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HERRSCHAFT/1672: Peer im Glück - Ein Steinbrück wie du und ich (SB)




Wenn's ums Geld geht, von dem er nach Maßgabe seiner Selbsteinschätzung nicht genug bekommt, ist Peer Steinbrück in seinem Element. Das unterscheidet ihn prinzipiell nicht vom Rest der Nation, hat aber einen kleinen Schönheitsfehler. Während nämlich Millionen seiner Landsleute nicht wissen, wie sie sich und ihre Familie über Wasser halten sollen, läßt sich der Sozialdemokrat die Beschwernisse seines Daseins als Leistungsträger mit etlichen 100.000 Euro pro Jahr versüßen. Das würde in einer Gesellschaft, deren Reichtum sich aus der Ausbeutung lohnabhängiger Arbeitskraft speist, nicht weiter auffallen, wäre Steinbrück nicht ausgerechnet Kanzlerkandidat der SPD. Die hat sich im Jahr der Bundestagswahl dazu verstiegen, den von ihr selbst mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen beförderten sozialen Niedergang tränenreich zu beklagen und Abhilfe in Aussicht zu stellen, könnte sie denn per Wählerwillen wieder auf der Regierungsbank Platz nehmen.

Wenngleich dieses Vorhaben mit Steinbrück noch aussichtsloser als ohne ihn anmutet, täte man dem Hanseaten Unrecht, wollte man seine Kandidatur in Bausch und Bogen als Desaster und Bärendienst an der eigenen Partei geißeln. Er muß ja nicht Bundeskanzler werden, um mit seinem Beispiel die Moral all jener zu heben, die hierzulande nicht auf ihre Kosten kommen und sich ungerecht behandelt fühlen. Gerade weil er das Licht seines eigenen Wertes und dessen höchst unzulängliche Würdigung nicht unter den Scheffel stellt, wächst er sich schon weit vor Ostern zu einem Schmerzens- und Aufstehmann aus, dem es im Grunde nicht anders ergeht als dir und mir: Er rackert sich ab, ist nie zufrieden, strebt stets nach Höherem, fällt über Stolpersteine, erntet Undank - und macht doch unbeirrt weiter wie zuvor!

Da mit den kargen Diäten des Bundestages und Kabinetts schwer auszukommen ist, verdiente sich Steinbrück mit Honoraren für Vorträge nebenbei ein paar Millionen dazu, schließlich will man sich auch mal etwas gönnen, ohne gleich sorgenvoll im Geldbeutel nachzählen zu müssen. Andere nehmen auch zwei oder drei Jobs an, gehen putzen oder arbeiten Tag und Nacht, damit die Kasse halbwegs stimmt. Was ist dagegen einzuwenden, wenn ein Politiker vormacht, daß man nicht auf seinen Lorbeeren sitzen bleiben und klagen darf, wenn man nur beherzt zupacken muß, damit der Rubel rollt - letzteres ist hier streng sprichwörtlich gemeint und nicht als Anspielung auf einen sozialdemokratischen Altbundeskanzler gemünzt.

Steinbrück ließ sich vom Vorwurf der Raffgier nicht unterkriegen und legte sofort mit der Debatte über das Kanzlergehalt nach, das seiner Meinung nach viel zu gering ist. Wenngleich nicht ganz klar wurde, ob er Angela Merkel tatsächlich für unterbezahlt hält oder schon davon träumt, selber in diesem Sessel zu sitzen, geht es doch um etwas ganz anderes. Jeder sollte laut darüber nachdenken dürfen, ob er an seinem Platz nicht ein paar Euro mehr verdient hätte. Beispielsweise könnte man darüber sprechen, ob ein Hartz-IV-Empfänger ab sofort nicht acht, sondern 16 Euro mehr pro Monat bekommen sollte, was seinen Zuwachs an Lebensqualität auf phantastische Weise verdoppelte. Das wird zwar mit dieser und jener Regierung nicht zu haben sein, ist aber für Steinbrück, um auf die Parabel zurückzukommen, ja auch nur ein frommer Wunsch, wenn er sich vorausblickend als künftiger Kanzler mit einer nicht unangemessenen Erhöhung des schwer erarbeiteten Entgelts belohnt sieht.

Praktiker, der er ist, redet Steinbrück nicht von Dingen, die er nicht schon mit eigenen Händen angepackt hat. Seine weithin unverstandene Aussage, nahezu jeder Sparkassendirektor in Nordrhein-Westfalen verdiene mehr als die Kanzlerin, war keineswegs so dahingesagt. Wie man inzwischen weiß, wollte er im Herbst 1998 selbst Präsident des Sparkassen- und Giroverbandes in Schleswig-Holstein werden. Dieser mutige Schritt aus der gesicherten Versorgungslage des Wirtschafts- und Verkehrsministers im nördlichsten Bundesland hinaus in die freie Wildbahn der ebenso bezeichneten Wirtschaft hätte seine jährlichen Einkünfte auf 400.000 Mark verdoppelt. Das ging damals zwar ebenso schief wie die Versuche zahlloser anderer Bundesbürger auch, sich beruflich ein wenig zu verbessern, zeigt aber gleichsam als Musterfall, daß sich selbst ein Minister nicht zu schade sein muß, nach Höherem zu streben.

Bei alledem war Steinbrück nie ein Politiker, der Amt und Verpflichtung nicht bitter ernst genommen hätte. Wo andere als Hinterbänkler ihre Diäten ersitzen, drängte es ihn stets, sein Wissen und Können mit anderen zum beiderseitigen Nutzen zu teilen. Politikerferne vom richtigen Leben draußen blieb ihm stets ein Greuel, weshalb er im Aufsichtsrat bei Thyssen-Krupp mit Sachverstand und Engagement in die Bresche sprang, wenn Not am Mann war. Als bei einer Sitzung am 31. Januar 2012 ein Arbeitnehmervertreter die hohen Energietarife beklagte, versicherte Steinbrück auf der Stelle, er sei im Falle einer entsprechenden Initiative gerne zur politischen Unterstützung bereit. Aufsichtsratschef Gerhard Cromme nahm dem Protokoll zufolge diese "Anregung gerne auf". [1]

Daß Steinbrücks Zusage kein bloßes Lippenbekenntnis war, unterstrich der Sozialdemokrat eine Woche später beim Jahresempfang der Industrie- und Handelskammer Rheinhessen am 6. Februar 2012 in der Mainzer Rheingoldhalle: "Die Politik muss in der Tat Weichenstellungen vornehmen mit Blick auf die notwendige einigermaßen preisgünstige Energieversorgung." Man dürfe "nicht diese deutschen, sehr grundsätzlichen ordnungspolitischen Debatten darüber führen, dass jemand, der von der Industriepolitik redet, sich eigentlich hinterher aus einer ordnungspolitisch puristischen Lage die Zähne putzen muss. So läuft das nicht!", wetterte Steinbrück, wofür er donnernden Applaus erhalten haben soll.

Wie sehr ihm stets das Wohl seiner Partner am Herzen lag und wie engagiert er zu dessen Beförderung in die Offensive ging, mag auch der Umstand unterstreichen, daß er sich bei anderer Gelegenheit im Aufsichtsrat zurückhaltend zum Aufklärungsbedarf über das sogenannte Schienenkartell geäußert hat. Statt wie andere Mitglieder des Gremiums auf schnelle Aufklärung der illegalen Preisabsprachen von Schienenherstellern zu Lasten der Deutschen Bahn und anderer Verkehrsbetriebe zu dringen, warnte Steinbrück laut Sitzungsprotokoll, "dass es schädlich wäre, wenn der Fall in der Pressekonferenz nach der Aufsichtsratssitzung thematisiert würde". Wenngleich der Vorstand von Thyssen-Krupp diesem Rat nicht folgte, ändert das doch nichts an der Kühnheit Steinbrückscher Initiativen im Dienst der gemeinsamen Sache.

Wer meint, er habe das nur des Geldes wegen getan, irrt. Die 170.695 Euro, die er für seine Aufsichtsratstätigkeit von Januar 2010 bis Ende 2012 erhielt, sind ja wohl nicht zuviel verlangt für den Transfer von Kompetenz und den Schulterschluß zwischen Politik und Wirtschaft im besten Sinn - wozu sonst sollte ein Politiker in einem solchen Gremium sitzen. Daß Steinbrück darüber seine Arbeit als Bundestagsabgeordneter vernachlässigt hätte, trifft nicht zu: In den Berichtsperioden 2010/11 und 2011/12 fehlte er jeweils an zwei von fünf Sitzungen des Aufsichtsrats, wohl, um sich seinen parlamentarischen Verpflichtungen zu widmen. Sich derzeit zu seiner Tätigkeit bei Thyssen-Krupp zu äußern, stünde Steinbrück nicht zu, unterliegen doch alle Mitglieder eines Aufsichtsrats der Schweigepflicht, so sein Sprecher.

Wie man indessen weiß, legte Steinbrück das Mandat im Kontrollgremium mit sofortiger Wirkung nieder, als er seine Kanzlerkandidatur für die SPD bekanntgab, und ist seither nur noch Aufsichtsrat des deutschen Fußballmeisters Borussia Dortmund [2], was ihn in den Augen vieler eigentlich sympathischer machen müßte. Daß dem nicht so ist und er sich immer wieder von Kleinkarierten - seinerzeit ein Seitenhieb auf Heide Simonis und deren bevorzugtes Pepita-Muster - umgeben sieht, die ihn dennoch karrieristisch abgehängt haben und zugleich viel beliebter sind, schmerzt Steinbrück. Vielleicht ist es dieser Stachel im Fleisch, der ihn nicht ruhen und im Wochentakt neue Querschläger produzieren läßt, die seiner Partei den Wahlkampf versauern, noch ehe er richtig begonnen hat.

Was, wenn Peer Steinbrück einen Plan hat? Seinerzeit stellte ihm seine Intimfeindin Simonis ein Bein, die seinen farblosen Konkurrenten um den Sparkassenjob unterstützte und ihren Wirtschaftsminister zurück ins Amt lobte, als dieser die heraufziehende Niederlage nicht einsehen wollte. Das war sein Glück, denn wenig später holte ihn sein Freund Wolfgang Clement nach Nordrhein-Westfalen. Damals wollte Steinbrück Sparkassendirektor werden, fiel aber die Treppe hinauf ins nordrhein-westfälische Ministeramt. Jetzt will er angeblich Bundeskanzler werden, läßt aber nichts unversucht, um sich selbst das Wasser abzugraben. Auf welchen Posten ist Peer Steinbrück diesmal scharf?

[1] http://www.stern.de/politik/deutschland/kanzlerkandidat-der-spd-steinbrueck-unter-lobby-verdacht-fuer-thyssen-krupp-1951492.html

[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/spd-kanzlerkandidat-steinbrueck-soll-thyssen-krupp-politische-hilfe-zugesagt-haben-12018071.html

8. Januar 2013