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HERRSCHAFT/1612: Viel Feind, viel Ehr - Lafontaine macht's der Linkspartei vor (SB)



Ist Oskar Lafontaine ein Populist? Aus Sicht einer Kaste saturierter Volksvertreter, die sich von den Bürgern wählen lassen, um fortan nur noch dem eigenen Gewissen verantwortlich zu sein, das irgendwo zwischen Staatsräson, Machtgelüsten und Pfründen vagabundiert, gewiß. Auch daß er die mißlichen Umstände in einer Weise beim Namen nennt, daß ihn die Leute verstehen, schmeckt Drechslern von Worthülsen und Leerformeln zur Vernebelung des Fußvolks nicht. Für einen Abweichler und Verräter halten ihn die Sozialdemokraten, weil er ihren Lemmingszug in die komplette Austauschbarkeit nicht mitvollzogen hat und dort geblieben ist, wo sie nie sein wollten. Als Störenfried, der endlich den Mund halten und abdanken soll, haßt ihn eine breite Phalanx des politischen Establishments, die bis hinein in die Linkspartei wuchert, deren rechter Flügel längst den günstigsten Augenblick des Absprungs auf das sozialdemokratische Trittbrett herbeilauert.

Nun hat sich Lafontaine gar aufs Eröffnungspodium des viertägigen Kongresses "Marx is Muss" gesetzt, den der Berliner Verein "marx21" als Teil des gleichnamigen Netzwerks in Kreuzberg veranstaltet. Dort sprach der 67jährige frühere Parteivorsitzende anhand des Themas "Die Systemfrage stellen - welches Programm braucht Die Linke?" zum Leidwesen seiner Kritiker so deutliche Worte, daß die Presselandschaft einfach nicht umhin kann, zumindest seine Kernaussagen wörtlich zu zitieren. Die nach Angaben der Veranstalter rund 400 Menschen, die sich bereits am Eröffnungstag derart in der Alten Feuerwache drängten, daß alle Räume zu klein waren und man das Podium kurzerhand auf den Sportplatz im Hof verlegte, wußten nur zu gut, warum sie den Saarländer hören wollten.

Wäre er der Opportunist, als den ihn die Medienmeute absurderweise brandmarkt, als habe Politik am linken Flügel bundesrepublikanischer Parteipolitik derzeit Hochkonjunktur, hätte er die Teilnahme am Kongreß der Trotzkisten vermutlich gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Berührungsängste sind seine Sache nicht, und so stellte er schon eingangs klar, daß er nicht seinen Auftritt, sondern die Fragen danach merkwürdig finde. Wer von Unterwanderung munkle, unterschlage, daß Einflußnahme in Parteien völlig normal sei. Und - diesen Seitenhieb konnte sich Lafontaine nicht verkneifen - wenn Sigmar Gabriel die Reformer der Linken zu sich holen wolle, dann sei der SPD-Chef demnach wohl auch ein verkappter Trotzkist. [1]

In seiner Rede griff Lafontaine die Grünen scharf an, die er als "eine gewaltige Mogelpackung" bezeichnete und damit auf einen eingängigen Begriff brachte, der zweifellos die Runde machen wird. Er attestierte der grünen Partei in der Diskussion um die Energiewende mit ihrer Unterstützung für Großprojekte wie Offshore-Windparks und das Wüstenstromprojekt Desertec eine "völlig falsche Herangehensweise", da erneuerbare Energien dezentral und demokratisch kontrolliert sein müßten. Die Idee eines "grünen Kapitalismus" verwarf Lafontaine als "Irrweg": Wer die Systemfrage nicht stelle und statt dessen auf eine Wirtschaftsordnung setze, die auf Gewinn- und Profitstreben basiert, verfehle das Thema. [2]

Seiner eigenen Partei legte er dringend ans Herz, sich stärker Umweltfragen zuzuwenden. Er rief die Linke dazu auf, ein bewußtes Verhältnis zur Natur zu entwickeln, und bezog sich dabei auf Karl Marx, der 1875 in seiner "Kritik des Gothaer Programms" Arbeit als "Stoffwechsel mit der Natur" bezeichnet hatte. "Wer nicht gelernt hat, den Frieden mit der Natur herzustellen, wie soll der mit den Menschen Frieden schließen?", fragte Lafontaine. Die Arbeiter müßten wieder den verantwortlichen Umgang mit der Natur im Arbeitsprozeß erlernen. Da sie jedoch zur Lohnarbeit gezwungen seien und sich nicht im Besitz der Produktionsmittel befänden, sei ihnen dies momentan noch unmöglich. [3]

Lafontaine unterstrich die Auffassung, daß eine sachliche Auseinandersetzung seiner Partei mit den Grünen dringend notwendig sei. Zugleich warnte er mit Blick auf die innerparteiliche Debatte um Regierungsbeteiligung davor, daß Die Linke den Weg der Grünen gehe, und bekräftigte, daß programmatische Haltelinien zwingend im Parteiprogramm festgeschrieben werden müßten. Darüber hinaus kritisierte er die Grünen als eine Partei der Kriegsbeteiligung: "Aber wer den Umweltschutz will, muss zuerst die Menschen schützen und kann nicht Krieg mit Streubomben befürworten." Das hat gesessen - nicht weil der Fraktionschef der Linken im saarländischen Landtag mit solchen Aussagen Neuland betritt, wohl aber vor dem Hintergrund der gesteigerten Aufmerksamkeit, mit der man seine Äußerungen in der Öffentlichkeit wahrnimmt.

Auch die Gewerkschaften bekamen ihr Fett weg, da sich Lafontaine keinem Pakt gegenseitiger Deckung um jeden Preis verpflichtet fühlt, wie ihn die Sozialdemokraten längst überstrapaziert haben. Im Kampf gegen sinkende Löhne, schrumpfende Renten und den Abbau sozialer Leistungen hätten die Gewerkschaften ihre eigentliche Funktion nicht mehr erfüllt. Als Mittel "gewerkschaftlicher Methoden zur Durchsetzung der Gerechtigkeit" müsse daher auch der Generalstreik erlaubt sein, wie er in anderen Ländern Europas normal sei, forderte Lafontaine, der sich im Laufe seines Redebeitrags selbst mehrfach als praktizierenden Gewerkschafter bezeichnete und gegen die Methoden anderer deutscher Gewerkschaften - gemeint waren wohl beispielsweise christliche - verwahrte.

Auf die jüngst wieder hochgekochte Bezichtigung eingehend, in der Linkspartei nähmen antisemitische Tendenzen überhand, mahnte Lafontaine zur Wachsamkeit. Der Linken "Antisemitismus anzudichten, ist doch das Beschränkteste, was man tun kann", ließ er indessen keinen Zweifel daran, daß die Angriffe auf die Linkspartei oberhalb wie unterhalb der Gürtellinie niemals enden werden, solange sie nicht inhaltlich zu einem Flügel der SPD mutiert und sich damit selbst überflüssig macht. Hat Oskar Lafontaine gut reden, weil er als Gallionsfigur ohne hochrangige Funktion auf Bundesebene kein Blatt vor den Mund zu nehmen braucht, während andere die Suppe auslöffeln müssen, die er ihnen damit einbrockt? Wer erklärt, man müsse zuerst und vor allem auf die Befindlichkeit der Wahlbürger Rücksicht nehmen, alle wirklich brisanten Themen aussparen, Reizwörter vermeiden und dürfe bloß kein linkes Profil zeigen, mag nach einer Parteikarriere schielen und von Regierungsbeteiligung träumen, doch sei die Frage gestattet, warum er das ausgerechnet in einer Partei mit Namen Die Linke tun zu müssen glaubt.

Fußnoten: [1] http://www.tagesspiegel.de/politik/links-und-trotzig/4247696.html

[2] http://marx21.de/content/view/1430/34/

[3] http://www.ksta.de/html/artikel/1306994662170.shtml

3. Juni 2011