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HERRSCHAFT/1694: Uli Hoeneß als Leistungsträger unverzichtbar (SB)




"Ich habe Riesenmist gebaut, aber ich bin kein schlechter Mensch", so das persönliche Fazit des zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Steuerhinterziehers Uli Hoeneß. Dies wird ihm von vielen Freunden und Unterstützern attestiert, denen sein Vergehen weit weniger verurteilenswert ist als etwa ein Einbruchsdiebstahl, ein Raubüberfall, das Verkaufen illegaler Rauschdrogen oder das Bestellen kinderpornografischer Bilder. Die Grenze zum schlechten Menschen wird erst überschritten, wenn andere Menschen mit voller Absicht und ganz gezielt zu eigenen Gunsten gefährdet, traumatisiert oder ihres Eigentums beraubt werden.

Um so einfacher sollte es sein, nach dem verhängten Urteil und der Entscheidung, nicht in Revision zu gehen, sondern die Haftstrafe abzusitzen, die aufgeflogene Steuerhinterziehung schlicht als unternehmerische Fehlleistung zu verbuchen und den Preis staatlicher Sanktionierung als verlorenen Einsatz in einem zu anderen Zeiten durchaus aussichtsreichen Geschäft zu akzeptieren. Doch Hoeneß legt Wert darauf, auch in Zukunft noch in einen Spiegel schauen zu können, der seine Moral reflektiert und nicht in Frage stellt. Die Freiheit, sich von dem ruinierten Ruf so zu entlasten, daß es sich tatsächlich ganz ungeniert lebt und die medialen und gesellschaftlichen Spiegelwelten auf keinerlei Resonanz mehr treffen, nimmt er sich nicht.

Wie hoch der Kredit ist, der bei einem Steuervergehen gewährt wird, zeigt die Tatsache, daß Hoeneß trotz eingestandener Schuld bis zur Urteilsverkündung auf das Stillhalten der ersten Riege deutscher Großunternehmen setzen konnte, die im Aufsichtsrat des FC Bayern München vertreten sind. Auch wurde die Forderung, vom Amt des Klubpräsidenten zurückzutreten, vor der Verurteilung nie mit einer solchen Vehemenz erhoben, daß ein Festhalten an dem Amt mehr Schaden als Nutzen angerichtet hätte. Wenn dieser Ruf laut wurde, dann explizit aus dem Grund, Schaden vom Fußball abzuwenden. Die Zivilreligion des "sauberen Sports" soll nicht beschädigt werden, denn die Amtskirchen reichen als Katalysator bürgerlicher Sinnstiftung schon lange nicht mehr aus. Je brüchiger die Legende wird, daß der Erfolg eines Vereins im individuellen Kampfesgeist seiner Fußballspieler und nicht in strategisch wohlkalkulierten Kapitalinvestitionen wurzelt, desto aggressiver wird geleugnet, daß der kapitalistisch vergesellschaftete Mensch weder auf dem Fußballfeld noch in Fabrik oder Büro frei von fremdnütziger Bewirtschaftung ist.

So markiert die von Hoeneß in Anspruch genommene Moral über ihre Funktion eines gesellschaftlichen Regulativs, das anhand des symbolischen Tauschwerts von Schuld und Sühne ausgleichende Gerechtigkeit schafft, hinaus die Deutungsmacht, derer sie bedarf, um gesellschaftlich wirksam zu werden. Ihrer sanktionierenden Gewalt nicht nur zu erliegen, sondern über Inhalt und Auswirkung ihrer Normen zu befinden, ist Merkmal eines Status, für dessen Erhalt sich zu kämpfen lohnt. Wasser zu predigen und Wein zu trinken führt nicht zum Aufstand sich als ehrlich gerierender und daher empörter Bürger, sondern festigt ihre Teilhaberschaft an dieser Deutungsmacht. Wenn nun ein Loblied auf den Rechtsstaat angestimmt werden kann, dann hat der Fußballmanager einen gewichtigen Beitrag dazu geleistet.

Als Leistungsträger der neoliberalen Eigentumsordnung hat Hoeneß stets vertreten, daß der Staat wie ein Unternehmen zu funktionieren habe, das seine Kosten radikal kürzt, wenn die geschäftlichen Ziele in Frage gestellt sind. Als Ideal des Entrepreneurs, der seinen Erfolg niemand anderem als sich selbst verdankt, war der Fußballmanager und Wurstfabrikant prominentes Aushängeschild des betriebswirtschaftlich organisierten Staates. Dementsprechend wurde das zentrale Credo neoliberalen Unternehmertums, laut dem Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren sind, nicht einmal gegen ihn verwendet, nachdem er sich als Steuerhinterzieher outete.

Hoeneß hat schlicht im besten unternehmerischen Interesse gehandelt, und das steht nicht in Opposition zu diesem Staat. Die Mobilisierung aller gesellschaftlichen Produktivkräfte kann in der Marktwirtschaft nicht ohne exekutive Gewalt erfolgen. Um diese kostengünstig anzubieten, muß der Staat Steuern eintreiben. Das sieht auch ein Hoeneß so, allerdings soll der Staat nur dort Kostenfaktor sein, wo er Produktivität fördert und nicht etwa unproduktives Leben alimentiert. Er hat mithin guten Grund, seine Strafe reuig zu akzeptieren, speist sich seine gesellschaftliche Existenz doch daraus, daß der Staat als Garant der herrschenden Produktionsweise und Eigentumsordnung anerkannt wird.

Nicht zu erkennen und zu kritisieren, daß die Verwertung des "Humankapitals" in aller Welt nicht nur weit zerstörerischer als die Folgen kleinkrimineller Delikte, sondern auch noch an deren Zustandekommen beteiligt ist, kann als wesentlicher Ertrag dieser Moral bilanziert werden. Hoeneß bleibt auch als gefallener Engel Leistungsträger einer Gesellschaft, deren Befriedung des Postulats der Gerechtigkeit so sehr bedarf wie seiner Mißachtung. Wie die Wurst erst richtig würzig wird durch das Wissen, vom Schmerz ihres Urhebers nicht betroffen zu sein, wie der exklusive Konsum gerade dadurch zum Privileg wird, daß andere Menschen für sein Zustandekommen verbraucht werden, so bringt die Gewalt herrschender Überlebenskonkurrenz die Moral eines Rechts hervor, die jedem das Seinige gibt, der sich auf sie beruft.

Ob Hoeneß nun als bigotter Sachwalter einer neofeudalen Gesellschaft gegeißelt oder als Opfer der Mißgunst anderer Marktsubjekte bemitleidet wird, in jedem Fall trägt er zur Unterdrückung virulenter Konflikte bei. Nicht zuletzt speist sein Fall eine in ihrer Ambivalenz und Bigotterie hochgradig unterhaltsame und lustvolle Kultur gegenseitiger Bezichtigung. Rechtsfragen mit aller byzantinischer Verstiegenheit und winkeladvokatischer Schläue auszuleuchten hält wirksam davon ab, an Machtfragen nur zu denken. Dies verlangte nach klarer Positionierung, und das könnte für die herrschenden Verhältnisse folgenschwerer sein als jedes bürgerliche Sittengemälde.


Fußnoten:

Zur Affäre um Uli Hoeneß siehe auch:
PROPAGANDA/1470: So doppelt die Moral, so einseitig die Absicht (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1470.html

14. März 2014