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HERRSCHAFT/1688: Krisendämmerung - Pfeifen im Wald hilft der Linken nicht (SB)




Mit dem Ausbau rechter Hegemonie Vorbereitungen für die sozialen Stürme des eskalierenden Krisenzyklus treffen - das Ergebnis der Bundestagswahl 2013 bildet die Verschärfung sozialer Widerspruchslagen in ihrem herrschaftlichen Bestand adäquat ab, indem sie das Krisenmanagement einer Bundesregierung belohnt, der die Privilegien neofeudaler Eliten und ihrer Steigbügelhalter über alles geht. Was sich am 15. September mit der Pleite der Lehman Bank zum fünften Mal jährte, hat die soziale Krise des kapitalistischen Normalbetriebs zu einer Polarisierung der Eigentumsordnung verschärft, für die es im Europa der Nachkriegszeit kein Beispiel gibt. Über 120 Millionen Menschen in der Europäischen Union gelten offiziell als arm, und laut einer Prognose der Hilfsorganisation Oxfam werden sich weitere 25 Millionen Menschen bei anhaltender Sparpolitik zur Gruppe der erwerbslosen oder einkommensarmen Bevölkerung hinzugesellen.

Wenn mehr als ein Viertel der Europäer in materieller Not lebt und die soziale Ungleichheit in den von der Austeritätspolitik am meisten betroffenen EU-Staaten an die Elendsverhältnisse in den Ländern des Südens heranreicht, dann kann es nicht erstaunen, daß nationalchauvinistische und sozialrassistische Parteien und Bewegungen auf dem Vormarsch sind. Nach der historischen Niederlage der Linken und dem fast zeitgleich erfolgten Durchmarsch der neoliberalen Konkurrenzdoktrin stehen emanzipatorische Kräfte vor den Trümmern ihres Opportunismus, den Verhältnissen durch die Adaption herrschender Sozialregulative und Klassenimperative entsprechen zu wollen, anstatt diese in der Parteilichkeit dadurch hervorgebrachter Gegenpositionen kämpferisch zu bestreiten.

Unter diesen Umständen über ein von realen Stimmenverlusten gezeichnetes Ergebnis zu jubeln, weil Die Linke nun als drittstärkste Kraft in den nächsten Bundestag einzieht, ist Ausdruck des Versuchs, auf nationaler Ebene von einem Niedergang zu profitieren, der die Besinnung auf die Ideale linker Bewegungen in ganz Europa und darüber hinaus erforderte. Sich SPD und Grünen für eine sogenannte rot-rot-grüne Mehrheit anzudienen, kann nur unter Aufgabe linker Kernprinzipien gelingen. Daß eine Möglichkeit politischer Gestaltung, die von Kapitalinteressen nicht nur massiv eingeschränkt wäre, sondern der Forderung nach einer neokolonialistischen Neuaufteilung globaler Einflußsphären wie der Konsolidierung erreichter sozialer Unterdrückung unterläge, auch nur als strategische Option ins Spiel gebracht wurde, belegt die Bereitschaft, unverwechselbare Positionen im Tausch gegen die Haltlosigkeit des politischen Tagesgeschäfts zu räumen.

Wo Die Linke noch als eine widerständige Kraft ernst zu nehmen ist, da steht sie einem Rechtsruck der im Bundestag etablierten Parteien gegenüber, in dem sich das Interesse am Ausbau des ökonomischen Vorsprungs und der politischen Hegemonie Deutschlands in der EU ebenso ausdrückt wie die Verfestigung sozialer Ausschließungsverhältnisse innerhalb der Bundesrepublik. Die Unionsparteien knapp vor der absoluten Mehrheit, die rechts von ihnen anzusiedelnde AfD knapp an der Fünf-Prozent-Hürde, nicht zu vergessen die ebenfalls nur mit wenigen Zehntelprozent daran gescheiterte FDP ergeben zusammen eine rechnerisch solide Mehrheit der politischen Rechten. Die SPD mit einem Viertel der abgegebenen Stimmen repräsentiert zusammen mit den Grünen die politische Mitte der neofeudalen Gesellschaftsordnung, zu deren Etablierung rot-grüne Politik durch die Agenda des schwindenden Förderns und anwachsenden Forderns, durch die Mobilisierung noch unausgebeuteter Leistungspotentiale im Rahmen neoliberaler Subjektivierungs- und Optimierungsprogramme, der Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge und Liberalisierung der Kapitalinvestitionen beigetragen hat.

An den langjährigen Einkommensverlusten der abhängig Beschäftigten und der die Entwertung der Lohnarbeit begünstigenden Etablierung eines ein Sechstel der Bevölkerung umfassenden Armutssockels haben alle diese Parteien Anteil. Demgemäß unterstützen sie die der Sicherung der Kapitalmacht gewidmete Austeritätspolitik, die in den Ländern der südlichen und östlichen Peripherie wie in Frankreich, dem Vereinigten Königreich und Irland anwachsendes soziales Elend und die Zunahme neofaschistischer Bewegungen hervorbringt. Daß Die Linke nicht einmal in der Lage war, diese Situation in das von ihr angestrebte zweistellige Ergebnis zu verwandeln, könnte die Schwäche der mit ihr assoziierten Bewegungen und Interessen nicht deutlicher machen. Da die Zukunft in Anbetracht der Währungskrise großer Schwellenländer, ihrer auch unter den Bedingungen wirtschaftlichen Wachstums keineswegs gelösten sozialen Probleme, der Überschuldung der Industriestaaten, dem massenhaften Elend wie strukturellen Zerfall der US-Gesellschaft sowie der Dauerkrise des Klimawandels und der Ressourcenknappheit nicht eben Aussichten auf eine Umkehr der sozialen Polarisierungstendenz macht, gibt es für Die Linke und ihre Anhängerinnen und Anhänger keinen Grund zum Jubeln.

Wollen sie sich treu bleiben, dann steht ihnen eine Zeit der Opposition bevor, in der die Restbestände bürgerlicher Freiheiten und sozialer Garantien durch die Forderung nach staatlicher Refinanzierung der krisenhaft entwerteten Produktivität massiv gefährdet sind. Linke Politik muß sich, wenn sie ihrem Anspruch gerecht werden will, dadurch bewähren, daß sie unter verschärfter Mangelverwaltung in Frage gestellte Rechte sozialer Minderheiten und abgehängter Teile der Bevölkerung verteidigt, daß sie der Entdemokratisierung entgegentritt, mit der die Folgen der sozialen Ungleichheit im Zaum gehalten werden sollen, daß sie den Schutz einer Natur sichert, die dem postulierten Sachzwang des Wirtschaftswachstums zusehends zum Opfer fallen wird, und daß sie den Kriegstreibern in den Arm fällt, deren Bereitschaft und Fähigkeit, globale Wertschöpfungspositionen auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen, mit der weltweit anwachsenden materiellen Not zunehmen werden.

All das ist nicht eben populär, wie der Erfolg eines Wahlkampfes gezeigt hat, der die sozialen Folgen deutscher Politik in aller Welt ebenso wirksam ausgeklammert hat, als er um Triviales und Groteskes kreiste. Dekadenzerscheinungen wie die angestrengte Hinwendung zum Belanglosen und Gefälligen sind zwar für die Krise der spätkapitalistischen Gesellschaft signifikant, sollten aber gerade deshalb kein Grund dafür sein, sich dem Zug der Lemminge in die soziale Kannibalisierung ihrer Lebensgrundlagen anzuschließen.

22. September 2013