mittel, auch das der autoritären Ermächtigung zum Ausnahmezustand, recht ist. Neonazis werden, ob in der Ukraine oder der Bundesrepublik, je nach Bedarf dämonisiert oder hofiert, um ihnen im Zweifelsfall durch rechtspopulistische bürgerliche Parteien den Rang abzulaufen. So viel hat man aus der Geschichte des Faschismus immerhin gelernt.


Fußnoten:

[1] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/146/1714603.pdf

[2] http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2012-0507+0+DOC+XML+V0//DE&language=DE

[3] http://www.bild.de/politik/ausland/vitali-klitschko/us-senator-mccain-zu-besuch-auf-dem-maidan-platz-33863132.bild.html

[4] http://www.tagesspiegel.de/politik/verhandlungen-in-der-ukraine-oppositionsfuehrer-verhandeln-in-kiew-mit-praesident-janukowitsch/9377286.html

[5] http://jungle-world.com/artikel/2014/02/49128.html

[6] http://revolution-news.com/ukrainian-anarchist-dispels-myths-surrounding-euromaidan-protests-warns-of-fascist-influence/

Im Schatenblick siehe auch dazu:

PROPAGANDA/1476: Freiheit über alles ... deutscher Demokratismus in der Ukraine (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1476.html

DILJA/1412: Die Ukraine, fremdbewegt? (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/meinung/polm1412.html

26. Januar 2014