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HERRSCHAFT/1869: Fridays for Future - Kritik zuspitzen ... (SB)



Schließlich geht es bei der Klimakrise nicht nur um die Umwelt. Es ist eine Krise der Menschenrechte, der Gerechtigkeit und der politischen Willensbildung. Kolonialistische, rassistische und patriarchale Unterdrückungssysteme haben sie geschaffen und angeheizt. All das müssen wir demontieren.
Greta Thunberg, Luisa Neubauer, Angela Valenzuela - Why We Strike Again [1]

Nach dem großen Aufschlag, der die Klimakrise in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Diskussion gestellt hat, laufen die weiterhin freitags protestierenden SchülerInnen Gefahr, auf der Stelle zu treten und von der realpolitischen Klimaschutzvermeidung überholt zu werden. Es mangelt an Streitpositionen, die unter Verweis auf den sozialen Charakter des Mensch-Natur-Stoffwechsels polarisieren und dem beschwichtigenden Konsens, die Katastrophe lasse sich durch technologische Innovationen und einen Farbenwechsel von braun nach grün bewältigen, konkrete Kritik an den herrschenden Produktionsbedingungen entgegenhalten.

Damit sind nicht nur die destruktiven Folgen der energetischen und stofflichen Basis industrieller Gütererzeugung und die auf Massenkonsum basierende Reproduktion individuellen Lebens gemeint. Wer die Frage stellt, wieso trotz umfassender und tiefgreifender Erkenntnisse zu den zerstörerischen Folgen des menschlichen Stoffwechsels mit der Natur keine den wissenschaftlichen Prognosen zum absehbaren Verlauf des Klimawandels adäquaten Maßnahmen ergriffen werden, kommt nicht daran vorbei, die Prozesse politischer Willensbildung daraufhin zu befragen, ob sie diesem Zweck überhaupt gewachsen sind.

Dabei zeigt sich schnell, daß die Verwendung der allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung stehenden Grundlagen natürlichen Lebens in kapitalistisch organisierten Gesellschaften nach ganz anderen Kriterien organisiert ist als dem Ziel, das durch intensiven Ressourcenverbrauch, erst zu erzeugenden Bedarf, lange Transportwege, überflüssige Verpackung und Werbung entgleiste Verhältnis von Aufwand und Nutzen durch geringstmögliche Zerstörungskraft zu entschärfen. Produziert wird mit dem Ziel der Erwirtschaftung von mehr Kapital als derjenigen Menge, die in die jeweiligen Produktionsprozesse investiert wird. Kurz gefaßt wird Kapital um seiner selbst willen vermehrt, was die Ausbeutung von Mensch und Natur durch die EigentümerInnen der Produktionsmittel voraussetzt.


Konterstrategien des grünen Kapitalismus

Obwohl die Mangel und Not erzeugende Basis dieses gesellschaftlichen Organisationsprinzips keinem Menschen wirklich unbekannt sein kann, wird erfolgreich suggeriert, die Beschränkung des Klimawandels lasse sich durch Effizienzsteigerung in der Produktion, also die optimierte Nutzung notwendiger Ressourcen, auch bei fortgesetztem Wirtschaftswachstum erreichen. Dabei gehen die Freisetzung von Treibhausgasen, die Zerstörung der Ökosysteme und die Biodiversitätskrise ungemindert oder gar mit anwachsender Beschleunigung vonstatten. Allein das Versprechen auf technologische Innovation läßt die Menschen glauben, allen düsteren Aussichten zum Trotz auch in Zukunft die Früchte der auf Wettbewerb und Zuwachs abonnierten gesellschaftlichen Produktionsweise genießen zu können.

Um das Versprechen, alles zur Bewältigung der Klimakrise zu tun, mit Glaubwürdigkeit zu erfüllen, setzen sich Staat und Wirtschaft an die Spitze der Bewegung. Sie geben bekannt, die Auslagerung von Umweltkosten im Produktionsprozeß und nicht nachhaltige Formen des Konsums durch fiskalische und ordnungsrechtliche Regulative in den Griff zu bekommen, von nun an nur noch in ökologische Projekte zu investieren, Verschmutzungsrechte am Markt für Emissionshandel zu erwerben und was der auf Netto Null geeichten Dekarbonisierungsmaßnahmen mehr sind. Über das Brutto, also die lediglich in andere Regionen oder Sektoren verschobenen, aber dadurch nicht reduzierten Emissionsmengen wird großzügig hinweggegangen, und auch die am Finanzmarkt entwickelten Verwertungskonzepte für Naturkapital und Ökosystemleistungen sind nur erfolgreich als Kapitalanlage zu bewerben, wenn viel von dem knapper werdenden Sand in die Augen potentieller KundInnen gestreut wird.

Ein im Widerspruch von Anspruch und Wirklichkeit nicht minder frappantes Beispiel ist der Wechsel vom fossil zum elektrisch betriebenen Automobil [2], der alle sozialökologischen Nachteile des motorisierten Individualverkehrs aus industriepolitischen und nationalökonomischen Gründen fortschreibt. Ökologisch kontraproduktiv ist auch die Fortsetzung der ressourcenintensiven Landwirtschaft mit Mineraldünger, Pestiziden, Gentechnik und Massentierhaltung als vermeintlich einzige Lösung für die Welternährung und die Förderung der sogenannten Bioökonomie zur angeblich ökologisch nachhaltigen Erzeugung von Rohstoffen für die Energie- und Güterproduktion. Beides stellt eine Bedrohung der Ernährungssouveränität und Gesundheit der Menschen dar, beides schadet der Biodiversität und schadet der Fähigkeit der Böden, zum dauerhaften Anbau von Lebensmitteln und als C02-Senken zu dienen [3].

Auf der Strecke dieses weitgehend simulierten und symbolpolitischen Krisenmanagements liegen folgerichtig hochriskante Lösungen wie die technische Beeinflussung der Atmosphäre in einer Art von globalem Großexperiment, die Rückkehr zur Nutzung von Atomenergie oder genetische Manipulationen an Pflanzen und Tieren zwecks Ertragssteigerung und sogar an Menschen zur Steigerung ihrer Resilienz. Niemals auszuschließen auf dem Weg kapitalistischer Expansion und Extraktion ist schließlich das Entgleisen aller vorgeblich gutgemeinten Lösungsansätze durch die verschärfte Staatenkonkurrenz im Griff nach fruchtbaren Landflächen und mineralischen Ressourcen bis hin zum Fanal neuer großer Staatenkriege und der Ausbildung faschistischer Herrschaftsformen, bei denen es dann ganz ungeschminkt um die sozialdarwinistische Durchsetzung von Überlebenschancen geht.

Dabei halten die Regierungen und Unternehmen, an die die AktivistInnen von Fridays for Future appellieren und denen gegenüber sie Druck aufbauen, an der Logik fortwährenden Wachstums und der dafür erforderlichen Bewirtschaftung des Weltmarktes im Grunde genommen nur aus einem Grund fest. Ihre SachwalterInnen befinden sich in gesellschaftlichen Machtpositionen, die sie mit erheblichem manipulativen Geschick und institutionellem Aufwand fortschreiben, oder sind zur Sicherung von Privilegien, von denen das Gros der Weltbevölkerung nur träumen kann, zumindest von ihnen abhängig. Was administrativ und sozial als Klassenherrschaft, Rassismus, Kolonialismus, patriarchale und rechtsradikale Ideologie in Erscheinung tritt, ist durch den gemeinsamen Nenner der privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung unlösbar miteinander verknüpft.

Daß es sich dabei um ein Gewaltverhältnis handelt, leuchtet schon deshalb ein, als es bei dem verzweifelten Versuch von Millionen Menschen, irgendwie an dieser Ordnung teilzuhaben, um nichts geringeres als Leben und Tod geht. Da die Zugehörigkeit zu einem Staat wie der Bundesrepublik ein Privileg, aber kein Verdienst ist, wird sie um so mehr durch nationalistische und rassistische Ideologien zur Frage darüber erhoben, wer dazugehört und wer draußen bleiben muß. Der Aufstieg der Neuen Rechten ist denn auch wesentlich der Erschütterung des Anspruches darauf geschuldet, daß die staatsbürgerliche Zugehörigkeit wie selbstverständlich materielle Vorteile mit sich bringt. Was früher schon aus klassengesellschaftlichen Gründen nur sehr bedingt gestimmt hat, gilt für die überflüssig gemachten ArbeiterInnen in Zeiten kapitalistischer Krise und informationstechnischer Rationalisierung noch weniger.

Um so erforderlicher scheint es zu sein, den planetaren Raubbau, der die Kapitalakkumulation in hochproduktiven Staaten befeuert, über neokolonialistische Handelsstrategien und imperialistische Kriege hinaus durch die Unhinterfragbarkeit weißer Suprematie und patriarchaler Herrschaft zu legitimieren. Wer die wie selbstverständlich in Anspruch genommene Gewalt gegenüber Frauen, anderen Geschlechtern, People of Colour, sozial verelendeten Menschen als auch nichtmenschlichen Lebewesen offensiv in Frage stellt, erfüllt alle Kriterien eines "grünversifften" oder "kulturmarxistischen" Feindbildes, wie es in der vehementen Opposition gegenüber der Klimagerechtigkeitsbewegung, ihrer Fürsprecherin Greta Thunberg und der politischen Linken manifest wird.


Unbescheidene Fragen, radikale Eröffnungen

Wie Greta und ihre Mitstreiterinnen Luisa Neubauer und Angela Valenzuela in einer in ihrer Tragweite zu wenig beachteten Stellungnahme gegen "kolonialistische, rassistische und patriarchale Unterdrückungssysteme" zu erkennen gegeben haben, ist ihnen durchaus bewußt, daß ihr Protest an inhaltlicher Schärfe zunehmen muß. Es reicht nicht mehr aus, den Regierenden unter Verweis auf die Wissenschaften anzukündigen, daß die Demonstrationen nicht aufhören werden, solange keine angemessenen Maßnahmen gegen die Klimakrise ergriffen werden. Um den hochentwickelten Strategien des grünen Kapitalismus, die jugendliche Opposition in seine Geschäftsmodelle einzubinden, nicht auf den Leim zu gehen, bedarf es grundsätzlicher Herrschaftskritik und der schonungslosen Analyse der Faktoren, die die Zerstörung natürlicher und menschlicher Lebenswelten bedingen. Dies erfolgt um so wirksamer, als die häufig aus weißen Mittelstandsfamilien stammenden AktivistInnen die eigenen Erfahrungen als auch die gesellschaftlichen Angebote, mit denen sie von weiterer Radikalisierung abgehalten werden sollen, kritisch in Augenschein nehmen.

Ohne das Problem bei der Wurzel zu packen wird es nicht gehen. Schließlich ist die Klimakrise nicht als numinoser Schicksalsschlag über die Menschen gekommen, sondern Ergebnis einer Widerspruchsentwicklung, die die Ausbeutung von Arbeit und Natur mit der Entfachung fossilistisch befeuerter Produktivkräfte beschleunigt und vertieft, aber nicht begründet hat. Im sozialen Widerstand gegen feudale Herrschaft wurde die Eigentumsfrage schon gestellt, bevor die Verfügungsgewalt über die privat angeeigneten Produktionsmittel jene monopolkapitalistische Konzentration geschaffen hat, der Luft, Wasser und Boden als außerbilanzliche Produktions- und Entsorgungsfaktoren zur Verfügung stehen.

Um so relevanter ist heute zu fragen, ob das universale Prinzip der Gleichheit aller Menschen überhaupt noch gilt oder längst durch die Herstellung massiver Ungleichheit außer Kraft gesetzt wurde. Warum wurden die Emissionen der letztinstanzlichen Garantie staatlicher Gewalt, des Militärs, aus allen internationalen Klimaschutzverhandlungen strikt herausgehalten? Sollten die essentiellen Grundlagen biologischer Reproduktion nicht allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung stehen, anstatt privat angeeignet und gegen das Lebensinteresse anderer ins Feld geführt zu werden? Sollte der Mensch als das am höchsten entwickelte Tier nicht daran interessiert sein, dem Blutfluß gegenseitiger Verstoffwechselung ein Ende zu bereiten, die erforderlichen Lebensmittel so gewaltfrei wie möglich zu erzeugen und damit einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Biosphäre zu leisten?

An unbescheidenen, der in ihrer Grausamkeit so skandalösen wie selbstverständlichen Ordnung der Dinge auf den Leib rückenden Fragen herrscht kein Mangel, an Menschen, die den Mut haben, sie auszusprechen, schon eher. Indem die FFF-AktivistInnen rufen, daß sie sich ihre Zukunft nicht klauen lassen, haben sie die Eigentumsfrage eigentlich schon gestellt. Je mehr die herrschaftliche Praxis, die privatwirtschaftliche Aneignung essentieller Mittel und Güter des Lebenserhaltes nicht zum Thema zu machen und damit jede Politisierung der aus der Anhäufung von Eigentums- und Schuldtiteln erwachsenden Machtstellung zu verhindern, konkret sichtbar gemacht wird, desto deutlicher treten die Bedingungen des Kampfes hervor, der um die Zukunft des Lebens zu führen ist. Im Prinzip handelt es sich um den gleichen Kampf, den ganze Generationen sozialrevolutionärer AktivistInnen gegen Ausbeutung und Unterdrückung, gegen chauvinistische und faschistische Herrschaft geführt haben. Mehr als ein halbes Jahrhundert Lebenserwartung vor sich zu haben gibt noch mehr Anlaß dafür, Mut zu fassen und die Kritik so zuzuspitzen, daß das Gesicht aggressiver Zerstörungsgewalt von aller Beschönigung und Verharmlosung unverstellt hervortritt.


Fußnoten:

[1] https://www.commondreams.org/views/2019/11/29/why-we-strike-again
Im englischen Original vom 29. November 2019:
After all, the climate crisis is not just about the environment. It is a crisis of human rights, of justice, and of political will. Colonial, racist, and patriarchal systems of oppression have created and fueled it. We need to dismantle them all.

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1224.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1213.html

2. März 2020


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