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HERRSCHAFT/1532: Partei Die Linke auf der Rutschbahn in die Bedeutungslosigkeit? (SB)



Die Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen bringen die erstmals in den Düsseldorfer Landtag eingezogene Partei Die Linke in die Position, mit SPD und Grünen eine Koalitionsregierung zu bilden oder eine rot-grüne Landesregierung zu tolerieren. In beiden Fällen böte sich die PDL zum Ausverkauf jener Interessen feil, die zumindest ihr linker Flügel zu repräsentieren behauptet. Im Vorfeld der Wahl von den etablierten Parteien und den Systemmedien linksradikaler Tendenzen bezichtigt und als verantwortungslose Chaotentruppe niedergemacht wird der PDL abverlangt, sich durch systemopportunes Entgegenkommen zu bewähren. Diese insbesondere von höheren Parteifunktionären auf Landes- wie Bundesebene propagierte Option bedeutete gerade vor dem Hintergrund des am Beispiel Griechenlands verschärften Sozialkampfes, einen politischen Offenbarungseid zu leisten und die parlamentarische Rutsche in die Bedeutungslosigkeit zu nehmen.

Das europäische Krisenszenario des Frühjahrs 2010 läßt keinen Zweifel daran, daß der Angriff auf die Lebensmöglichkeiten der Lohnabhängigen und Erwerbslosen in der ganzen EU für die Nachkriegszeit beispiellose Formen der Ausbeutung und Unterdrückung annehmen wird. Die bislang erfolgten und geplanten Maßnahmen zur Krisenregulation gehen allesamt davon aus, die einkommensarme Masse der Bürger für die Kosten der finanzkapitalistischen Kompensation systemischer Verwertungsgrenzen haftbar zu machen. Während die Regierungen bestenfalls mit symbolpolitischen Maßnahmen der Offensive des Finanzkapitals gegen die Staatshaushalte entgegentreten, werden sozialpolitische Austeritätsprogramme durchgesetzt, die die Menschen in die Zange schrumpfender Erwerbseinkommen und steigender Verbrauchsteuern nehmen, sowie inflationäre Refinanzierungsmöglichkeiten eröffnet, mit Hilfe derer ihre ohnehin geringen Rücklagen entwertet werden.

Die nationalchauvinistische Hetze, mit der den Bundesbürgern suggeriert wird, die Schuldenkrise Griechenlands sei das Ergebnis selbstverschuldeter Mißwirtschaft, ist ein exemplarisches Beispiel für die Spaltungsstrategie, mit der verhindert werden soll, daß die Umverteilung von unten nach oben in ihr Gegenteil verkehrt wird. Der politischen Klasse und den Konzernmedien ist es wichtiger, die eigenen Privilegien zu retten, als einer Entwicklung Raum zu geben, die absehbar in Kriege mündet. Die herrschaftsförmige Zurichtung der Bevölkerung unter nationalistischem Vorzeichen ist kein Produkt einzelner Rechtsabweichler, sondern ein das anwachsende Aufbegehren immunisierendes Projekt der Kapitaleigner und Funktionseliten. Sich daran aktiv zu beteiligen definiert die Norm der Regierungsfähigkeit, die der PDL abgesprochen wird.

Damit gemeint ist der Rest an Kampffähigkeit, die diese Partei im Bündnis mit sozialen Bewegungen mobilisieren könnte. Der in Anbetracht der sozialen Lage doch bescheidene Wahlerfolg der PDL, bei einer Wahlbeteiligung von knapp 60 Prozent lediglich 5,6 Prozent der Wählerstimmen zu erringen, spricht nicht dafür, daß die Partei einen Klassenstandpunkt glaubwürdig machen konnte, in dem sich die zahlreichen Hartz IV-Empfänger, Niedriglohnjobber, Rentner und Erwerbsunfähigen wiedergefunden hätten. Die gegen die PDL gerichtete antikommunistische Propaganda wird von ihren Funktionären nur im Ausnahmefall zum Anlaß genommen, offensiv die Notwendigkeit systemischer Veränderungen zu vertreten. Statt dessen entsprechen die Interventionen reformistischer PDL-Politiker, die die angebliche ideologische Borniertheit von Teilen ihrer Partei noch kurz vor der NRW-Wahl lautstark beklagten, den erhobenen Vorwürfen und signalisieren so die Bereitschaft, ihren Teil zur Befriedung des sozialen Konflikts bei weitgehend unveränderter Widerspruchslage beizutragen.

So kann die SPD mit Hannelore Kraft, die von dem früheren SPD-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement protegiert wurde und von dem neokonservativen Ex-Genossen nach wie vor unterstützt wird, eine Renaissance des rot-grünen Projekts feiern, das sich gegenüber den sozialfeindlichen Zumutungen der Unionsparteien und Liberalen als kleineres Übel anbietet. Jenseits dieses Kartells herrschender Interessen soll sich keine linke Stimme erheben, die konsequent gegen die geplanten sozialpolitischen Verschärfungen, gegen ein Europa des Kapitals und gegen imperialistische Außenpolitik laut wird. Wie gefährlich prinzipientreue linke Opposition in einer vom neokonservativen Rollback bestimmten Gesellschaft ist, belegen die vereinten Bemühungen der Ideologieproduzenten in Parteien, Verbänden und Medien, jede an humanistischen und sozialistischen Idealen ausgerichtet Politik präventiv zu diffamieren.

Wer sich vom Vorwurf des "verantwortungslosen Radikalfundamentalismus" beeindrucken läßt, sollte in der einzigen zumindest nominell sozialistischen Partei, die in der Bundesrepublik in der Lage ist, die Fünf-Prozent-Sperrklausel zu überwinden, fehl am Platz sein. Gerade weil die suggerierte Sachzwanglogik sozial gerechte Politik zum utopischen Narrenparadies erklärt, ist es wichtig, sie kämpferisch zu betreiben. Wer erkennt, wohin die angsteinflössende Dominanz des kapitalistischen Verwertungsdiktats die Welt gebracht hat, der macht das vermeintlich aussichtslose Unterfangen, herrschende Interessen aus der Position der Schwäche heraus in Frage zu stellen, nicht vom Kalkül seines Gelingens abhängig. Wer vor dem politischen Kampf eine Siegesgarantie verlangt, der hat vergessen, daß menschlicher Fortschritt immer ein Ergebnis anfangs aussichtslos erscheinenden Wagemuts war. Wer bestreitet, daß das Übernehmen von Verantwortung in einer Demokratie auch und gerade darin besteht, den Dissens zugunsten ausgegrenzter Minderheiten zu wagen, anstatt den Konsens herrschaftsförmiger Entscheidungsgewalt zu suchen, der will von vornherein keine emanzipatorische und sozialistische Politik betreiben.

10. Mai 2010