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HERRSCHAFT/1757: Im sozialen Ausnahmezustand ist mit der Bundeswehr zu rechnen (SB)



Christian Weißgerber findet es "fast witzig, dass die Bundeswehr jetzt so tut, als ob sie mal anfangen müsste, ihre Soldaten zu überprüfen. Die Bundeswehr konnte schon lange wissen, dass viele ihrer Soldaten entweder Sympathien für nationale und rassistische Politiken hegen oder das sogar offen vertreten haben" [1]. Was der selbst wegen rechtsradikaler Aktivitäten unehrenhaft aus der Bundeswehr entlassene ehemalige Nazi über seine Zeit beim Bund zu berichten hat, kann niemanden erstaunen, der sich eingehender mit Vergangenheit und Gegenwart, mit Bekenntnis und Auftrag der Truppe beschäftigt. Von Generälen begründet, die ihre militärische Laufbahn zum Teil noch in der kaiserlichen Reichswehr begonnen haben, um wie ihr erster Generalinspekteur Adolf Heusinger bei der Bekämpfung sowjetischer Partisanen die entschiedene Bereitschaft zu mörderischer Härte unter Beweis zu stellen, auf die antikommunistische, an Hitlers antibolschewistische Ideologie anknüpfende Frontstellung der Bundesrepublik eingeschworen und gegen die große Mehrheit einer Bevölkerung durchgesetzt, die sich kurz nach der Kriegskatastrophe alles andere als die Wiederbewaffnung wünschte, ist die Bundeswehr schon entstehungsgeschichtlich tief in der Tradition der Wehrmacht verankert.

Die auf der wie ein religiöses Glaubensbekenntnis verteidigten Lebenslüge "Böse SS, gute Wehrmacht" fußende Traditionspflege wurde zwar durch Interventionen zivilgesellschaftlicher und antifaschistischer Kräfte erschüttert, doch die in der Benennung von Kasernen nach Wehrmachtsoffizieren, dem Devotionalienkult sogenannter Militaria und der historischen Bezugnahme einzelner Einheiten auf ihre Vorläufer bei der Wehrmacht fortdauernde Kontinuität zu Hitlers Armee, Marine und Luftwaffe ist keineswegs beendet. Im Schatten dieses lediglich formal vollzogenen Bruches und nach der ersatzlosen Beseitigung der Einschränkung deutscher Großmannssucht durch die Vertragsstaaten des Warschauer Paktes stellt die Restauration imperialistischer Kriegführung unter dem Titel der Normalisierung und Beendigung des angeblichen deutschen Sonderweges militärischer Enthaltsamkeit neue Triumphe in Aussicht.

Was dem früheren US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erlaubt ist, kann der Bundeswehr schlechterdings nicht verboten sein. Dieser ließ sich 2002 in der Zeitschrift Foreign Affairs über das angeblich leuchtende Vorbild der Wehrmacht für seine Pläne zur Eroberung des Iraks aus, indem er sich begeistert über den German Blitzkrieg und andere Leistungen des deutschen Aggressors zeigte wie die "absolut tödliche Kombination aus kleinen, aber hochqualifizierten und modern ausgerüsteten Einheiten", die ihre vernichtende Stärke aus der hohen Mobilität wie dem gemeinsamen Vorgehen mit Luftstreitkräften bezogen hätten. Heute, da die Zahl der Offiziere, die in Wort und Schrift ein positives Verhältnis zu aggressiver Kriegführung an den Tag legen, wieder Legion ist, drängt sich die positive Bezugnahme auf eine Wehrmacht, deren NS-Erblast vermeintlich vom rein Militärischen separiert werden könne, geradezu auf.

Das Verwerfliche an Hitlerdeutschland geschichtspolitisch zu isolieren, um als Staat mit diesem Gewaltmittel vollständig handlungsfähig zu sein, entspricht der Relativierung der NS-Verbrechen, die mit der Rechtsdrift in Parteien und Gesellschaft einhergeht. Die Skandalisierung lupenreiner Rechtsdemagogie in Reihen der AfD hält sich auch deshalb in engen Grenzen, weil eine auf sozialdarwinistische Überlebensstrategien zugerichtete Wählerklientel nicht durch humanistische Prinzipien vergrault werden soll, die sich in der Wirklichkeit propagierten Erfolgsstrebens bestenfalls dann bewähren, wenn eine Erwerbstätigkeit daraus gemacht werden kann. Werteuniversalismus war gestern, heute zählt die ad hoc-Entscheidung für Kriegseinsätze nach Maßgabe realpolitischer Opportunität. Selbst die trotz und gerade wegen ihrer völkerrechtlichen Irrelevanz häufig heranzitierte Schutzverantwortung büßt ihre Bedeutung als moralisches Feigenblatt interessenpolitisch begründeter Kriegsstrategie zusehends ein, lassen sich doch die Aufrüstung der Türkei und Saudi-Arabiens beim besten Willen nicht mit etwas anderem begründen als konventioneller Hegemonialpolitik.

Wo eine Staatsräson, die den einstigen Verteidigungskräften abverlangt, im globalen Kampf um verbliebene Ressourcen seinen Mann und ihre Frau zu stehen, eine inhaltliche Verwandtschaft zur Eroberung sogenannten Lebensraumes im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion nicht abstreiten kann, wo das Motto der Bundeswehr "Wir. Dienen. Deutschland." nur drei Punkte weit am originären völkischen Opfermythos vorbeischrammt, wo Heldenmonument, Tapferkeitsorden und Gefallenenkult wieder zur normalen Beweihräucherung der Truppe gehören, kann es nicht erstaunen, daß sich Personen zur Bundeswehr hingezogen fühlen, die sich in einem starken Staat und nationalchauvinistischer Ideologie am besten aufgehoben fühlen. Die Bundeswehr ist ein Hort rechtsgerichteter Kräfte nicht in erster Linie, weil sie die NS-Tradition nicht genügend aufgearbeitet und abgesondert hat, sondern weil der staatsaffine Charakter des Militarismus wie jede andere auf Überleben zum Preis des Todes anderer Menschen geeichte Doktrin dieser Traditionspflege beste Voraussetzungen bietet.

Der sich in der mutmaßlichen Ausbildung rechtsterroristischer Netzwerke innerhalb der Bundeswehr abzeichnenden Gefahr Rechnung zu tragen, hier könnte die Machtfrage im Ernstfall von rechts gestellt werden, wird durch die öffentliche Diskussion über rechte Gesinnung und Traditionspflege unter Soldatinnen und Soldaten denn auch unzureichend thematisiert. Der mit dem stärksten Mittel des staatlichen Gewaltmonopols, den unter Waffen stehenden Streitkräften, durchgesetzten Übernahme der Regierung wird strukturell seit langem der Weg geebnet. Mit den Notstandsgesetzen wurde die Aufhebung prinzipiell notwendiger demokratischer Legitimation verfassungsrechtlich verankert, und das tatsächlich ohne Not, sondern zur Abwehr einer Gesellschaftsveränderung, die die immer obszöner hervortretende soziale Ungleichheit hätte verhindern können.

Die seitdem in kleinen, aber konsequenten Schritten im Rahmen des Terrorkrieges erfolgende Legalisierung bewaffneter Einsätze der Bundeswehr im Innern ist integraler Bestandteil der Einebnung antidiktatorischer Trennungsgebote und differenzierter hoheitlicher Zuständigkeiten staatlicher Gewaltorgane. Wer heute noch an die Gefahren exekutiver Ermächtigung wie im Falle der parlamentarisch flankierten Durchsetzung der NS-Diktatur erinnert, wird mit Sachzwangargumenten eines Schlechteren belehrt. In diesen ist die Saat des potentiellen Putsches jedoch bereits aufgegangen. Verfassungsrechtliche Schutzfunktionen können keine Schönwettergesetze sein, die gerade dann abgeschwächt werden, wenn die Gefahr, für deren Einhegung sie geschaffen wurden, real zu werden droht.

Die scharfen Reaktionen vieler Politiker und Journalisten nach dem ersten Versuch der Verteidigungsministerin, der von terrorismusverdächtigen Bundeswehrangehörigen ausgehenden Gefahr nach Maßgabe ihres Amtes entgegenzutreten, könnten nicht besser dokumentieren, wie groß die Bereitschaft der Funktionseliten dieses Landes ist, sich die Tür zum Ergreifen drastischer Maßnahmen des Krisenmanagements offenzuhalten. Das an einen Kniefall vor der Generalität und den Schreibtischkriegern in den Redaktionen gemahnende Zurückrudern Ursula von der Leyens stellt hinlänglich klar, daß mit der sogenannten Parlamentsarmee zu rechnen ist, wenn die sozialen Widersprüche in der Bundesrepublik und EU eskalieren. Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet, lautet das berühmte Diktum des NS-Staatsrechtlers Carl Schmitt, der sich nicht nur in der Neuen Rechten großer Beliebtheit erfreut. Und Souveränität ist die Währung, mit der der deutsche Imperialismus rechnet, wenn seine Sachwalter eine Handlungslogik propagieren, die das kapitalistische Weltsystem ausschließlich als Schlachtfeld miteinander um Vormachtstellungen konkurrierender Staatssubjekte begreift.


Fußnoten:

[1] http://www.tagesschau.de/inland/neonazi-bundeswehr-101.html

14. Mai 2017


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