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HERRSCHAFT/1463: Komplexe Lage im Iran durch Kurzmitteilungen ungenügend erfaßt (SB)



Die vielgelobte informelle Berichterstattung aus dem Iran via Twitter und Facebook ist als Quelle der Meinungsbildung mit Vorsicht zu genießen. Selbst wenn die Zeugnisse staatlicher Repression eindeutig sind, sagen sie lediglich etwas über die Verhaltensweise einer Regierung aus, die sich in einem inneren Machtkampf befindet. Wer in diesem obsiegt, wird keinesfalls allein auf der Straße entschieden, sondern im komplexen Geflecht institutioneller und theokratischer Verfügungsgewalt. Von Kurzmitteilungen, Photos und Videosequenzen gespeiste Internetkampagnen können zwar zur Urteilsbildung beitragen, ihre Aussagekraft wird jedoch im aktuellen Fall auf eine Weise verabsolutiert, die maßgebliche Kriterien der Urteilsbildung außer Acht läßt.

So wird gerne der Eindruck erweckt, der amtierende Präsident und mutmaßliche Wahlsieger Mahmud Ahmedinejad habe eine Machtstellung inne, die ihm eine Manipulation des Wahlergebnisses ohne weiteres ermögliche. Das ist ganz und gar nicht der Fall, wird sein Herausforderer Mir Hossein Mussawi doch von starken Kräften im Klerus, der dem in den Reihen der Pasdaran, der Revolutionswächter, zu politischem Einfluß gelangten Ahmedinejad stets mißtraute, unterstützt. Vor allem erfreut sich Mussawi der Rückendeckung des ehemaligen Präsidenten Haschemi Rafsandschani, der ein ausgesprochenes Schwergewicht im Machtapparat der Islamischen Republik darstellt.

So wurde er nach der verlorenen Wahl 2005, in der er Ahmedinejad unterlag, von Revolutionsführer Ali Chamenei zum Vorsitzenden des Schlichtungsrates ernannt. Dieses Gremium, dem auch Mussawi angehört, ist mächtiger als der Wächterrat, der die Entscheidungen der Legislative auf ihre Konformität mit islamischem und Verfassungsrecht prüft, da bei Streitfällen zwischen Parlament und Wächterrat der Schlichtungsrat das letzte Wort hat. Rafsandschani ist zudem Vorsitzender des Expertenrats, der die Aufgabe hat, den Revolutionsführer zu wählen und zu überwachen. Damit verfügt er über eine deutlich größere Machtfülle als Ahmedinejad, der seinerseits nur bedingt von Chamenei unterstützt wird. Dieser scheint vor allem den Einfluß Rafsandschanis kontern zu wollen, ist dieser doch bekannt dafür, die Macht des Revolutionsführers einschränken und seinem Amt einen eher zeremoniellen Charakter verleihen zu wollen.

Während der 2005 vom Westen als Hoffnungsträger hofierte, über ein Milliardenvermögen verfügende Rafsandschani aus der Oligarchie des Landes stammt, ist Ahmedinejad als Sohn eines Schmiedes und als Mensch mit bescheidenem Lebenswandel trotz des nichteingelösten Versprechens einer sozialen Umverteilung von oben nach unten nach wie vor unter vielen einfachen Iranern populär. Während der Amtszeit Rafsandschanis, die von 1989 bis 1997 dauerte und die Phase des Wiederaufbaus nach dem Krieg mit dem Irak bestimmte, kam es während der liberalen Wirtschaftsreformen, die die Weltbank dem Iran im Gegenzug für dessen Kreditaufnahme aufnötigte, zu einer Verdoppelung der Verbraucherpreise. Bei den Demonstrationen, bei denen die ärmsten Iraner ihrer Wut über die nicht mehr gewährleistete Versorgungssicherheit Luft machten, ordnete Rafsandschani den Einsatz von Kampfhubschraubern gegen friedliche Demonstranten an. Dabei gab es mehr als hundert Tote, zudem wurden viele Oppositionelle auch aus dem studentischen Umfeld verhaftet, lange eingekerkert und zum Teil ermordet.

Rafsandschani ist daher ebensowenig wie Mussawi, der von 1981 bis 1989 das Amt des Ministerpräsidenten innehatte und mit durchaus harter Hand herrschte, ein glaubwürdiges Aushängeschild für mehr Freiheit und Demokratie. Die Kontrahenten Ahmedinejads bedienen die Interessen eines Klientels aus arrivierten Bürgertum, aus islamischen Geistlichen und Unternehmern, die jeder gesellschaftlichen Veränderung, die nicht ihren Klasseninteressen zugutekommt, ablehnend gegenüberstehen. Die vornehmlich aus der urbanen Jugend stammenden Anhänger Mussawis agieren nicht aus grundsätzlicher Systemopposition heraus, sondern suchen ihren Vorteil in der Modernisierung und Öffnung des Landes. Eine solche Entwicklung wiederum wäre mit Einbußen in der Selbständigkeit des Irans verbunden, die die regionale Kräftekonstellation zugunsten der westlichen Hegemonialmächte verschöbe.

Der oberste Rechtsgelehrte Chamenei scheint ein durchaus ambivalentes Verhältnis zu Ahmedinejad zu haben, ist er doch häufiger von dem Präsidenten abgerückt, hat ihm aber an anderer Stelle den Rücken gestärkt. Dem Staatsoberhaupt des Irans scheint es vor allem um die Sicherung der eigenen Position zu gehen, die zu schwächen wesentliches Ziel der Reformer ist. Daß diese sich wiederum jeder Unterstützung aus dem Ausland bedienen, die verfügbar ist, liegt auf der Hand. Insofern wurde mit den Protesten ein hervorragendes Einfallstor für Interessen geschaffen, die keineswegs im Sinne der Mehrheit der iranischen Bevölkerung sein müssen. Daß deren Meinung in einem grandiosen Fall von Wahlbetrug auf den Kopf gestellt wurde, ist zumindest zweifelhaft, wenn man die hohe Wahlbeteiligung und den großen Stimmenvorsprung des erklärten Wahlsiegers Ahmedinejad zu seinem Mitbewerber Mussawi in Rechnung stellt.

Die Lage im Iran allein vor dem Hintergrund eines Kampfes zwischen progressiven Wahlsiegern und konservativen Wahlbetrügern zu betrachten genügt der Situation keinesfalls. In ihr artikuliert sich der Anspruch einer Staatsmacht auf Stabilität, der dort ebenso akzeptabel oder verwerflich sein kann wie in den politischen Auseinandersetzungen anderer Gesellschaften. Über den tatsächlichen Ausgang der Wahl müssen die iranischen Behörden befinden, währenddessen sorgen sie mit repressiven Maßnahmen für die Sicherung herrschender Verhältnisse. Darin unterscheiden sie sich nicht von westeuropäischen oder nordamerikanischen Regierungen, wie praktische Beispiele und legislative Entwicklungen aus jüngster Zeit zeigen. Während die NATO-Gegner in Strasbourg mit massiver Polizeigewalt daran gehindert wurden, ihren Protest über den aggressiven Militarismus der NATO-Staaten zum Ausdruck zu bringen, flackerten über die Bildschirme Deutschlands und Frankreichs Bilder von Akten der Zerstörung, die den Demonstranten zugeschrieben wurden. Die faktische Aufhebung des Demonstrationsrechts wurde so gut wie gar nicht thematisiert, statt dessen fand Hofberichterstattung über die versammelten Staats- und Regierungschefs eines Militärbündnisses statt, dem in Afghanistan immer wieder Zivilisten zum Opfer fallen. Vor kurzem hat der Bundestag neue Staatsschutzparagraphen verabschiedet, mit denen die Unschuldsvermutung praktisch aufgehoben wird und unbescholtene Bürger einem folgenreichen Gesinnungsverdacht und Feindstrafrecht ausgesetzt werden. Die Vorbereitungen für eine Zensur des Internets sind unvermindert im Gange, und die vielbeschworene Schengen-Freiheit wird auch beim bald stattfindenden G8-Gipfel im italienischen Aquila wieder aufgehoben. Der Staatsnotstand kann jederzeit ausgerufen werden, wenn es etwa zu grenzüberschreitenden Streiks oder anderen gewaltfreien Aktionen europäischer Bürger kommt, so diese nur die in gängigen Terrorismusdefinitionen enthaltene Bedingung erfüllen, auf angeblich illegitime Weise Einfluß auf eine Bevölkerung oder auf staatliche Einrichtungen zu nehmen.

Ein Land, das wie der Iran über eine große Armutsbevölkerung sowie diverse nationale Minderheiten verfügt, zu destabilisieren stellt für gut ausgebaute Geheimdienstapparate kein besonderes Problem dar. Das gilt auch für das Vorhaben, eine weitgehend anonyme elektronische Kommunikation in diese oder jene Richtung zu drehen. Wer nicht bereitwillig zum Instrument manipulativer Machenschaften werden will, tut auch hierzulande gut daran, seine Urteilskraft in einer klaren politischen Position zu verankern.

17. Juni 2009