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HEGEMONIE/1792: Umlastscharade ... Unterwerfung demokratisch legitimiert? (SB)



Als griechischer Finanzminister ist Giannis Varoufakis Geschichte. Daß sein Rücktritt unmittelbar nach dem Nein der Bevölkerung Griechenlands zur Austeritätspolitik der Eurogruppe erfolgt, läßt aufhorchen. Wie er in seinem Blog mitteilt, habe Alexis Tsipras diesen Schritt für "potentiell hilfreich" [1] erachtet. Ob der griechische Ministerpräsident nur zu diesem Schluß gelangte, weil unter den in der Eurogruppe versammelten Ministern eine "gewisse Präferenz" für die Abwesenheit dieses Störenfrieds von ihren Treffen signalisiert worden sei, kann bezweifelt werden. Schließlich hatte Tsipras die Zuständigkeit des streitbaren Ökonomen, der eine Blitzkarriere zum Erzfeind aller auf Schuldendienst bis zum bitteren Ende abonnierten Politiker absolvierte, für die Verhandlungen mit der Eurogruppe schon vor einiger Zeit eingeschränkt. Er stellte ihm bei den Verhandlungen mit der Troika den für internationale Wirtschaftsbeziehungen zuständigen stellvertretenden Außenminister Efkleidis Tsakalotos als Berater an die Seite. Der an der Universität Oxford ausgebildete Wirtschaftswissenschaftler wird nun als möglicher Nachfolger im Amt des Finanzministers gehandelt.

Für die Vermutung, daß es sich bei dieser Wahl nicht nur um einen taktischen Winkelzug handelt, um bei künftigen Treffen der Eurogruppe ein unverbrauchtes Gesicht zu präsentieren, sondern ein solcher Wechsel an der Spitze des Athener Finanzministeriums auch eine Annäherung an die Forderungen der Gläubiger beinhaltet, spricht die Aussichtslosigkeit einer Politik, die zwar die Memoranden der Troika ablehnt und einen Schuldenschnitt fordert, sich aber zum Verbleib Griechenlands im Euro bekennt. Insofern sollte der Erfolg des Referendums, das - ein Verschwörungstheoretiker, wer Böses dabei denkt - trotz mehrerer Umfrageergebnisse, die ein Kopf-an-Kopf-Rennen prognostizierten, in großer Eindeutigkeit mit über 61 Prozent Nein-Stimmen eine klare Absage an weitere Sozialkürzungen demonstrierte, nicht allzu hoch gehängt werden.

So könnte sich der von den mit Griechenland solidarischen Menschen bejubelte Sieg der Demokratie in den nun anstehenden Verhandlungen bald als Niederlage der Demokraten erweisen. Schließlich hat sich an der materiellen Grundlage des Verhältnisses zwischen dem griechischen Staat und seinen Gläubigern durch das Referendum nicht mehr geändert, als daß die Regierung Tsipras mit neuer Legitimität ausgestattet wurde. Dies erfolgte seitens der griechischen Bevölkerung nicht zuletzt deshalb, weil dem von KKE, Antarsya und dem linken Flügel Syrizas verlangte Austritt aus der Eurozone wie der EU von vornherein eine Absage erteilt wurde.

Um weiterhin an der Stärke des Euro als zu globaler Geschäftsfähigkeit ermächtigender Währung teilzuhaben, muß eben all das in Kauf genommen werden, was nicht nur die griechische Bevölkerung, sondern auch die nicht zur Eigentümerklasse gehörenden Menschen in den krisengeschüttelten Peripheriestaaten der EU ebenso wie die weiter unten auf der gobalen Produktivitätsskala rangierenden außereuropäischen Bevölkerungen ins Elend stürzt. So wird der US-Dollar trotz immenser Staatsverschuldung vor allem deshalb nicht als internationales Zahlungsmittel in Frage gestellt, weil die von ihm profitierenden Interessen bereit sind, nach außen mit imperialistischer Gewalt zu agieren, wie sie jedes soziale Aufbegehren im eigenen Land mit massiver Repression unterdrücken.

Als Begründung für die Spardiktate, die Griechenland im Tausch gegen die weitere Kreditierung des Staates durch die Europäische Zentralbank (EZB), den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die sogenannten Hilfspakete der EU aufoktroyiert wurden, wird seit jeher angeführt, es gehe darum, die Wirtschaft des Landes wieder wettbewerbsfähig zu machen. Daß die damit angeblich beabsichtigte Schaffung gesellschaftlichen Reichtums den Charakter eines Mangelregimes annimmt, ist Programm. Da die Ziele der Produktivitätssteigerung stets am Weltmarkt orientiert sind, werden die Lohnabhängigen in den hochentwickelten Metropolenregionen Westeuropas und Nordamerikas systematisch dazu genötigt, ihre Arbeitskraft unter Preis zu verkaufen. Dies können sie desto weniger verhindern, als die technisch-wissenschaftliche Rationalisierung der Produktion gerade dort Arbeitsplätze vernichtet, wo die Handlungsmacht der Lohnarbeiterklasse in ihrer relativen Unersetzlichkeit begründet liegt. Das Anschwellen einer Reservearmee auch gut ausgebildeter Arbeitskräfte ist mithin keine von Kapital und Staat widerwillig in Kauf genommene Begleiterscheinung der allgemeinen Produktivitätsentwicklung, sondern absichtsvolle Konsequenz des Primats der Wettbewerbsfähigkeit.

Da sich das Problem, mit immer weniger gut entlohnter Arbeit eine immer größere Warenmenge herzustellen, die einem dementsprechend schwindenden Potential an bezahlbarer Nachfrage gegenübersteht, tendenziell verschlimmert, befindet sich das Kapital in einer Krise, der es durch die fortschreitende Finanzialisierung aller Formen von Kapitalakkumulation zu entkommen trachtet. Ausdruck dieser Flucht in die Geldvermehrung durch Aktien, Immobilien, Rechts- und Vermögenstitel ist die in Griechenland durch die Memoranden der Troika eingeforderte Privatisierung von Grund und Boden, von Staatsbetrieben und öffentlichen Einrichtungen der Daseinsvorsorge. Wo immer das nach noch nicht erschlossenen Anlagemöglichkeiten suchende Kapital Rendite wittert, haben die Interessen der Menschen nach einem sozialverträglichen Lebensstandard zurückzustehen. Verwertbar und für mittellose Menschen somit unerschwinglich gemacht werden nicht nur essentielle Bedürfnisse befriedigende Einrichtungen der Gesundheitsversorgung und Sozialfürsorge. Die Menschen selbst werden dem Maßstab einer Rentabilität unterworfen, der im besten Fall noch ein als Durchsetzung des realen Mindestlohns gedachtes Zwangssystem wie das der sozialen Alimentierung durch Hartz IV zuläßt.

Da den Griechen nicht einmal dieser Notnagel geblieben ist, sondern sie zu Millionen genötigt sind, von einem Lohn zu leben, der nicht einmal eine angemessene Ernährung garantiert, oder gar auf jegliches Einkommen zu verzichten, ist verständlich, daß sich die Hoffnung auf Linderung ihres Elends an die selbstbewußt auftretende Tsipras-Regierung heftet. Entscheidend für den weiteren Verlauf des Krisenmanagements ist jedoch die Frage, was für die Gläubiger im allgemeinen und die Bundesregierung als deren Hauptakteur im besonderen auf dem Spiel steht. Als Kreditgeld in Anwartschaft darauf, dem Dollar als globale Reservewährung den Rang abzulaufen, ist der Euro nur so gut wie die Staaten, die für ihn bürgen.

Das Insistieren der Bundesregierung auf die Rückzahlung der griechischen Staatsschulden dient mithin weniger der moralischen Verpflichtung, daß Schulden unter allen Umständen bedient werden müssen. Dafür, daß dies eher nicht der Weisheit letzter Schluß ist, gibt es nicht erst seit dem im Alten Testament vorgesehenen regelmäßigen Schuldenerlaß eine Vielzahl von Belegen, die der ansonsten mit absehbarer Konsequenz krisenhaft entgleisenden Verzinsung verliehenen Geldes adäquat sind. Was die Bundesregierung vor allem dazu veranlaßt, im Umgang mit Griechenland harte Bandagen anzulegen, ist die Bekräftigung einer Geldwertstabilität, die durch den von Athen verlangten Schuldenschnitt akut in Frage gestellt würde.

So tritt in der Einforderung einer rigorosen Haushaltspolitik, zu deren Finanzierung sogar die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel massiv erhöht werden soll, das gleiche soziale Gewaltverhältnis hervor, das im kleinen jeden vermeintlich gleichwertigen Tauschvorgang begründet, bei dem der aus Gründen größeren Mangels Bedürftigere Verluste erleidet. Wo der griechischen Regierung die Preisgabe maßgeblicher Teile ihrer Souveränität abverlangt werden, um im Gegenzug stets an der Grenze akuten Mangels ausgerichtete Kredite zu gewähren, kann der nun geltend gemachte Stolz des Neins nicht mehr bewirken als ein Wundpflaster, das darüber hinwegtäuscht, daß die Grunderkrankung nach wie vor virulent ist. Im Falle der Eurozone besteht sie darin, daß die im Euro aufgegangene Hoheit über die eigene Währung nicht durch Garantien kompensiert wurde, wirtschaftliche Notlagen nach Maßgabe eines prinzipiell solidarischen Föderalismus durch Transferzahlungen auszugleichen.

Nur dem Umstand, daß die hochproduktive und exportstarke Wirtschaft der Bundesrepublik in den Defizitkreisläufen der Eurozone auf der Gewinnerseite steht, ist es zu verdanken, daß die globale Finanzkrise die Position Deutschlands als EU-Hegemon sogar gestärkt hat. Der Primat der nationalen und regionalen Standortkonkurrenz hat allen Festreden zum Trotz zu einer Renationalisierung der EU geführt, die die Beendigung des Zwangsverhältnisses, die Gewinne des einen in die Verluste des anderen umzumünzen, für die davon Profitierenden inakzeptabel macht. Griechenland zu verordnen, seine Schuldentragfähigkeit wiederherzustellen, ohne an der strukturellen Konkurrenz zwischen den EU-Staaten etwas ändern zu wollen, heißt denn auch nichts anderes, als die neokolonialen Gewaltverhältnisse, die das Verhältnis der EU zu den Ländern des Südens bestimmen, auch innerhalb der Union dauerhaft zu etablieren.

So erfreulich das Nein der griechischen Bevölkerung im Sinne ihrer Emanzipation vom Diktat der Gläubiger ist, so sehr steht zu befürchten, daß es in eine Vertiefung ihrer Abhängigkeit von diesen mündet. Da dem von Tsipras geforderten Schuldenschnitt aus besagtem Interesse an der Kreditmacht des Euro absehbar nicht stattgegeben werden wird, droht die Forderung, den Schuldendienst in irgendeiner Form zu leisten, sich zu einer permanenten Blockade jeder Entwicklung auszuwachsen, die über den Status eines peripheren Bereitstellers von Service- und Entsorgungsleistungen an den produktiven Zentren EU-europäischer Kapitalakkumulation hinausgeht. Die verlangte Schuldentragfähigkeit besagt nicht umsonst, daß hier die Fähigkeit etabliert werden soll, dauerhaft eine Last zu schultern, anstatt sich dieser ein für allemal zu entledigen. Wer in der Lage ist, ganze Bevölkerungen im Zustand einer solchen Abhängigkeit zu halten, der tritt mit diesem Akt umfassender Verfügungsgewalt über Menschen den wohl überzeugendsten Beweis dafür an, auch wirksam über die herrschende Geschäftsordnung gebieten zu können.


Fußnoten:

[1] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/griechischer-finanzminister-varoufakis-kuendigt-ruecktritt-an-13687214.html

6. Juli 2015


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