Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


HERRSCHAFT/1813: Europa und die Linkspartei - angekommen und gelandet ... (SB)



Das war ein politisch entkernter Parteitag. Mit so wenig Profil wird es schwer mit der Daseinsberechtigung. Da reichen Grüne und SPD aus. Ich hätte mir gewünscht, dass wir mehr Kante zeigen und nicht mit angezogener Handbremse in den Wahlkampf gehen. Die Linke hat nur eine Chance, wenn sie wirklich linkes Profil zeigt.
Alexander Neu (Verteidigungsexperte der Linksfraktion im Bundestag) [1]

Die Linkspartei zieht mit einem profilarmen und zahnlosen Programm in die Europawahl am 26. Mai. Sie einigte sich bei ihrem Parteitag in Bonn auf einen Kompromißvorschlag, der keine Abkehr von der EU, aber weitreichende Reformvorschläge zum Inhalt hat. Vertreter des linken Flügels wie der eingangs zitierte Alexander Neu beklagen die zunehmende Entsorgung substantieller EU-kritischer Positionen zugunsten eines "Neustarts" der Europäischen Union. Bringt man dieses in politischen Debatten gern kolportierte, aber selten hinterfragte Lösungskonzept auf seinen inhaltlichen Punkt, läuft das Vorhaben darauf hinaus, bei unveränderter Hard- und Software das System neu hochzufahren, um zwischenzeitlich aufgelaufene Störungen und Verwerfungen auszubügeln. Wenngleich wohl niemand in Kreisen der Linkspartei behaupten würde, daß diese Korrektur wie von selbst passiert, zumal ja ein "Politikwechsel" dringend angemahnt wird, hat sich doch die Auffassung, wogegen man antritt, erheblich gewandelt. So spricht die Partei in ihrer breiten Mehrheit längst nicht mehr von antikapitalistischen und antiimperialistischen Positionen, sondern meidet selbst abgeschwächt-kritische Charakterisierungen der EU wie der Teufel das Weihwasser.

Vor der Europawahl 2014 hatte Oskar Lafontaine der Partei noch eine Debatte über den Euro aufgedrückt, während der linke Flügel mit seiner Formulierung, die Grundlagen der EU seien "militaristisch, undemokratisch und neoliberal" auf heftigen Gegenwind traf. In der Folge gab die Linkspartei damals ein eher zwiespältiges Bild ab und erzielte recht enttäuschende 7,4 Prozent der Stimmen, deutlich weniger als bei der Bundestagswahl 2017 mit 9,2 Prozent. Diesmal drängte der Vorstand von vornherein auf eine klare proeuropäische Position und entfernte die abermals eingebrachte Wortwahl bereits im Vorfeld aus der Präambel des Leitantrags, wo es statt dessen wachsweich hieß: "Die Europäische Union ist nicht so, wie wir sie wollen. Gemeinsam mit anderen linken Parteien stehen wir für einen grundlegenden Politikwechsel in der Europäischen Union." Das Wahlprogramm trug den Titel "Für ein solidarisches Europa der Millionen, gegen eine Europäische Union der Millionäre". [2] Wenngleich sich bei politischen Parolen, zumal in Wahlkampfzeiten, griffige Wortspiele stets besonderer Beliebtheit erfreuen, ist dieses Leitmotiv aus der populistischen Mottenkiste denn doch extrem irreführend. Es gaukelt eine Welt vor, die im Kern an einer kleinen Clique von Millionären krankt, deren Abschaffung die Menschheit befreien würde.

Vor dem Europaparteitag hatte der rechte Reformerflügel um Gregor Gysi und Stefan Liebig die Akzente gesetzt und die Partei auf einen proeuropäischen Kurs getrimmt. Sie brachten den Antrag für eine "Republik Europa" ein, der vorsieht, eine echte europäische Regierung zu schaffen mit einer gemeinsamen Außen-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik und einem EU-Parlament, das ein volles Haushaltsrecht haben würde. Ihm sollte eine zweite Kammer zur Seite gestellt werden, in der die Mitgliedstaaten der EU vertreten wären, ähnlich wie die Bundesländer im deutschen Bundesrat. Die Vision der Vereinigten Staaten von Europa scheiterte mit fast 45 Prozent überraschend knapp, wenn man bedenkt, daß das alte Reformerlager auf dem Parteitag nicht mehr als höchstens ein Drittel der Delegierten stellte. [3]

Wenngleich man das Abstimmungsverhalten in der Europafrage nicht unbesehen auf den allgemeinen Trend in der Linkspartei übertragen kann, steht angesichts dieser Entwicklung auf dem Bonner Parteitag doch zu befürchten, daß sich die Fahrt in Richtung jener vielzitierten Mitte der Gesellschaft, die ihrerseits nach rechts ausgewandert ist, weiter fortsetzt. Gregor Gysi als Vorsitzender der Parteienfamilie Europäische Linke und der Fraktionsvorsitzende im Bundestag Dietmar Bartsch machten sich für eine kritische Solidarität mit der EU stark, während mit Sahra Wagenknecht die prominenteste EU-Gegnerin krankheitsbedingt fehlte. An ihrer statt erklärte der Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi, einer der führenden Köpfe in Wagenknechts "Aufstehen"-Bewegung: "Es rettet euch kein Wesen, auch nicht die Republik Europa." Er forderte ein "europäisches Deutschland" und "kein deutsches Europa". So solle die Souveränität der einzelnen Nationen nicht beschnitten werden. Zum Parteiprogramm sagte er: "Wir streiten für eine europäische Steuerpolitik, aber wir verteidigen auch die kommunalen Dienstleistungen." [4] Hingegen stand die dezidiert linke Kritik, die EU als "Vereinigung der herrschenden Klassen" auszuweisen, eher auf verlorenem Posten. "Unsere Antwort ist der internationale Kampf, nicht eine etwas andere EU, sondern ein sozialistisches Europa", so Lucy Redler, Vorsitzende der Strömung "Antikapitalistische Linke".

Gregor Gysi forderte seine Partei auf, die EU als Chance und nicht als "notwendiges Übel" zu begreifen. "Wir können und müssen die Menschen begeistern für unseren Weg in ein linkes Europa". Der 71jährige frühere Fraktionschef im Bundestag betonte die Bedeutung der Wahl am 26. Mai: "Die Europawahlen waren noch nie so wichtig wie in diesem Jahr." Es gehe darum, ob ein Neustart gelinge oder sich der Zerfall der Union forciere. Gehe die EU kaputt, kehre der Krieg nach Europa zurück. "Wir treten zur Wahl des europäischen Parlaments an, weil wir die europäische Integration wollen", sagte er in Bonn: "Dafür muss die EU sehr grundlegend reformiert werden." Die Linkspartei sende auch und gerade in der Europapolitik zu viele negative Botschaften aus. Dabei habe das Europäische Parlament doch heute mehr Rechte als früher, "deshalb gehört es nicht abgeschafft, sondern in seiner Stellung gegenüber dem Europäischen Rat und der EU-Kommission gestärkt". [5]

Stefan Liebich, außenpolitischer Sprecher im Bundestag und fest im Reformerlager verankert, wertete den Parteitag als "Schritt in die richtige Richtung". Er hatte in seiner Rede darauf hingewiesen, daß laut einer Umfrage Dreiviertel der Linken-Wähler dafür seien, die Zusammenarbeit in der EU zu vertiefen. Es heiße in dem berühmtesten Lied der Arbeiterbewegung ja nicht, "Die Nationale erkämpft das Menschenrecht", rief Liebich den EU-Gegnern zu, womit er den fast schon peinlich niveaulosen Umgang mit klassischen Zitationen auf die Spitze trieb. "Wenigstens als Vision" solle dieses Projekt "in den Raum" gestellt werden, hatte auch der Berliner Kultursenator Klaus Lederer vergeblich für die "Republik Europa" geworben. "Ich wünsche mir, dass die Linke einmal den Dingen nicht hinterherrennt, sondern sich an die Spitze stellt."

Hätte sich die Co-Vorsitzende Katja Kipping entschiedener für die "Republik Europa" eingesetzt, hätte der Antrag wohl sogar eine Mehrheit bekommen. Sie zog es jedoch vor, die EU-feindlichen Teile in der Partei nicht völlig zu verprellen: "Ich meine, auf eine andere EU hinzuarbeiten, ist die größere Liebeserklärung an Europa, als zuzulassen, dass die EU so bleibt, wie sie ist", so ihre Formel. Dietmar Bartsch hatte die Partei nach einem zerstrittenen Jahr zu Geschlossenheit aufgerufen: "Wir müssen wieder auf die Erfolgsspur kommen." Dafür seien "Einheit und Haltung" statt "kleinteiligem Streit um irgendeinen Millimeter innerparteilicher Raumgewinn" nötig, spielte er die grundlegenden inhaltlichen Differenzen hinter den aktuellen europapolitischen Positionen herunter. "Die Rechten wollen sich Europa unter den Nagel reißen. Und das Schlimme ist: Sie sind partiell damit erfolgreich", schwor er die Partei auf eine Front gegen den äußeren Feind ein.

Wie sich Bartsch zudem wünscht, solle seine Partei auch bereit sein, mit Grünen und SPD zusammenarbeiten. Die "Charmeoffensive der Sozialdemokraten" müsse man ernstnehmen. Der SPD, die derzeit ein linkes Profil simuliert, rief er zu: "Kommt her, lasst uns reden, lasst uns streiten." Gemeint ist dabei weniger eine Zusammenarbeit auf europäischer Ebene, sondern rund um die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, die im Herbst stattfinden. Bartsch ließ keinen Zweifel daran, welcher Kurs seines Erachtens angelegt werden soll.

Als klar war, daß die 580 Delegierten des Parteitags den Vorschlägen des Parteivorstands für das Programm zur Europawahl in allen wesentlichen Punkten folgen würden und die Anträge des Linken Flügels ebenso abgelehnt worden waren wie die des Reformerflügels, konnte sich der Co-Vorsitzende Bernd Riexinger entspannen: "Es gibt einen neuen Geist. Es gibt nicht nur verbiesterte Kritik, sondern wir wollen etwas verändern." Für die Europawahl gab er optimistisch mindestens zehn Prozent der Stimmen als Ziel aus. Die Linke sei "Teil einer Bewegung für ein besseres Europa". Mit ihren Spitzenkandidaten Özlem Alev Demirel und Martin Schirdewan setze die Partei bewußt auf eine neue Generation, die Europa selbstverständlich lebe. Die beiden wollten jedoch nicht im Status quo verharren, sondern strebten glaubhaft einen Politikwechsel an.

Die 34 Jahre alte Gewerkschaftssekretärin aus Düsseldorf und der 43jährige Europaparlamentarier aus Berlin sind auf dem politischen Parkett noch recht unbekannt. Sie sollen nun im Wahlkampf in vorderster Reihe den Spagat vorführen, wie ihn Stefan Liebich in einem Interview vor dem Parteitag in folgende Worte gefaßt hat: "Gewiss, die EU ist so, wie sie sich heute präsentiert, keine gute. Aber wir müssen sie erhalten, um sie dann nach links zu rücken." [6]


Fußnoten:

[1] www.fr.de/politik/linke-unmut-ueber-entkernten-parteitag-linken-11795255.html

[2] www.n-tv.de/politik/Linke-zieht-mit-Doppelspitze-in-Wahlkampf-article20872641.html

[3] www.faz.net/aktuell/politik/inland/europaparteitag-der-linken-knapp-vorbei-an-der-republik-europa-16057751.html

[4] www.handelsblatt.com/politik/deutschland/europawahl-die-linke-trennt-sich-von-extremen-positionen/24031948.html

[5] www.tagesspiegel.de/politik/europa-parteitag-der-linken-gysi-eu-nicht-als-notwendiges-uebel-begreifen/24030356.html

[6] www.sueddeutsche.de/politik/die-linke-europa-parteitag-1.4340141

25. Februar 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang