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HERRSCHAFT/1808: Klima und Soziales - Bewegungen wachsen an ... (SB)



Wir können nicht mehr die Aufgabe übernehmen, das Ganze berechenbar zu machen. Die Herrschaft der Ökonomie ist die Herrschaft des Elends, weil alles dem Kalkül unterworfen wird. Das Schöne an den Blockaden in den Straßen und allem, was wir seit drei Wochen getan haben, liegt darin, daß wir in gewisser Weise bereits siegreich sind, weil wir in dem Moment aufgehört haben zu zählen, als wir damit begonnen haben, aufeinander zu zählen.

Prochaine Station: Destitution [1]

Macron selbst hat es vorgemacht. Die praktisch aus der Retorte der Politikberatung geschaffene "Bewegung" En Marche bestritt seinen Wahlkampf im Stile einer Produktwerbung, die ganz darauf baut zu vergessen, daß das als neu und unverbraucht Angepriesene immer das Alte und Abgewirtschaftete von morgen ist. Nach dem Wahlsieg, der zu einem Gutteil der Verhinderung der rechten Konkurrenz von Marine Le Pen geschuldet war und Macron keineswegs zum Wunschpräsidenten einer Mehrheit der Bevölkerung Frankreichs machte, kurzerhand zur Partei Republique En Marche (LREM) umdeklariert, marschierte die Bewegung ins Parlament und durch die Institutionen. Mit einem handverlesenen Personal aus erfolgsverwöhnten Freiberuflern, wohlhabenden Geschäftsleuten und leitenden Angestellten vollzog Macron die imperiale Revolution von oben mit einem Steuergeschenk von 35 Milliarden Euro für die großen Unternehmen und der Abschaffung der Vermögenssteuer.

Doch der postmoderne Sonnenkönig biß mit seinem Projekt, die mit den neoliberalen Reformen in Frankreich anwachsenden Klassenkonflikte durch die Transformation der EU auf eine höhere Ebene zwischenstaatlicher Umverteilung und daraus resultierende Mitnahmeeffekte für das Wirtschaftswachstum seines Landes zu befrieden, auf teutonischen Granit. In Berlin will man sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen, denn das deutsche Exportmodell kann innerhalb der Eurozone nur als geschlossenes System kommunizierender Röhren funktionieren. Die daraus gezogenen Vorteile lassen sich nicht kopieren, ohne die Nachteile anderer an den Euro gebundener Staaten zu vergrößern, daher kam es aus Berlin zu keinen Handreichungen in Richtung Paris, die Macron aus der Klemme schwachen Wachstums und unzureichender Staatsfinanzierung hätten helfen können [2].

Die Ankündigung einer ökologisch begründeten Steuerreform, durch die die Treibstoffpreise am 1. Januar 2019 erheblich erhöht worden wären, führte schon bald zu Unmutsbekundungen wie einer von Hunderttausenden unterzeichneten Online-Petition gegen die Verteuerung des Autofahrens. Auch die Mobilisierung zu den landesweiten Blockadeaktionen am 17. November begann mehr als einen Monat zuvor. Die neue Bewegung, an der sich rund 2000 einzelne Gruppen beteiligten, entstand nicht ganz so spontan, wie in der internationalen Berichterstattung vermittelt, sondern ergab sich aus Absprachen im Internet, an diesem Tag die gelbe Warnweste, die jedes Auto mit sich führt, anzuziehen und den Straßenverkehr an Kreisverkehren und Mautstellen lahmzulegen.

Die Spontaneität der Bewegung lag vielmehr darin, keiner zentralen Führung in Form eines Sprechergremiums oder anderer hierarchischer Rangfolgen zu bedürfen, sondern dezentral und horizontal aus der Wut über eine neuerliche Teuerung, die das Überleben insbesondere in strukturschwachen Gebieten belastete, zu erwachsen. Die Menschen erhoben sich für eine erschwingliche Reproduktion ihrer Arbeitskraft, für eine Basis an Subsistenz, die sie vor Hunger und anderen existentiellen Bedrohungen schützte. Ob erwerbslos, lohnabhängig oder verrentet, sie wollen sich nicht noch mehr Butter vom Brot nehmen lassen, weil diese sowieso nur noch hauchdünn aufgetragen werden kann. Insofern geht es den Gelbwesten um ein alltägliches Anliegen, wie auch die Erklärungen signalisierten, sie seien eine apolitische Bewegung.

Diese anfangs häufig zu vernehmende Aussage konnte vom etablierten Politikbetrieb, gerade weil sie genau dagegen gerichtet war, nicht anders als Einladung verstanden werden, sich der Bewegung zu bemächtigen oder die dagegen gerichtete Resistenz mit Ausgrenzung und Stigmatisierung abzustrafen. Dabei könnte die Direkte Aktion, die logistischen Lebensadern einer Gesellschaft abzuklemmen, um konkrete Forderungen zu erheben, kaum weniger politisch sein. In dem Moment, in dem antagonistische Positionen bezogen werden, fordert eine auf Massenbasis in Erscheinung tretende Handlungsfähigkeit die Reaktion des Staates heraus. Anklänge an die französische Revolution lagen in der Luft, etwa wenn der Präsidentengattin Brigitte Macron in einem Graffiti Worte in den Mund gelegt wurden, die an ein berühmtes, angeblich von der unter dem Fallbeil geendeten Königin Marie Antoinette stammenden Zitat gemahnen: Nun, dann gebt ihnen doch Biotreibstoff.

Im Widerschein der prachtvollen Inszenierung zentralistischer Macht, für die Macron kurz nach seinem Amtsantritt die Nationalversammlung im Schloß von Versailles antreten ließ, als sei sie eine Empfängerin präsidialer Befehle, hätten die Gilets Jaunes nicht alltäglicher und volkstümlicher auftreten können. Der PR-technisch wohldurchdachten "Bewegung" von oben setzten sie eine Erhebung von unten entgegen, die sich politisch nicht einordnen ließ, nicht nach Erlaubnis zum demonstrieren und blockieren fragte und vor einer Militanz nicht zurückschreckte, wie sie Frankreich seit langem nicht mehr erlebt hatte.

Dem gar nicht so diskreten Charme der metropolitanen Bourgeoisie setzten sie in den folgenden Wochen Straßenkämpfe im Zentrum der Hauptstadt und Plünderungen in den teuersten Einkaufsmeilen entgegen. Mit erstaunlicher Hartnäckigkeit wurde der Aufstand zum samstäglichen Ritual nicht nur in Paris, wo das Ziel der DemonstrantInnen offensichtlich in der Erstürmung von Macrons Élysée-Palast unweit des Champs-Élysées bestand, sondern in vielen größeren und kleinen Städten der Provinz. Zwar wurde die Zahl von 300.000 Gelbwesten, die am 17. November den Straßenverkehr lahmlegten, nicht wieder erreicht, doch selbst kurz vor Weihnachten am 22. Dezember waren die Gelbwesten in Paris und anderswo wieder auf der Straße.

In ihren Forderungen moderat und schon mit einer sozialdemokratischen Umverteilungspolitik zufriedenzustellen, kündete die Militanz ganz normaler BürgerInnen dennoch von einer neuen Form des sozialen Widerstandes. Die prekarisierte Bevölkerung meldete sich mit einer Vehemenz zu Wort, die, dem Stand postmoderner Individualisierung und neoliberaler Geschichtslosigkeit gemäß, auf der Höhe der Zeit einlöste, was 1792 und im Mai 1968 den damaligen Umständen gemäß zwar zu tiefgreifenden Umwälzungen führte oder diese zumindest anstrebte. Das Wissen um diese für heutige Verhältnisse in Westeuropa neue Qualität gesellschaftlicher Kämpfe ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen.


Unter der Lupe ideologiekritischer Bewertung

Bauchschmerzen bereitete dieser Aufstand nicht nur Präsident Macron und seiner Regierung. Obwohl verschiedene Forderungen der Gelbwesten Anfang Dezember - die geplante Erhöhung der Kraftstoffsteuer wurde eingefroren, der Mindestlohn wurde erhöht, die Renten wurden entlastet, Abgaben auf Überstunden entfielen - erfüllt wurden, führte das keineswegs zu einem Ende der Erhebung. So hatte Macron sich der ebenfalls verlangten Wiedereinführung der Vermögenssteuer entschieden verweigert. Es war etwas losgebrochen, das sich nicht mit üblichen Kategorien benennen, bewährten Befriedungsmaßnahmen einbinden und polizeilicher Repression unterdrücken läßt. Für Irritation und Desorientierung sorgten die Gelbwesten daher auch bei den professionellen AkteurInnen des politischen Geschehens in Medien, Parteien und Gewerkschaften.

So mißtraute die Linke diesseits wie jenseits des Rheins dem populistischen Charakter des Geschehens und verortete es angesichts einiger Exponenten der extremen Rechten im Lager des politischen Gegners. Allein die vermeintlich antiökologische Forderung nach billigem Treibstoff bot Anlaß zur Skepsis. Doch der Nexus von geplanter Besteuerung, nichtvorhandenen Verkehrsmitteln in ländlichen Regionen und staatsautoritärer Durchsetzung des grünen Kapitalismus hatte eine adäquate Antwort erhalten. Warum sollten einkommensarme Menschen die Rechnung für die Aufheizung der Atmosphäre bezahlen, die die Reichen mit ihrem Luxuskonsum, ihren SUVs und Flugreisen in weit höherem Ausmaß zu verantworten haben? Wer gerade in der Provinz das Auto benötigt, um überhaupt Erwerbsarbeit verrichten zu können, strebt dennoch keine Verschlechterung der ökologischen Lebensbedingungen an, sondern wird in seinem Naturverbrauch von trivialen Sachzwängen bedingt. In der Folge kam es denn auch zur Beteiligung von KlimaaktivistInnen an den Protesten der Gelbwesten als auch deren Auftreten auf Demonstrationen gegen Umwelt- und Naturzerstörung.

Auch daß unter den Gelbwesten ebenso Forderungen nach offenen Grenzen wie fremdenfeindliche Ressentiments präsent waren, läßt sich nicht ohne weiteres auf die Gleichung eines Querfrontbündnisses zwischen rechts und links reduzieren. In beiden Fällen, der über den Markt geregelten Reduzierung von Treibhausgasen wie der Abwehr flüchtender Menschen, die nicht zuletzt aus klimabedingter Existenznot in der EU leben wollen, entscheidet der Primat der Staatsgewalt darüber, wer privilegiert ist und wer zahlen, wer dazugehört und wer draußenbleiben muß. Der in dem Aufstand der Gilets Jaunes hervortretende Klassenantagonismus muß nicht zwingend in die Arme einer extremen Rechten führen, die den liberalen Eliten Verrat an Volk und Nation vorwirft. In beiden politischen Lagern steht außer Frage, daß es ohne autoritäre Repression nach innen und imperialistische Kriegen nach außen nicht geht. Wird an der Basis der Bevölkerung einmal begriffen, daß sie es bei der sogenannten politischen Mitte und ihrem rechten Rand keineswegs mit unvereinbaren Gegensätzen zu tun hat, sondern zweckmäßig auf die jeweiligen Erfordernisse staatlicher und kapitalistischer Herrschaft ausgerichtete Funktionen unterschiedlicher Couleur, dann könnte die Strategie nationalistischer und rassistischer Klassenspaltung auch scheitern.

Insofern handelt es sich bei den Gelbwesten um eine für ihre weitere politische Ausrichtung noch offene antagonistischen Bewegung, die die Festung Europa ebensogut von innen sprengen könnte, wie in ihr eingekerkert zu werden. Alèssi Dell'Umbria, der in dem auf deutsch erhältlichen Buch "Wut und Revolte" die landesweiten Unruhen in den französischen Vorstädten im Herbst 2005 untersucht hat und zu den Vordenkern der radikalen Linken Frankreichs gehört, berichtet unter dem Titel "Wir sind alle Kinder von Marseille" über die Vielfalt der Akteure, aus denen sich der Aufstand dort zusammensetzte:

Am Samstag, den 8. Dezember, gibt es mehrere Aufrufe in der Stadt zu erscheinen. 2000 Gilets Jaunes fließen am späten Morgen in den Alten Hafen und versuchen dann vergeblich zu den Hafenterrassen in La Joliette zu marschieren. Die Rue der la République wird ihnen durch Gasgranatenhagel versperrt. Zeitgleich beginnt die Klima-Demo um 15.00 an selbiger Stelle, marschiert die Canebière hinauf, um dann in den Cours Lieutaud einzubiegen. Viele Gilets Jaunes nehmen an dieser Demonstration teil. Hinter der Brücke [welche die Rue d'Aubagne über den Cours Lieutaud führt] taucht eine von zwei Piratenflaggen angeführte zweite Demonstration auf, vom Cours Julien kommend, die sich unter Applaus mit der Demonstration vereint. Auch Gangs von Jugendlichen aus den Vierteln sind gekommen, einige haben bereits die Woche über vor ihren Schulen mit der Polizei gekämpft. [3]

HafenarbeiterInnen der Gewerkschaft CGT schützen protestierende SchülerInnen vor der Polizei, der Plebs vergreift sich an den Edelboutiquen der Haute Volee, Gilets Jaunes verteidigen, wie einst im Istanbuler Gezi Park, den Baumbestand der Stadt - das ist nur ein Szenario unter vielen, die ganz Frankreich von Mitte November bis Weihnachten erschütterten. Wenn demgegenüber der Vorzeigeintellektuelle Bernard-Henri Lévy und der Grünenpolitiker Daniel Cohn-Bendit die Bewegung als potentiell faschistisch und als autoritär verurteilen, sollte nicht vergessen werden, daß es sich in beiden Fällen um ausgemachte Fürsprecher imperialistischer Kriege wie den Überfall Frankreichs und Großbritanniens auf Libyen oder der NATO auf Jugoslawien handelt.

Im Spannungsverhältnis zwischen einer paternalistischen Staatslinken und einer sich allen Kategorisierungsversuchen verweigernden Aufstandsbewegung kann die inhaltliche Nähe von liberaler Freiheitslyrik und neoliberalen Zwangsverhältnissen nicht unbemerkt bleiben. Schließlich schmücken sich Lévy und Cohn-Bendit als Exponenten einer sich links verortenden Funktionselite mit einer Kritik am Rechtsextremismus, die, von jeglicher Analyse kapitalistischer und neokolonialistischer Gewaltverhältnisse entkoppelt, mehr auf symbolischer denn politischer Ebene agiert. Zweifellos erhält der Kampf gegen Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und Homophobie von dieser Seite her Unterstützung, zugleich tut sich die verbürgerlichte Linke schwer damit, den identitätspolitisch legitimierten Klassenkampf von oben oder den Neokolonialismus der sogenannten freien Welt mit gleicher Vehemenz zu verurteilen. Kurz gesagt, im Verhältnis zwischen einer institutionell und beruflich abgesicherten, zumal mit distinktionssicherem Instinkt für ihr soziales Kapital ausgestatteten Linken und einer eher proletarischen, häufig "bildungsfernen" Bewegung wie die der Gelbwesten können sich ihrerseits Antagonismen abbilden, die der sozialen Revolution, so sie jemals erfolgte, von vornherein kaum überwindliche Hindernisse in den Weg legte.

Das Ausspielen der Menschen anhand horizontal in Stellung gebrachter Feindbilder funktioniert nur so lange, als die Klassenantagonismen ungestört von oben, von Regierungen, Parteien und Medien, bewirtschaftet werden. Solange die Bewegung der Gelbwesten widerständig in Erscheinung tritt, scheint ihre Vereinnahmung durch die nationalchauvinistische Rechte nicht wirklich gelungen zu sein. So belegen Berichte über die Absetzung eines regionalen Sprechers aufgrund seiner rechten Gesinnung und das Verprügeln eines bekannten rechten Funktionärs während der Kämpfe auf den Champs-Élysées wie die Unterstützung von Amazon-Streiks durch die Gelbwesten die Diversität der Bewegung. Marine Le Pen kapitulierte vor der Unberechenbarkeit der Straße und forderte zur Beendigung des Aufstandes und seiner Fortsetzung an den Wahlurnen auf. Gerade ihre Partei, die Rassemblement National, steht nicht für die Erschütterung des Staates, sondern seine Stärkung durch zentralistische und autoritäre Strukturen. Bei allen Unterschieden in der Bewertung der EU ist sie sich mit Macron im Ruhm der Grande Nation und der aggressiven Sicherung ihrer Grenzen wie ihrer Klassenschranken einig. Versucht sich der Präsident am Aufbau eines von Frankreich und Deutschland hegemonial kontrollierten EU-Imperiums, so frönt auch Le Pen der Rhetorik von der Grande Nation, deren vermeintliche Größe sie eher mit einem starken NATO-Partner Deutschland als gegen ihn erhalten will.

Auf der anderen Seite des parteipolitischen Spektrums versucht Jean-Luc Mélenchon, die Gelbwesten zu einem Gefährt seiner politischen Ambitionen im Rahmen von La France insoumise zu machen. Doch viele Linke haben Berührungsängste mit einer Bewegung, die zu großen Teilen aus ganz normalen BürgerInnen besteht, von denen viele erstmals an militanten Protesten teilgenommen haben. Daß diese, wie Straßeninterviews zeigen, ein unverkrampftes Verhältnis zur Sachbeschädigung haben, weil ansonsten ja sowieso niemand auf sie hört, bringt eine in Bildungsinstitutionen und Parlamenten mit guten Gehältern festverankerte Linke, die jeden radikalen Aufbruch zuerst auf die ideologiekritische Feinwaage legen muß, so daß sie bei dem über Gelingen und Scheitern eines Aufstandes entscheidenden Timing häufig versagt, nicht umsonst in Verlegenheit.


Gegen die soziale Katastrophe helfen keine Appelle

Die Frage, wie halte ich es mit den Gelbwesten im Zeitalter einer Restlinken, die im neoliberalen Spätkapitalismus nicht mehr über das revolutionäre Subjekt eines massenhaften Industrieproletariats verfügt, sondern in den Trümmern der postmodernen Deindustrialisierung und der informationstechnisch beschleunigten Atomisierung der Gesellschaft bestenfalls Fragmente politischer Subjektivität zusammenkittet, kann getrost offen bleiben. Wenn es schon zu keiner spontanen Solidarisierung kommt, dann kann weiter abgewartet werden, bis die Sache praktisch entschieden ist. Die vorhandenen Bruchlinien sind bereits im zahlenmäßigen Abschmelzen der samstäglichen Aktionen manifest geworden, was deren Dauer wie der Fortbestand zahlreicher regionaler und kommunaler Komitees und Treffpunkte der Gelbwesten um so bemerkenswerter macht. Wer immer nach ideologischer Reinheit verlangt, sollte sich nicht zuletzt selbst prüfen.

Wie korrumpierbar auch antikapitalistisch orientierte Bewegungen sein können, bedarf nach der Karriere vieler BRD-Linker zu Sachwaltern neoliberaler Klassenherrschaft und imperialistischer Weltaufteilung keiner weiteren Erläuterung. Franz Josef Degenhardt wußte schon vor 50 Jahren, lange vor dem so nicht gemeinten Marsch durch die Institutionen, auf den Internationalen Essener Songtagen ein Lied davon zu singen:

Nehmen wir mal an:
Frankreich würde Deutschland sein.
Dann wüsste da plötzlich keiner mehr
was das ist: die Solidarität?
Nicht mal wenn man den Notstand probiert
und es um Tod oder Leben geht.
Generalstreik? Daran dächte auch keiner mehr
weil so ein Streik ja verboten wär... [4]

In England macht derweil die Bewegung Extinction Rebellion (XR) mit Blockadeaktionen und anderen Formen zivilen Ungehorsams von sich reden. Sie drängt auf den schnellen Vollzug aller notwendigen Maßnahmen zur Einschränkung des Klimawandels und weiterer Biodiversitätsverluste. Entscheidend für den Aufbau ihrer Handlungsfähigkeit ist, daß die AktivistInnen sich nicht durch Polizeigewalt und Knast davon abhalten lassen wollen, ihre Ziele durchzusetzen. Sicherlich nicht so militant wie die Gilets Jaunes auf der anderen Seite des Kanals birgt auch Extinction Rebellion den Keim einer Massenbewegung in sich. Ohne Mobilisierung im großen Maßstab wird sich die soziale Katastrophe, die die expansive Bewirtschaftung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse in immer größerem Ausmaß hervorbringt, nicht aufhalten lassen.


Fußnoten:

[1] https://lundi.am/Prochaine-station-destitution

lundimatin 168, le 7 décembre 2018:
Nous n'en pouvons plus de devoir compter pour tout. Le règne de l´économie, c´est le règne de la misère parce que c´est en tout le règne du calcul. Ce qu´internationalen y a de beau sur les blocages, dans la rue, dans tout ce que nous faisons depuis trois semaines, ce qui fait que nous sommes en un sens déjà victorieux, c´est que nous avons cessé de compter parce que nous avons commencé à compter les uns sur les autres.

[2] https://www.heise.de/tp/features/Wolfgang-Schaeuble-Revolutionsfuehrer-wider-Willen-4258688.html

[3] https://non.copyriot.com/wir-sind-alle-kinder-von-marseille/

[4] https://www.youtube.com/watch?v=jojiBhBpWII&feature=youtu.be&list=PLDXwmxM2Mi2iWltA_i4ROXd41OfUu7&fbclid=IwAR2qjQ7S2gzHq7-CUCazoBEOuzMhrNQ_Wc959kMPziRQpty3KooecluIKGU

29. Dezember 2018


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