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HERRSCHAFT/1542: Wulff vs. Gauck ... Gruppenbild ohne Dame (SB)



Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, und doch wird in den Reihen der Regierungskoalition nach Kräften dementiert, daß es sich bei der Wahl des Bundespräsidenten um eine parteipolitische Veranstaltung handelt. Die dadurch in Frage gestellte Wahl Joachim Gaucks, des Wunschpräsidenten der neokonservativen Herzen, führt jedoch dazu, daß selbst ein CDU-Politiker wie Kurt Biedenkopf Kritik an der Parteibindung der Bundesversammlung übt. Man könne die Wahl des Bundespräsidenten auch gleich der Regierungskoalition übertragen, wenn der Fraktionszwang in der Bundesversammlung durchgesetzt würde, so der Einwand Biedenkopfs, der als altgedienter Antikommunist im rauhen Wasser der Krise des Kapitals nicht auf die rhetorischen und repräsentativen Qualitäten Gaucks verzichten möchte.

Wenig überzeugend hält der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Bernhard Vogel, im Deutschlandfunk mit der Bekräftigung seiner persönlichen Entscheidungsfreiheit dagegen. Daß die Regierung ihr Schicksal mit dieser Wahl verbinde, habe er von ihr nicht gehört, daher sei diese Behauptung eine Erfindung der Journalisten, erklärt Vogel völlig ungerührt ob der Haltlosigkeit der Vermutung, die Bundesregierung werde ihre Glaubwürdigkeit mit einem solchen Eingeständnis unnötig schwächen. Er sei "nie in einen Fraktionszwang genommen worden", habe es "aber immer als heilsam empfunden, dass es Fraktionen als Arbeitsgemeinschaften gibt, dass man sich aufeinander verlassen kann, weil man sich nicht selbst um alles kümmern kann". Als "freier Mensch" fühle er sich jedoch "auch verantwortlich für die (...) Leute, die mich in diese Bundesversammlung entsenden, und das bedenke ich bei meiner Entscheidung" [1].

Als wolle er noch einmal unterstreichen, daß die politische Freiheit, die er meint, die der Opportunität am Band produzierenden Ambivalenz ist, sich niemals festzulegen, betont er, daß er "beide Kandidaten für hoch qualifiziert" halte. Da war doch noch etwas ... ach ja, da gibt es noch eine Bewerberin um das höchste Amt im Staate, die von der viertstärksten Fraktion im Bundestag aufgestellt wurde. Luc Jochimsen ist Kandidatin der Linken, einer von mehr als fünf Millionen Bundesbürgern gewählten Partei, die es, wenn es allein nach der Staatsräson ginge, gar nicht geben dürfte. Sie wird vom nationalen Inlandgeheimdienst, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, observiert, einer dem Bundesinnnenminister Thomas de Maizière unterstellten Behörde, was demokratisch gesonnene Bürger auf den Gedanken bringen könnte, daß der politische Wettstreit hier mit unlauteren Mitteln ausgetragen wird.

Mit der Ausblendung Jochimsens könnte Vogel nicht besser belegen, daß die Wahl des Bundespräsidenten nicht offen ist, daß sie nicht von Delegierten abgehalten wird, die allein ihrem persönlichen Urteil verpflichtet sind. Der ehemalige Ministerpräsident ist beileibe nicht der einzige, der es nicht einmal für nötig hält, der Kandidatin der Linken wenigstens auf negative Weise Beachtung zu schenken, sondern sie rundheraus ignoriert. Diese Mißachtung reicht bis zu Aufrufen in der Presse, Jochimsen keine Publizität zu gewähren. "In unserer Demokratie müssen wir solchen Linken-Unsinn hinnehmen" [2], bedauert der Kommentator der Offenbach-Post zu der der Linken aufgenötigten und nicht immer vollzogenen Verurteilung der DDR als "Unrechtsstaat". Er schlägt vor, es wie Gauck zu halten, "der Jochimsen einfach ignoriert".

So gepflegt und seriös das Ansehen der deutschen Verfassungsorgane in ihrer Außendarstellung sein mag, so paternalistisch und rabiat ist die politische Praxis ihrer Akteure. Das betrifft nicht nur ausgesprochen symbolpolitische Ereignisse wie die Wahl eines Bundespräsidenten, sondern verdichtet sich im Getriebe praktischer Machtausübung zu konkreter Ausgrenzung mißliebiger Bürger und Parteien. Für die Partei Die Linke kann dies allerdings als Vertrauensbeweis gewertet werden, gilt sie zumindest in den Augen der Herrschenden noch als Interessenvertretung der gesellschaftlichen Verlierer, der Antimilitaristen und Antikapitalisten. Weder dem einen noch dem anderen Herrenreiter im zweiten Wahlgang eine Stimme der Linken zu geben wäre die angemessene Antwort auf einen Eigentumsanspruch, der nicht nur die Kapitalmacht betrifft, sondern auch die Herrschaft über das angebliche Gemeinwesen für sich reklamiert.

Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1208354/

[2] http://www.op-online.de/nachrichten/politik/jochimsen-ignorieren-808703.html

22. Juni 2010