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HERRSCHAFT/1617: Partei Die Linke ... wachsweicher Opportunismus geschichtspolitisch serviert (SB)



In einer Erwiderung zehn ostdeutscher PDL-Politiker auf eine Stellungnahme Oskar Lafontaines zum Umgang der Partei Die Linke mit der eigenen Vergangenheit wurde die Übertragung von "Strukturelementen einer geschlossenen Gesellschaft (...) formal auf eine parlamentarische Demokratie und eine fest in die Weltökonomie integrierte Marktwirtschaft, auf eine wettbewerbsorientierte offene Gesellschaft" als intellektuell unredlich moniert. Dem Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im Saarland wird vorgeworfen, stalinistische Positionen auf unzulässige Weise mit dem herrschenden Gesellschaftssystem zu vergleichen, um all diejenigen in der PDL ideologisch abzukanzeln, die "im Heute - verglichen mit dem Vergangenen - historischen Fortschritt" [1] erkennen.

Dabei stellt sich Lafontaine in seiner Rezension des Buches "Alles auf den Prüfstand! Texte zur DDR-Geschichte im 'Neuen Deutschland'" ganz und gar auf die Seite einer fundamentalen Stalinismuskritik, wie es von einem einst führenden Sozialdemokraten nicht anders zu erwarten ist. In seiner Mahnung, die PDL müsse aufzeigen, "dass das Streben nach Gleichheit nicht notwendig zur Zerstörung der Freiheit führt, sondern dass Gleichheit und Freiheit einander bedingen", und dürfe in der Auseinandersetzung mit der Aufarbeitung des Stalinismus "den aufrechten Gang nicht verlieren" [2], legt Lafontaine den Finger in die Wunde der im reformistischen Lager der Linken verbreiteten, nicht unzutreffenden Ansicht, mit vorauseilender Unterwerfung unter die herrschende Staatsräson gelange man am schnellsten an die Tröge konformer Partizipation.

Wie die bundesrepublikanische Geschichte seit dem Anschluß der DDR belegt, gehört der sich am verschwundenen Staat abarbeitende Antikommunismus zu den wirksamsten Waffen gegen jenes soziale Aufbegehren, das in der arabischen Welt und in einigen europäischen Ländern derzeit eine unerwartete Blüte erlebt. Während in Deutschland keine Gelegenheit ausgelassen wird, sich am längst erkalteten Leichnam der DDR gütlich zu tun, ist der soziale Krieg in aller Welt in eine Phase verschärfter Unterwerfung der lohnarbeitenden und versorgungsbedürftigen Bevölkerungen unter das Primat der Kapitalverwertung getreten. Die Suggestion, das nach innen wie außen besonders räuberisch zu Werke gehende Exportmodell der deutschen Wirtschaft gewähre auch den überflüssig gemachten Teilen der Bevölkerung eine bessere Überlebensgarantie als anderen Menschen in Europa und seiner Peripherie, trägt auch deshalb zur Verbreitung des rechtspopulistischen Sozialrassismus Marke Sarrazin bei, weil die Identifikation des untergegangenen Realsozialismus mit der sozialistischen und kommunistischen Idee überhaupt anhand der Dämonisierung von Staat und Gesellschaft der DDR vollzogen wird.

Was der Massenmörder Anders Behring Breivik in seiner gegen Muslime und Linke gerichteten Gewalttätigkeit vollzogen hat, entspringt der totalitarismustheoretisch gepanzerten Kontinuität eines Antikommunismus, auf den die Mitte der deutschen Gesellschaft zuverlässig eingeschworen ist. Wo Lafontaine die Kritik am Stalinismus als Irrtum "einer großartigen Menschheitsidee" moderiert, wird diese noch ihrer Geburt harrende Utopie durch die Apologie herrschender Verhältnisse, die den sozialdemokratischen Durchmarsch innerhalb der PDL auszeichnet, vollends verworfen. Je offenkundiger die Widersprüche des kapitalistischen Weltsystems hervortreten, desto weniger wollen die Verfechter des ideologischen Antikommunismus eindeutig Position zu ihnen beziehen. Der an Lafontaine adressierte Vorwurf, mit seinem programmatischen Beitrag "Nicht die Partei, sondern das System" vergehe er sich auf geschichtsrevisionistische Weise an der "Leistung all derer (...), die den sehr schmerzhaften Weg gegangen sind, die Geschichte unserer Partei anzunehmen, die historische Fehlentwicklung konsequent zu überwinden" [1], kann daher als nach links gerichtete Apologie der Apologie herrschender Verhältnisse verstanden werden.

Mit einer Linken, die zur Systemkritik nicht mehr in der Lage ist, weil sie sich den Zugang zu einer eindeutigen Positionierung durch die Unterwerfung unter geschichtspolitisch inszenierte Feindbilder systematisch verbaut hat, ist allemal Staat zu machen. Nicht nur Kapital, sondern auch Nation stehen Pate bei der Geburt einer Partei postmodernen Typs, in der streitbare Subjektivität als Verstoß gegen das Gebot der Differenz um jeden Preis der Anpassung denunziert wird. Als Feigenblatt des demokratischen Pluralismus und Appendix einer neoliberal auf individuelle Bezichtigung abonnierten, neokonservativ auf Leistungseliten getrimmten Mangelverwaltung kann auch eine ihres originären Anliegens beraubte Linkspartei Verwendung finden und damit das glatte Gegenteil dessen betreiben, was als Anliegen der wachsenden Zahl zum sozialen Widerstand entschlossener Menschen manifest wird.

Lafontaines Versuch, die der Linken von interessierter Seite her aufgenötigte Selbstzerfleischung abzuschließen und die tatsächlichen Herausforderungen kapitalistischer Herrschaft in Angriff zu nehmen, spricht bei allen Widersprüchen, die dieser leidenschaftliche Politiker auf seinem Glaubwürdigkeitskonto aufgehäuft hat, für seine strategische Übersicht und seine persönliche Integrität. Seine Analyse "Manche vordergründige Auseinandersetzung in der Partei DIE LINKE, der vorgeworfen wird, der Stalinismus komme bei ihr durch die Hintertür, verwechselt die Analyse der Gesellschaft des Staatssozialismus mit der befürchteten Fehlentwicklung einer kleineren Partei im parlamentarischen Regierungssystem" [2], könnte das Angebot der mit den Meriten der Zugehörigkeit zu den systemrelevanten Funktionseliten belohnten Selbstbezichtigung nicht treffender in seinem Nutzen für die hegemoniale Ideologieproduktion darstellen. Der Lafontaine angelastete Vergleich struktureller Merkmale "stalinistischer" Systeme mit denen kapitalistischer Gesellschaften ist ein adäquates Mittel, den politischen Gegner mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Dies als illegitime Abwertung eines vermeintlichen historischen Fortschritts respektive Aufwertung einer gescheiterten Verwirklichung des Sozialismus zu bemängeln könnte die Misere einer Positionslosigkeit, die sich nicht angreifbar machen will, weil sie nicht angreifen will, nicht deutlicher hervortreten lassen.

Eine im Farbspektrum der im Bundestag vertretenen Parteien rot blinkende und damit nicht mehr als zum ästhetischen Harmoniebedürfnis der repräsentativen Demokratie beitragende Linke ist keineswegs überflüssig. Ihr Auftrag besteht darin, noch nicht für die Legitimation der sozialen und militärischen Kriegführung gewonnene Menschen teilhaben zu lassen an einer Partizipation, die in den dafür geschaffenen Horizonten des Versprechens, auf diese oder jene Weise dafür honoriert zu werden, wirkungslos verebbt. Druckventile und Überlaufbecken dieser Art sind in Zeiten verschärfter sozialer Unterdrückung zumindest so lange vonnöten, als das herrschende Akkumulationsregime ohne offenen Faschismus auskommt. Daß dies immer weniger gewiß ist, wie an Arbeitslager gemahnende Formen der Zwangsverpflichtung von Erwerbslosen, die Entwertung der Arbeit durch die Imperative der "Märkte", die Zurichtung des Menschen auf biologistische Kriterien der Leistungsoptimierung, das kulturalistische Schüren von Haß gegen Muslime auch in den besseren Kreisen der Gesellschaft, die Einschränkung der Souveränität ganzer Staaten im Rahmen der Euro-Krise, die in ihren Vorwandslagen immer durchsichtigere Kriegführung der NATO, ein Flüchtlinge sehenden Auges dem Verdursten und Ertrinken preisgebendes Grenzregime der EU belegen, gibt allen Anlaß dazu, der herrschaftsförmigen Kannibalisierung der Linkspartei entschieden entgegenzutreten.

Fußnoten:

[1] http://www.neues-deutschland.de/artikel/203265.eine-notwendige-erwiderung.html

[2] http://www.neues-deutschland.de/artikel/201944.nicht-die-partei-sondern-das-system.html?sstr=Lafontaine|Stalinismus