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HERRSCHAFT/1443: Soziale Unruhen beschwören, um am Kapitalismus nicht zu rühren (SB)



Wenn der Metadiskurs über das, was in der Öffentlichkeit nicht zum Thema werden soll, in der Öffentlichkeit ausgetragen wird, dann dient er nicht dem unterstellten Zweck. Nun hat auch noch Bundespräsident Horst Köhler zu der von Gesine Schwan und Michael Sommer aufgeworfenen Möglichkeit des Ausbrechens sozialer Unruhen seinen zur Mäßigung aufrufenden Beitrag geleistet und vor Panikmache gewarnt. Zu fordern, etwas nicht herbeizureden und dieses Schreckgespenst dann wie eine Monstranz vor sich herzutragen ist ein denkbar schwaches Bannritual. Es besitzt jedoch einen Zweck, der im Abtausch der Argumente um die Zulässigkeit oder Verwerflichkeit des Thematisierens einer möglichen sozialen Eskalation nicht auftaucht, eben weil es darum geht, das allen Beteiligten im Grunde genommen höchst Präsente jenseits des Sagbaren zu halten.

Indem am Beispiel französischer Zustände angstvoll das Menetekel einer außer Rand und Band geratenen Armutsbevölkerung an die Wand gemalt wird, bleibt der Blick starr auf den dabei erfolgenden Bruch nicht nur der Gesetze, sondern der kapitalistischen Staatsräson gerichtet. Auf diese Weise wird jegliche Kritik am konstitutiven Klassenwiderspruch a priori kriminalisiert. Am Ereignishorizont der gesellschaftlichen Entwicklung erhebt der Plebs als ein seiner Fesseln entledigtes Monstrum drohend sein Haupt. Es soll nicht darüber nachgedacht werden, was man im ersten Schritt unternehmen könnte, um das Problem nicht nur symbolisch, sondern auf unumkehrbare Weise aus der Welt zu schaffen, gerade weil es von grundstürzender Art ist. Es resultiert aus dem Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, der nach Maßgabe des herrschenden Krisenmanagements weder zum Anlaß weiterführender Überlegungen noch gar zu einer Änderung der systemischen Grundlagen kapitalistischer Verwertung gereichen soll.

Indem sich Schwan, Sommer und ihre Kritiker den Ball bürgerlichen Unfriedens zuspielen, nehmen sie die vermeidbare Folge einer Politik in Kauf, deren Sachwalter die Aufhebung des Kapitalverhältnisses unter allen Umständen vermeiden wollen. Sie bilden eine gemeinsame Front gegen die Überwindung der kapitalistischen Klassengesellschaft, indem sie die Diskussion über Möglichkeiten der Krisenbewältigung ausschließlich zwischen den Polen der Eskalation und Befriedung herrschender Widerspruchslagen oszillieren lassen. Das Insistieren darauf, man tue doch schon alles dafür, um aus der Krise resultierende soziale Härten abzumildern, ist allerdings ein Schwachpunkt in dieser apologetischen Strategie, an dem sich durchaus entzünden könnte, was man im Keim zu ersticken trachtet.

Bei der Abwehrstellung der Eliten geht es um mehr als den üblichen Abgleich konträrer Positionen durch populistische Kampagnen und spektakuläre Inszenierungen. Eine sich ihrer politischen Macht bewußtwerdende Bevölkerung kann allemal Veränderungen herbeiführen, die nicht im Sinne der Herrschenden sind, auch wenn diese noch so sehr mit der Faust der Repression drohen. Diese Schwelle liegt in der Bundesrepublik Deutschland vor allem deshalb sehr hoch, weil es den herrschenden Kräften gelungen ist, den Klassenkompromiß über die Hochzeiten keynesianischer Umverteilung hinaus unter dem Titel der sozialen Marktwirtschaft als zivilreligiöse Glaubenslehre fortbestehen zu lassen. Die abnehmende Überzeugungskraft neoliberaler Marktprinzipien und die am eigenen Leib überprüfbaren Verluste, die das darüber hegemonial gewordenen Akkumulationsregime generiert, entziehen dem Block herrschender Interessen so viel an Legitimation, daß er angreifbar wird. Die Formation eines Widerstands, der dazu in der Lage wäre, zu verhindern ist Sinn und Zweck einer Debatte, die die soziale Konfrontation nicht von ungefähr als das Andere, das Fremde ausgrenzt.

25. April 2009