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HERRSCHAFT/1787: Israel - der Eroberung letzter Schritt ... (SB)



Nicht genug, dass die EU Nichtregierungsorganisationen finanziert, die darin bestrebt sind, den israelischen Staat zu untergraben, sowie illegale Bauten finanziert, sie greift nun auch in die israelische Gesetzgebung ein.
Netanjahu zur Rüge des EU-Botschafters Emanuele Giaufret [1]

Die arabischen Staatsangehörigen Israels und damit etwa 20 Prozent der Bevölkerung werden als Bürger zweiter Klasse behandelt. Sie werden seit Jahrzehnten im Zugang zu Wohnraum, Gesundheitsversorgung, Bildung und einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst diskriminiert, vom alltäglichen Erleben rassistischer Erniedrigung ganz zu schweigen. Die Mehrheitsmeinung im Land fordert unverhohlen, Menschen jüdischen Glaubens bevorzugt zu behandeln. Mit der Verabschiedung des "Nationalstaatsgesetzes" ist die Diskriminierung der arabischen Minderheit nun in den Verfassungsrang erhoben worden. Das stellt eine neue Qualität der Ungleichbehandlung dar, weil es fortan als ein Grundgesetz über den anderen Gesetzen steht, die etwa Gleichheit oder Minderheitenrechte postulieren.

Bei der israelischen Staatsgründung 1948 war den "in Israel lebenden Arabern" noch "volle bürgerliche Gleichberechtigung und entsprechende Vertretung in allen provisorischen und permanenten Organen des Staates" versprochen worden [2]. Vor etlichen Jahren hat der Staat Israel begonnen, sich offiziell als "jüdisch und demokratisch" zu definieren. Das rief zwangsläufig Kritik auf den Plan, da die beiden Begriffe angesichts des beträchtlichen nichtjüdischen Bevölkerungsanteils nicht gleichwertig nebeneinander, im Grunde sogar in Widerspruch zueinander stehen. Würde sich beispielsweise die Bundesrepublik als "christlicher und demokratischer" Staat definieren, bräche dies mit der säkularen Verfaßtheit des deutschen Staates und dem Gleichheitsgebot, wäre also mit dem Grundgesetz unvereinbar.

Im Text des Gesetzes, welches nun Israel als den "Nationalstaat für jüdische Menschen" definiert, ist die Bezeichnung "demokratisch" nicht mehr enthalten, so daß man auf der Suche nach einer angemessenen verfassungsrechtlichen Kategorie von einer Art Gottesstaat sprechen müßte, der Andersgläubige einen untergeordneten Status zuweist. Im Gesetzestext ist nicht vom "israelischen" Volk, sondern ausschließlich vom "jüdischen" Volk die Rede. Mithin wird die Zugehörigkeit zum Judentum über die Staatsangehörigkeit gestellt, was alle Jüdinnen und Juden weltweit zum Souverän erklärt, während den israelischen Palästinenserinnen und Palästinensern dieses Recht abgesprochen wird. Daß von ihnen mit keinem Wort die Rede ist, als existierten sie überhaupt nicht, läßt für den künftigen Umgang mit ihnen noch Schlimmeres befürchten, als ihnen ohnehin schon angetan wird.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu begrüßte das Abstimmungsergebnis mit den Worten: "Das ist ein entscheidender Moment in der Geschichte des israelischen Staates." 122 Jahre nach Theodor Herzls Ankündigung seiner Vision habe Israel damit "das Gründungsprinzip seiner Existenz bestimmt". Israel sei gleichzeitig der Nationalstaat des jüdischen Volkes, wie es als einziger Staat im Nahen Osten die Rechte aller Bürger respektiere. [3] Indem Netanjahu implizit den Gründungsmythos, wonach "ein Volk ohne Land" in ein "Land ohne Volk" eingezogen sei, für vollendet erklärt, weil die palästinensische Bevölkerung darin nicht mehr auftaucht, kann er in derselben Logik der Okkupation fortfahren, daß die Rechte aller Bürger respektiert würden, bei denen es sich per nun beschlossener Definition ja ausschließlich um jüdische Menschen handelt.

Diesen tiefgreifenden Umbau der Verfassung auf den Weg zu bringen war ungeachtet der lange schon in diese Richtung weisenden Vorgeschichte nicht einfach. Bereits seit vier Jahren wurde über das Gesetz diskutiert, wobei es der wechselseitigen Verstärkung sich häufender reaktionärer Gesetzesinitiativen und einer zunehmenden Rechtsdrift der israelischen Gesellschaft bedurfte, um das Tor endgültig aufzustoßen. Dabei fielen die ursprünglich vorgesehenen Entwürfe so repressiv aus, daß das Paket vor der Abstimmung noch einmal geringfügig entschärft werden mußte, um einige krasse Ansatzpunkte zu erwartender Kritik aus dem Spiel zu bringen. Israel rügte den EU-Botschafter Emanuele Giaufret, der rassistische Tendenzen in dem Gesetz kritisiert hatte. [4] Der israelische Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit warnte vor internationalen Konsequenzen, sollte das Gesetz in der zunächst diskutierten Form verabschiedet werden. Auch Präsident Reuven Rivlin hatte sich gegen den ursprünglichen Entwurf des Gesetzes gestellt. [5]

Nach einer stundenlangen teils hitzigen Debatte wurde das Gesetz mit 62 zu 55 Stimmen verabschiedet. Unmittelbar danach zerrissen arabische Mitglieder der Knesset aus Protest Kopien des Gesetzes und wurden daraufhin des Saales verwiesen. Der Abgeordnete Ahmed Tibi verkündete "mit Staunen und Trauer den Tod der Demokratie", die Rede war auch von "kolonialistischen" Merkmalen und "Schlüsselelementen von Apartheid". Benny Begin, Sohn des verstorbenen früheren Ministerpräsidenten und Gründers von Netanjahus Likud-Partei Menachem Begin, hatte sich der Stimme enthalten. Die Partei sei auf dem Weg, sich von den Menschenrechten zu entfernen. Im Ausland kritisierte das Amerikanische Jüdische Komitee, das die jüdische Diaspora vertritt, die Verabschiedung des Gesetzes sei eine tiefe Enttäuschung. Es gefährde "die Verpflichtung der Gründer Israels, ein Land aufzubauen, dass zugleich jüdisch und demokratisch ist".

Auch das "entschärfte" Gesetz hat die ursprünglich intendierte Stoßrichtung nicht eingebüßt. So bleibt das Recht auf nationale Selbstbestimmung ausschließlich der jüdischen Bevölkerung vorbehalten. Das Einwanderungs- und Einbürgerungsrecht für alle Jüdinnen und Juden weltweit wird bekräftigt, das "vereinigte Jerusalem" als Hauptstadt bezeichnet. Hebräisch soll offizielle Nationalsprache werden, die bisherige Amtssprache Arabisch bekommt lediglich einen Sonderstatus. Ein Passus, der die Legalisierung von rein jüdischen Gemeinden vorsah, wurde durch eine Formulierung ersetzt, welche die jüdische Siedlungstätigkeit zum nationalen Wert erklärt. Während das jüdische historische und kulturelle Erbe aktiv vom Staat gefördert werden soll, wird anderen Gruppen lediglich ein Recht auf Wahrung ihres kulturellen Erbes zugesprochen. Fahne, Nationalhymne, der hebräische Kalender und jüdische Feiertage werden als Nationalsymbole festgeschrieben.

Das Gesetz richte sich vor allem gegen die palästinensische Minderheit, kritisiert der Leiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv, Tsafrir Cohen. [6] Israelische Araber seien bereits de facto Bürger zweiter Klasse gewesen, doch jetzt werde das offiziell festgeschrieben. Das Gesetz füge sich nahtlos in eine Welle antidemokratischer Gesetzgebungen der letzten Jahre in Israel ein, die mit aggressiven Kampagnen gegen Linke, Liberale, Besatzungsgegner und die palästinensische Minderheit einhergingen, die alle zur Fünften Kolonne erklärt wurden. Weitere Schrumpfungen demokratischer Räume seien gewiß zu erwarten. Beispielsweise hätten 99 Prozent der israelischen kleinen Gemeinden, die in den letzten 70 Jahren aufgebaut wurden, keine Araber oder Palästinenser aufgenommen. Künftig könne man nicht einmal mehr vor Gericht geltend machen, daß man benachteiligt worden sei. Nichtjuden würden fortan in Fragen des Niederlassungsrechts, des Landeigentums, der Migration und der Familienzusammenführung absehbar diskriminiert. Wenngleich Arabisch als amtliche Zweitsprache diesen Status nie wirklich innegehabt habe, verliere sie ihn nun insgesamt. Für die Präsenz der arabischen Sprache im öffentlichen Raum sei das ein schwerer Schlag, da man gegen fehlende Erklärungen etwa in Zügen oder bei Straßennamen nicht einmal mehr klagen könne.

Dennoch wirft Cohen die Flinte nicht ins Korn, sondern verweist auf eine starke Opposition gegen die Entdemokratisierung in Gestalt einer Koalition von Linken, Vertretern der palästinensischen Minderheiten und anderen Kräften, welche die Rechtsstaatlichkeit hochhalten. Das Ziel sei ein demokratischer, multikultureller und egalitärer Staat, in dem alle Staatsbürger Israelis sind und nicht Juden sein müssen, mit Rechten für die jüdische Mehrheit und für die palästinensische Bevölkerung. Es gebe tatsächlich Widerstand im Land und er werde stärker werden. Das letzte Wort sei noch nicht gesprochen.

Dies zu bekräftigen ist dringend geboten, entledigt sich der Staat Israel doch mit Riesenschritten und nun auch verfassungsrechtlich verankert verbliebener Standards und Verfahrensweisen, die ihn als demokratisch definieren und ausweisen. Restriktive NGO-Richtlinien, Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Einstellung der Förderung mißliebiger Kulturprojekte, Ausschluß von Abgeordneten der Knesset per Mehrheitsbeschluß, der geplante Flaggenzwang bei Veranstaltungen, an denen ein Regierungsmitglied oder Parlamentsabgeordnete teilnehmen und die angestrebte Strafbarkeit des Fotografierens oder Filmens von israelischen Soldaten mit dem Ziel, "Soldaten oder israelische Zivilisten zu demoralisieren" zeugen von einer Wagenburgmentalität, die einer nationalistischen, fundamentalistischen und rassistischen Doktrin von Repression und Waffengewalt zu verfallen droht.


Fußnoten:

[1] www.n-tv.de/politik/Premier-Netanjahu-ruegt-EU-Botschafter-article20528264.html

[2] www.jungewelt.de/artikel/336300.exklusive-demokratie.html

[3] www.zeit.de/politik/ausland/2018-07/knesset-israel-benjamin-netanjahu-hebraeisch-gesetz-siedlungen

[4] www.spiegel.de/politik/ausland/israel-verabschiedet-umstrittenes-nationalitaetsgesetz-a-1219159.html

[5] www.tagesschau.de/ausland/israel-nationalstaat-101.html

[6] www.deutschlandfunk.de/nationalitaetengesetz-in-israel-dieses-gesetz-wird-alle.694.de.html

20. Juli 2018


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