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HERRSCHAFT/1492: Zwischen allen Stühlen ... SPD von Sozialdemokratie eingeholt (SB)



Die Krise der SPD, wiewohl schon seit Jahren virulent, hat mit dem Absturz bei der Bundestagswahl existentielle Züge angenommen. Der in der Berichterstattung über die Querelen um den Fraktionsvorsitz erweckte Eindruck, nun ginge es vor allem um Personalfragen oder die Durchsetzung eines Generationswechsels in der Führungsspitze, trifft bestenfalls einen Teil des Problems der Sozialdemokraten. Die SPD hat sich während ihrer über drei Legislaturperioden erstreckenden Regierungszeit so sehr dem angeblichen Sachzwang der Ökonomie nachgeordnet, daß die Suche nach einer politischen Identität als Oppositionspartei, die mit diesem Pfund nicht mehr wuchern kann, weil dies bereits von den Regierungsparteien erledigt wird, einen drastischen Mangel an jener politischen Gestaltungsfähigkeit offenbart, über die angeblich nur kompromißfähige Parteien verfügen.

Hätte die SPD aus einem gewachsenen politischen Selbstverständnis, ohne das sich demokratische Politik im Wortsinne einer aktiv gestaltenden, anstatt die Vorgaben übergeordneter Interessen passiv übernehmenden Kraft nicht betreiben läßt, heraus regiert, dann hätte sie sozialdemokratisch und nicht neoliberal gehandelt. Letzteres war Ergebnis nicht des Primats der Politik im Sinne der demokratischen Willensbildung, sondern der Anpassung an herrschende Machtverhältnisse. Was der Linken als Mangel an politischem Verantwortungsbewußtsein angelastet wird, hat die SPD mit der realpolitischen Praxis, sich als Steigbügelhalter des Kapitals unentbehrlich zu machen, übererfüllt. Die Rechnung ist nicht aufgegangen, weil Diener, die sich beim Buckeln verbraucht haben, immer am leichtesten auszutauschen sind. Der soziale Chauvinismus, dessen man sich befleißigte, hat für den Wechsel in die S-Klasse nicht gereicht. Dort weiß man sehr genau zwischen angemaßter Kumpanei und echter Zugehörigkeit zu unterscheiden.

Um so mehr wird es der SPD nun darum gehen, nicht jeden Halt in der Sphäre der Kapitalmacht zu verlieren. Politische Prinzipien auf überprüfbare Weise zu realisieren und in Kernfragen das Mandat der Wähler höher zu halten als die verlangte Durchsetzung herrschender Verhältnisse ist eine Tugend, die sich mit der Restauration der neofeudalen Klassengesellschaft nicht verträgt. So erweist sich die vielzitierte Regierungsfähigkeit bei der Frage, was einer Regierungskoalition aus Union und FDP entgegengehalten werden kann, als gut versiegeltes Grab all jener Ansprüche, die eine aus dem Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital entstandene Partei meinte, auf Nimmerwiedersehen hinter sich zurückgelassen zu haben.

Auch wenn sie ihrerseits keine Schritte unternehmen wird, in der verschärften sozialen Konfrontation der bundesrepublikanischen Gesellschaft einseitig die Partei der Schwächeren zu ergreifen, sondern auf dem Mittelweg versuchen wird, ihre Aktien in der Bank der wertvolleren Menschen zu sichern, wird sie von ihrem unabgegoltenen Nachlaß eingeholt werden. Konfrontiert mit einer starken und weitgehend unverbrauchten Linken kann sie nur daran scheitern, einen Platz zwischen allen Stühlen zu finden. Die bereits laut gewordene Forderung, das Ausschlußkriterium gegenüber der Linken zu revidieren, wird als so opportunistisch erkannt, wie es die Strategie war, sich durch antikommunistische Tiraden einen Platz auf der sicheren Seite der Macht zu verschaffen. Der SPD droht, zwischen der Politik des ehemaligen Koalitionspartners, die man selbst mitgetragen hat und die die Partei auf Jahre hinaus bestimmen wird, und einer tatsächlich sozialdemokratischen Linken sang- und klanglos unterzugehen.

Die Linke befindet sich weniger denn je in der Position, auf Angebote der SPD eingehen zu müssen. Will die junge Partei in den sich abzeichnenden sozialen Kämpfen die Basis ihres Einflusses vergrößern, dann wird ihr dies am wenigsten gelingen, wenn sie sich auf wachsweiche Losungen einläßt, die jeder parlamentarischen Kraft als Verpflichtung auf gesellschaftliche Stabilität abverlangt werden. Ankündigungen von Politikern der Linken, auf außerparlamentarischem Wege Druck zu machen, wurden bereits als staatsfeindlich ausgemacht und markiert. Daran gilt es festzuhalten und sich ein Negativbeispiel am Schicksal der ältesten Partei Deutschlands zu nehmen, die dabei ist, nach der vergeblichen Anpassung an die Stärkeren an der selbst affirmierten darwinistischen Selektionslogik zu vergehen.

29. Juli 2009