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HERRSCHAFT/1913: Die Geister, die ich rief ... (SB)



Herr Maaßen ist der Motor einer neuen CDU. Ich glaube, die CDU wird sich nach der Ära Merkel, die einige Schwierigkeiten gebracht hat, deutlich verändern - dafür spricht einiges -, und Herr Maaßen wird hier eine wesentliche Rolle spielen. [...] Ich glaube, dass die Kandidatur von Herrn Maaßen eine Kandidatur ist, die vielen Konservativen wieder Hoffnung gibt, zur Union zurückzukommen.
Alexander Mitsch (ehemaliger Vorsitzender der Werteunion) [1]


Dass Hans-Georg Maaßen auf Krawall gebürstet ist, liegt in der Natur seiner Weltsicht wie auch seiner politischen Ambitionen. Hatte er als Administrator repressiver Innenpolitik über die Jahre hinter den Kulissen derart Karriere gemacht, dass ihm seine staatstragenden Verdienste schließlich den Chefsessel des Inlandsgeheimdienstes einbrachten, war ihm die technokratisch-verschwiegene Exekution der damit verbundenen Machtfülle nicht genug. Statt der Logik seines Amtes zu folgen, dass das geheime Wirken der Staatsgewalt am besten hinter verschlossenen Türen aufgehoben ist, hielt er die Zeit für reif, seine Gesinnung auszuposaunen und das Land vor aller Augen dementsprechend umzukrempeln. Das war allerdings ein Fauxpas, der ihn als Funktionsträger ins Abseits katapultierte, führte Maaßen doch in aller Öffentlichkeit vor, dass der Verfassungsschutz von der Spitze her so rechtslastig aufgestellt war, wie das nach den mörderischen Umtrieben des NSU offenkundig wurde und nur mühsam mit dem Narrativ angeblichen Behördenversagens gedeckelt werden konnte. Statt einen Schlussstrich zu simulieren und eine von Grund auf geläuterte Institution vorzutäuschen, wozu er berufen worden war, schlug er die Pauke rechter Feindbildproduktion, bis ihn selbst Horst Seehofers schützende Hand nicht mehr decken konnte.

Maaßen, der sich nach Kräften als Repräsentant des behördlichen Apparates untragbar gemacht hatte, schien Geschichte zu sein - eine traurige Figur und weitere finstere Episode hinter der polierten Fassade geheimdienstlicher Abschottung. Doch weit gefehlt! Die Rachsucht reaktionärer Kleinbürgerlichkeit, die sich von Ausländern, Linken und medialen Schmierfinken bedroht fühlt und zum hasserfüllten Ausbruch drängt, um es endlich allen zu zeigen, lässt sich so schnell nicht löschen. Am allerwenigsten aber nach der Blamage seiner einstweiligen Entlassung aus dem Staatsdienst, die für ihn nur ein weiterer Beweis dafür sei konnte, wie weit die Feinde nationaler Gesinnung und Anständigkeit das Feld übernommen haben. So treibt er denn sein Unwesen in eben jener Sphäre, in der er den größtmöglichen Schaden anrichten kann und zugleich wie der Phönix aus der Asche aufzusteigen hofft, diesmal jedoch als Politiker im Bundestag und wer weiß, vielleicht gar als künftiger Innenminister, worüber er zumindest schon einmal laut nachgedacht hat.

Warum macht Maaßen nicht den kleinen Schritt und wechselt gleich in die AfD, wo er mit seinen Ansichten gut aufgehoben wäre und man ihn als Überläufer mit offenen Armen empfinge? Erstens folgte dort dem kurzlebigen Rausch des Triumphs der Kater auf dem Fuße, dass er nur einer unter vielen wäre und wenig bewirken könnte. Zweitens sagt ihm der Instinkt des geschmähten Unruhestifters, dass er als Provokateur am äußersten rechten Rand der CDU vortrefflich nachlegen und die Parteiführung in Reaktionsnöte drängen kann, was ihm den Dünger fortgesetzter medialer Aufmerksamkeit verschafft, der für sein Gedeihen unverzichtbar ist. Also nutzt er die parlamentarische Sommerpause im Vorfeld der Bundestagswahl, um Armin Laschet vors Schienbein zu treten, der gerade so schön dabei war, schweigend zuzusehen, wie sich die grüne Konkurrenz selbst zerlegt. Wer wie Laschet schon etliche Wahlen aus vermeintlich aussichtsloser Position gewonnen hat, indem er gar nichts und damit auch keine Fehler gemacht, mithin den Felsen in der Brandung inszeniert hat, kann den quertreibenden Maaßen als schmerzenden Stachel im Kandidatenfleisch nicht dauerhaft ignorieren. Es muss also etwas geschehen, bevor das wetterwendische Wahlvolk der wieder Tritt fassenden Union angesichts der Querelen abermals die Gunst entzieht.


Werdegang eines reaktionären Bürokraten

Ehe zur Sprache gebracht werden soll, wie sich die Platzhirsche der Partei in der Causa Maaßen zu Wort melden, mag zum besseren Verständnis, wes Geistes Kind er seit langem ist, ein kurzer Rückblick auf seine Laufbahn aufschlussreich sein. Wohin sein politischer Kompass ausgerichtet ist, belegte schon vor gut 30 Jahren seine Doktorarbeit über "Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht", in der er vor "unkontrollierter Massenzuwanderung" warnte und mit Kampfbegriffen wie "Asyltourismus" schwadronierte. Vom damaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) ins Innenministerium geholt, wo er zum Referatsleiter für Ausländerrecht aufstieg, erstellte er 2002 ein Gutachten über den in Bremen aufgewachsenen Murat Kurnaz, der im US-Folterlager Guantanamo gefangengehalten wurde. Um die Verpflichtung der Bundesregierung in Abrede zu stellen, Kurnaz zurückzuholen, legte Maaßen dar, dass dessen Aufenthaltsrecht in Deutschland erloschen sei, weil er sich mehr als sechs Monate außer Landes aufgehalten und bei den zuständigen Behörden nicht gemeldet habe. Gegen heftige Kritik hielt Maaßen an seiner Entscheidung fest, so dass Kurnaz zunächst weiter in Guantanamo bleiben musste. Erst später entschied ein deutsches Gericht, dass er das Land nicht freiwillig verlassen habe, in einem Foltergefängnis festgehalten werde, sich deshalb bei Behörden nicht melden könne und daher sein Aufenthaltsrecht auch nicht erloschen sei.

Nachdem Maaßen 2012 vom damaligen CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich zum Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz ernannt worden war, griff er Edward Snowden als Verräter von Staatsgeheimnissen an und forderte die Medien zu einer engeren Zusammenarbeit im Dienst der Staatssicherheit auf. 2015 stieß er durch mehrere Strafanzeigen Ermittlungen gegen zwei Blogger von netzpolik.org wegen angeblichen Verdachts auf Landesverrat an. Als Chef des Inlandsgeheimdienstes unterstützte er den Aufbau der AfD und traf mehrfach mit deren Spitzenpolitikerinnen zusammen, um sie zu beraten, wie sie eine Überwachung durch den Verfassungsschutz vermeiden könnten. Maaßen sprach sich offen gegen die Überwachung der AfD aus, obwohl diese rechtsextreme und völkische Positionen wie jene Björn Höckes beherbergte und schützte.

Offengelegt wurde dies von Franziska Schreiber in ihrem Buch "Inside AfD - Der Bericht einer Aussteigerin" [2]. Sie war enge Mitarbeiterin Frauke Petrys und Vorsitzende des AfD-Jugendverbandes "Junge Alternative" in deren Heimatland Sachsen, rückte später in den Bundesvorstand auf und trat im Streit mit dem rechten Flügel zehn Tage vor der Bundestagswahl 2017 aus der Partei aus. In ihrem zeitnah erschienenen Buch verwies sie auf einen Bericht des Magazins Der Spiegel, demzufolge Petrys Bestreben, den saarländischen Landesverband wegen Überschneidungen mit dem rechtsextremen Milieu aufzulösen, auf Hinweise des obersten Verfassungsschützers zurückzuführen sei. Petry habe dies öffentlich immer bestritten - auf Maaßens Wunsch hin, so Schreiber. Bei mindestens zwei Treffen sei es zudem darum gegangen, dass der Parteivorstand ein Parteiausschlussverfahren gegen den Thüringer Rechtsaußen Björn Höcke einleiten müsse, weil sonst die Beobachtung und eine Nennung im Verfassungsschutzbericht unvermeidbar seien. Es sei Maaßen zufolge nicht entscheidend, dass es tatsächlich zu einem Ausschluss komme. Vielmehr solle der Bundesvorstand zeigen, dass er auf demokratische Weise Entscheidungen gegen solche Unruhestifter herbeiführen könne. Frauke Petry betrieb 2015 und 2017 Ausschlussverfahren gegen Höcke, obgleich sie wusste, dass die Schiedsgerichte der Partei generell wenig zu Ausschlüssen neigen.

Schenkt man Franziska Schreibers Darstellung Glauben, wozu erheblicher Anlass besteht, hat der Verfassungsschutz unter Maaßens Führung versucht, steuernd in den Kurs der AfD einzugreifen, um sie von einer geheimdienstlichen Beobachtung freizuhalten. Überraschend ist daran allenfalls, dass es auf diese Weise konkretisiert worden zu sein scheint. Der Inlandsgeheimdienst hat seit jeher versucht, die Rechte von innen her zu instrumentalisieren. Nach 1945 wurden zahlreiche einschlägig kompetente Experten des NS-Staats in die Behörde integriert. Der Verfassungsschutz war an der Vertuschung der Hintergründe des Oktoberfestattentats 1980 beteiligt, und das NPD-Verbot scheiterte später daran, dass die Parteiführung regelrecht von V-Leuten durchsetzt war. Im fünf Jahre dauernden NSU-Prozess blendeten Bundesanwaltschaft und Gericht eine mögliche Beteiligung des Geheimdienstes systematisch aus. Da sich gut zwei Dutzend V-Leute im engeren Umfeld des NSU befunden hatten, liegt der Verdacht nahe, dass dessen Existenz und Treiben nicht unwesentlich ein Geschöpf des Verfassungsschutzes war.

Was die damaligen Vorwürfe gegen Maaßen betrifft, hat dieser Gespräche mit Petry nicht dementiert. Wie der Verfassungsschutz erklärte, führe man Gespräche mit Vertretern aller Parteien. Maaßen habe der AfD jedoch nie geraten, ein Parteiausschlussverfahren gegen Herrn Höcke einzuleiten. Auch habe man AfD-Vertretern nicht gesagt, wie die Partei einer Beobachtung entgehen könne. Da nun gewissermaßen Aussage gegen Aussage stand, sollte sich Maaßen im Parlamentarischen Kontrollgremium dazu erklären. In Berliner Parlamentskreisen, so hieß es, werde Schreibers Darstellung für plausibel gehalten. Wie etwa der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, gehöre auch Maaßen seit langem zu den Kritikern der Flüchtlingspolitik Angela Merkels. Zwischen den Sicherheitsbehörden und der Kanzlerin herrsche Entfremdung. Maaßen lehne eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz ab, obgleich 2017 und 2018 verschiedene Landesämter den Präsidenten des Bundesamtes aufgefordert haben sollen, eine Materialsammlung über die AfD anzulegen. Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte Maaßen als dessen Dienstherr noch wenige Tage zuvor bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts eine "vorzügliche Arbeit" attestiert. [3]

Kontakte zwischen Maaßen und Petry waren schon geraume Zeit bekannt. So hatte Der Spiegel bereits im März 2016 berichtet, sie hätten sich auf Petrys Wunsch hin im Herbst 2015 mehrmals getroffen. Das Nachrichtenmagazin berief sich auf "mehrere AfD-Politiker", denen Petry davon erzählt habe. Auch von Ratschlägen an Petry hinsichtlich des saarländischen AfD-Verbands war damals die Rede. Im Frühjahr 2016 zitierte Die Welt Maaßen mit der Aussage, die AfD sei keine rechtsextremistische Partei. Die Voraussetzungen für eine Überwachung seien nicht erfüllt. [4]

Im Verfassungsschutzbericht 2017 wurde die AfD im Kapitel "Rechtsextremismus" denn auch mit keiner Silbe erwähnt. Das mutete insofern erstaunlich an, als deren Kontakte zu rechtsextremen Strukturen wie der identitären Bewegung oder der Ein-Prozent-Initiative und anderen hinlänglich bekannt waren. Björn Höcke war weiterhin Parteimitglied und hetzte unter anderem gegen die Erinnerungskultur an die Verbrechen des NS-Staats. Alexander Gauland hatte Hitler und die Nazis als einen "Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte" bezeichnet. Frauke Petrys Kurs wurde torpediert, die AfD rückte nach rechts und wurde mehr denn je zum Sammelbecken diverser Varianten nationalistischer, rassistischer, Minderheiten diskriminierender Gesinnungen.


Geheimdienstchef posaunt seine Gesinnung aus

Wenngleich Maaßens mutmaßliche Einflussnahme über Petry nur befristet funktioniert hatte, war das für ihn kein Grund, diese Partei nunmehr unter Beobachtung zu stellen. Statt dessen wurde die AfD im damaligen Verfassungsschutzbericht mehrfach im Kapitel "Linksextremismus" erwähnt, der sich unter anderem dadurch auszeichne, dass er gegen AfD-Parteitage protestiere, "Informationen über vermeintliche oder tatsächliche Rechtsextremisten sowie deren Strukturen" sammle wie auch Rechtsextremisten andauernd bekämpfe und neben der Bundesregierung und den Grünen auch die AfD für Verschärfungen des Asylrechts verantwortlich mache. [5] Wäre es demnach geboten, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und seinem damaligen Präsidenten eine parteiergreifende Sichtweise vorzuwerfen, da sie die Rechte schützen und die Linke verfolgen? Diese Kritik griffe zu kurz und diente sich der Staatsräson an, als sei diese ein neutraler Sachwalter divergierender Interessen.

Kernaufgabe des Inlandsgeheimdienstes ist die Überwachung, Bezichtigung und Verfolgung der Linken, soweit sich diese die Veränderung der herrschenden Verhältnisse auf ihre Fahnen geschrieben haben oder auch nur im Verdacht stehen, mit einer solchen zu sympathisieren. Hingegen ist die Rechte mit ihrem Ruf nach einem noch stärkeren Staat, einer verschärften Sicherheitspolitik, einer nationalen Formierung und einer sozialrassistischen Ausbeutung und Zurichtung ihrem Wesen nach Fleisch vom Fleische einer Staatsgewalt, welche dem Schutz der Eigentumsordnung verpflichtet ist.

Wenn Maaßen es also zuließ und begünstigte, dass die AfD unter Alice Weigel und Alexander Gauland zur Jagd auf die bürgerlichen Parteien blies und sie auf deren eingeschlagenem Weg vorantrieb, womöglich gar mancherorts Regierungsbeteiligung erlangen könnte, betrieb er geheimdienstliches Kerngeschäft. Die Rechte bleibt aus dieser Perspektive stets ein wenngleich wildwüchsiges, so doch verwandtes Terrain, das nach Möglichkeit infiltriert und instrumentalisiert wird, um die Handlungsoptionen gegen herrschaftskritische Bestrebungen und mögliche Revolten in Krisenzeiten zu erweitern. So gefährlich die AfD schon für sich genommen sein mag, fiel ihr Aufstieg doch mit einer Aufrüstung des Sicherheitsstaats zusammen, der mit neuen Polizeigesetzen, Notstandsplänen, Medienkontrolle und vielen anderen Maßnahmen den (noch) nicht erklärten Ausnahmezustand auf die Tagesordnung gesetzt hat. Erst im Kontext dieser Kombination lässt sich der Umgang des Verfassungsschutzes mit der Rechten, wenn schon naturgemäß nicht nebelfrei, so doch mit einer gewissen Reichweite ausleuchten.

Im Spätsommer 2018 geriet Hans-Georg Maaßen als Präsident des Bundesverfassungsschutzes endgültig in Misskredit, als er die Echtheit eines Videos bezweifelte, das nach der Tötung eines Mannes in Chemnitz eine Attacke gegen Migranten zeigte. Wie er dazu erklärte, lägen ihm keine belastbaren Informationen vor, dass dort Hetzjagden auf Ausländer stattgefunden hätten. Vielmehr sprächen gute Gründe dafür, dass es sich bei einem entsprechenden Video um eine gezielte Falschinformation handle, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken. Belege für seine Behauptungen lieferte er nicht. Dies löste eine Koalitionskrise aus, worauf Maaßen in seinem Amt nicht mehr tragbar war. Innenminister Seehofer, der Maaßens Positionen offenbar wertschätzte, wollte ihn als Sonderberater für europäische und internationale Aufgaben zu sich ins Ministerium holen, wo er als Staatssekretär im Range eines Abteilungsleiters nicht nur ein Gehalt von über 14.000 Euro im Monat bezogen, sondern auch über großen Einfluss verfügt hätte.

Diese geplante Beförderung löste weithin Empörung aus. Das Fass zum Überlaufen brachte jedoch Maaßens Abschiedsrede im Bundesamt für Verfassungsschutz, in der er seine umstrittenen Äußerungen zu Hetzjagden in Chemnitz verteidigte und von teilweise linksradikalen Kräften bei den Sozialdemokraten sprach. Bei einer Abschiedsrede vor europäischen Kollegen in Warschau am 18. Oktober soll Maaßen beklagt haben, seine Äußerungen seien für diese Kräfte willkommener Anlass gewesen, einen Bruch der großen Koalition zu provozieren. Er sei in Deutschland als Kritiker der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung bekannt, wofür ihn seine politischen Gegner und einige Medien aus dem Amt gedrängt hätten. Im November 2018 konnte Seehofer nicht umhin, Maaßen in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.


Staatsschutz holt seine Kritiker ins Boot

Hatte der Staatsschutz die von der extremen Rechten ausgehende Gefahr jahrelang verschleiert und ihre Umtriebe instrumentalisiert, so inszenierte er nun geradezu einen Paradigmenwechsel. Was Maaßen durchkreuzt hatte, exekutierte der nachfolgende Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Thomas Haldenwang. Alle Sünden der Vergangenheit wurden in steter Wiederholung als Behördenversagen deklariert, was dem Ruf nach einem effizienteren geheimdienstlichen und polizeilichen Auftritt Tür und Tor öffnete. Heute ist es breit kommunizierter Konsens in den Verlautbarungen des Staatsapparats, dass Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus die derzeit größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland seien. Das Gefahrenpotential entlade sich in realer Gewalt. Schlag auf Schlag folgten längst in Stellung gebrachte oder auf kurzem Weg umgesetzte Razzien, Festnahmen, Verbote, Einstufungen und Prozesse gegen rechtsextreme Zirkel und Bestrebungen. Der Eindruck, von Staatsorganen getäuscht und hintergangen zu werden, wich dem integrativen Gefühl, an einem Strang gegen rechte Gewalt zu ziehen.

Lange hatte die AfD die politische Konkurrenz erfolgreich vor sich hergetrieben, Bernd Lucke und Frauke Petry entsorgt, sich zunehmend radikalisiert und für die extreme Rechte geöffnet. Dass sie bei Bedarf auch Kreide fressen kann, sofern das taktische Kalkül es gebietet, ändert nicht das Geringste an ihrer Strategie, sich mit völkischen und rassistischen Positionen als die einzige Rettung der von Abstiegsängsten heimgesuchten Schichten zu präsentieren. Als mit Maaßens Abgang der Schutzschirm entfiel, wurde es eng für die Partei. Jörg Meuthen verwahrte sich im Oktober 2018 gegen Überlegungen, die AfD durch den Verfassungsschutz unter die Lupe zu nehmen. Zugleich bemühte sich eine vom Bundesvorstand eingesetzte "Arbeitsgruppe Verfassungsschutz" fieberhaft, den Mitgliedern dringend Verhaltensregeln anzuempfehlen, wonach bestimmte verfängliche Formulierungen bis auf weiteres allenfalls zu denken, nicht aber öffentlich zu äußern seien. Das hat nicht funktioniert.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz stufte die AfD im Januar 2019 als Prüffall und den rechtsnationalen "Flügel" der Partei sowie deren Jugendorganisation "Junge Alternative" in die nächsthöhere Kategorie des Verdachtsfalls ein. Wenig später stellte der Inlandsgeheimdienst den "Flügel" um Björn Höcke (Thüringen), Andreas Kalbitz (Brandenburg) und Hans-Thomas Tillschneider (Sachsen-Anhalt) offiziell unter Beobachtung, die dritte und höchste Stufe geheimdienstlicher Befassung. Der Verfassungsschutz verfügte also, dass es sich bei dem Zusammenschluss um eine rechtsextreme Bestrebung handle. Bei einem Verdachtsfall ist der Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln wie etwa Observation erlaubt, bei einer Beobachtung darüber hinaus das Anwerben von Informanten. Auch dürfen Daten zu einzelnen Personen gesammelt und gespeichert werden. Was ein Abgeordneter im Plenum oder in Ausschüssen sagt, darf allerdings nicht in die Akten einfließen.

Für die AfD, die schon geraume Zeit darum rang, ihr Profil zu glätten, um den Verfassungsschutz vor der Tür zu halten, war das ein Stich ins innerparteiliche Wespennest. Nachdem der Vorstand mit knapper Mehrheit beschlossen hatte, dass Andreas Kalbitz kein Parteimitglied mehr sei, weil er beim Eintritt substantielle Tatsachen verheimlicht habe, herrschte offener Krieg. In den sozialen Netzwerken wurde allseits gefeuert, was das Zeug hält. Kalbitz rief seine Anhänger auf, in der AfD zu bleiben. Björn Höcke sprach von Verrat, Tino Chrupalla von einer Verbrüderung mit dem politischen Gegner, auch Gauland und Weidel kritisierten den Beschluss heftig. Meuthen, der nach wie vor am Rand des Abgrunds stand, war dank seines Coups fürs erste der Held einer bis dahin wenig schlagkräftigen gemäßigten Mehrheit, die plötzlich Hoffnung schöpfte, den Ansturm der weit besser organisierten und rabiateren Flügelfraktion zu bremsen. Schließlich wurde sogar der "Flügel" formell aufgelöst, was natürlich keineswegs bedeutete, dass damit auch der Einfluss dieser Kreise gebrochen wäre.

Nach Schätzungen des Verfassungsschutzes hatte der "Flügel" rund 7000 Anhänger und wäre damit doppelt so groß wie die NPD. In Deutschland gebe es aktuell rund 32.000 Rechtsextremisten, etwa 13.000 von ihnen würden als gewaltbereit eingestuft. Zugleich stellte Haldenwang eine neue Dynamik im Bereich des Rechtsextremismus und eine Vermischung unterschiedlicher Milieus fest. Der Rechtsextremismus werde durch viele Quellen gespeist, angefangen bei einer sprachlichen Verrohung und Enthemmung, die den Boden dafür düngten. Grenzen des Sagbaren würden ausgetestet, indem man das Unsagbare ausspricht und die Grauzone zwischen richtig und falsch erweitert, legte Haldenwang dar, als sei dies eine völlig neue Erkenntnis.


Deutungsmacht im Sicherheitsdiskurs

Wenn Staatsgewalt die extreme Rechte lektioniert, wer in diesem Verhältnis Ross und Reiter sei, besteht zu wohlgefälligem Beifall kein Anlass. Der Streit ums Gewaltmonopol kann nur zu Lasten all jener ausgehen, die stets auf die eine oder andere Weise darunter zu leiden haben. Herauskommen wird dabei keine bessere Gesellschaft, sondern eine veränderte Austarierung der Gewichte im Kontext einer Herrschaftssicherung, welche die wirtschaftliche und ökologische Krise zu verzögern versucht. Wer über die Zwangsinstrumente gebietet, seinen Vorteil aus diesen Verhältnissen zu ziehen, wird mit allen zu Gebote stehenden Mitteln verhindern, dass sie von Grund auf geändert werden. Um jedoch von der dadurch heraufbeschworenen Katastrophe nicht selber verschlungen zu werden, muss die Umwälzung der Lasten massiv verschärft werden. Darin sind sich der bürgerliche Staat und die extreme Rechte durchaus einig, nicht jedoch zwangsläufig, was den Weg dahin betrifft und wer am Ende als politisches Personal im Sattel sitzt.

Die staatliche Ordnung mittels repressiver Verschärfung aufrechtzuerhalten oder sie schwer zu erschüttern, um ihre repressive Neuordnung zu erzwingen, ist eben nicht ohne weiteres gleichzusetzen. Der Aufstand, wie ihn die Rechte anstrebt, ist gewissermaßen der prozessuale Gegenentwurf zur administrativen Durchsetzung des starken Staates, der die soziale Revolte präventiv einzuhegen trachtet, birgt sie doch das unkontrollierte Potential gesellschaftsverändernder Bestrebungen, die an der Eigentumsfrage rühren. Der Feind steht links, verortet die Staatsräson die grundsätzliche Gefahrenlage nicht im rechten Sektor, zu dem sie ein instrumentelles Verhältnis unterhält. Daraus folgt für die Linke, dass das verschärfte Vorgehen gegen rechte Strukturen auf staatlicher Ebene direkt oder mittelbar auf sie abzielt, zumindest aber die Voraussetzungen dafür stärkt.

Was wie eine Kehrtwende in der Wahrnehmung und Verfolgung rechtsextremer Umtriebe anmuten mag, ist vielmehr der Ertrag des Manövers, mit dem die aus dem Ruder laufende geheimdienstliche Instrumentalisierung der Rechten gedeckelt wurde. Der daraus resultierende Ruf nach einer Reform der Geheimdienste war Wasser auf die Mühlen einer gesteigerten Effizienz des Verfassungsschutzes und dessen engere Zusammenarbeit mit den Polizeien, die ihrerseits mit den neuen Ländergesetzen einen enormen Zuwachs ihrer exekutiven Ermächtigung erfuhren. Das Resultat ist absehbar: Die bürgerliche Gesellschaft darf sich samt ihren Presseorganen Seite an Seite mit dem Staatsschutz gegen die extreme Rechte in Stellung bringen. Der Argwohn gegenüber den Schlapphüten angesichts offenkundiger Querverbindungen und Verflechtungen mit dem rechten Milieu schwindet zugunsten der Zuversicht, im Schutz staatlicher Sicherheitsorgane in den besten Händen zu sein.

Generalbundesanwalt Peter Frank machte den Kampf gegen Rechtsextremismus zu einem Schwerpunkt seiner Tätigkeit. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer betonte nun, dass die größte Gefahr derzeit in Deutschland von rechts drohe. Die Entwicklungen von der rechten Terrorzelle NSU bis heute machten deutlich, dass die Bedrohungslage durch den Rechtsextremismus in diesem Land durch nichts relativiert werden könne. Ein neu eingerichteter Kabinettsausschuss befasst sich mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus, das Waffenrecht wurde verschärft, Justizministerin Christine Lambrecht entwarf ein Gesetz zur Bekämpfung von Hass im Internet, das härtere Strafen vorsieht. Seehofer schuf Hunderte neue Stellen für BKA und Verfassungsschutz im Kampf gegen Rechts, auch der öffentliche Dienst soll besser durchleuchtet werden. Das Bundeskriminalamt führt mehr Strukturermittlungsverfahren durch, um unabhängig von konkreten Einzeltaten das Umfeld Verdächtiger aufzuhellen, und überprüft auf Grundlage der Gesetzgebung gegen Hass und Hetze sehr viel intensiver das Internet. Und dass dabei nicht nur Symbolpolitik gemacht wird, belegte eine Welle eng getakteten Vorgehens gegen rechtsextreme Strukturen.

Wollte man von einer Zäsur sprechen, so war dies der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 2. Juni 2019. Gefolgt von dem daraufhin deutlich wahrgenommenen Mordanschlag auf einen Flüchtling aus Eritrea in der hessischen Kleinstadt Wächtersbach, insbesondere aber dem antisemitischen Anschlag von Halle und der Bluttat in Hanau erforderte und beförderte dieser Gesamtkomplex eine Kurskorrektur. Was nach Recherchen der Amadeu Antonio Stiftung mehr als 200 Todesopfer rechtsextremer oder rassistischer Gewalt seit 1990 in Deutschland, dazu Pogrome, tagtägliche Angriffe auf Asylunterkünfte, Bedrohungen und zahlreiche weitere Gewalttaten nicht ausgelöst hatten, stand plötzlich ganz oben auf der Agenda des Staatsschutzes. Im Jahr 2019 wurden mehr als 1.200 Straftaten gegen Politiker verübt, die allermeisten von Rechtsextremen. Einen tödlichen Angriff auf einen hochrangigen politische Repräsentanten, Schüsse auf eine Synagoge und eine Mordserie auf offener Straße konnte der Sicherheitsstaat nicht unbeantwortet lassen, wollte er seine Akzeptanz nicht aufs Spiel setzen. Auch waren nicht feste Strukturen am Werk, die sich überwachen und infiltrieren ließen, sondern in Netzwerken lose verbundene Rechtsextremisten oder zuvor nicht in Erscheinung getretene Einzeltäter, die sich tatsächlich kaum noch oder gar nicht mehr kontrollieren ließen.

Wie weit der Sicherheitsdiskurs längst vorgedacht und in Stellung gebracht war, hatte bereits Anfang 2017 Thomas de Maizière mit einem Gastbeitrag in der FAZ unter dem programmatischen Titel "Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten" zur Debatte gebracht. Damit trat er eine heftige Scheinkontroverse los, die einen wesentlichen Zweck umgehend erfüllte: Politiker (fast) aller Parteien und Journalisten (fast) jeder Couleur beteiligen sich vehement an der Diskussion, wie innere Sicherheit anders und besser zu gewährleisten sei. Die Woge allgemeiner Verunsicherung reitend forderte de Maizière eine in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellose Zentralisierung von Sicherheitskompetenzen auf Bundesebene zu Lasten der föderalen Struktur: Stärkung des Bundeskriminalamts (BKA), Abschaffung der Landesämter für Verfassungsschutz, Ausbau einer "echten Bundespolizei". Darüber hinaus schlug er eine Abschiebung abgelehnter Asylbewerber unter der Regie des Bundes vor, wofür "Bundesausreisezentren" in der Nähe von Flughäfen errichtet werden könnten. Hitzige Rangeleien um den Ball, den er aufs Feld des zu optimierenden Sicherheitsstaats gespielt hatte, waren die Folge. Befürworter und Kritiker seiner Vorschläge überboten einander mit weiteren, nicht selten noch schärferen Maßnahmen, die nun unverzichtbar seien. Die Bekämpfung gewalttätiger Extremisten, so eine zentrale Forderung, müsse in einer einzigen Hand konzentriert werden. Das und vieles mehr nahm später in den neuen Polizeigesetzen Gestalt an, den schärfsten seit dem NS-Staat.


Flaggschiff der Werteunion

Unterdessen spielt Maaßen den Ball in seiner Partei auf rechtsaußen. Weit davon entfernt, in der Versenkung zu verschwinden, ging er mit seiner Mission in die Offensive und trat als Mitglied der rechtskonservativen Werteunion auf den Plan. Er zeigte sich allenthalben bei Veranstaltungen von Unionspolitikern, wobei sich unmissverständlich abzeichnete, unter welcher Flagge er segelt. Wenngleich ein CDU-Mitglied ohne jedes Mandat, verstand er sich doch bei seinen Gastauftritten nicht als Ratgeber von außen, sondern als eine Art Antreiber von innen. Er freue sich darauf, die notwendige Politikwende für Deutschland zu befördern und durch Auftritte für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die Werteunion bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg zu unterstützen, twitterte er. Bei der Werteunion handelt es sich um eine inoffizielle Formation, die sich als konservativer Impulsgeber der Union versteht, aber weder von der CDU noch der CSU als Vereinigung anerkannt wird.

Maaßen stellte die Autorität des Führungspersonals seiner Partei in Frage und drohte die ohnehin fragile Überarbeitung des Profils zu sabotieren. Ihm schwebt eine Union vor, die sich deutlich konservativer aufstellt. Die CDU müsse von innen reformiert werden, begrüßte er den Wechsel an der Parteispitze von Angela Merkel zu Annegret Kramp-Karrenbauer und an der Bundestagsfraktionsspitze von Volker Kauder zu Ralph Brinkhaus. Für ihn ist die seines Erachtens seit 2015 unveränderte Ausländerpolitik der Kern allen Übels und mithin die Kernbotschaft seiner Predigt, in der er vor den Gefahren der Asylsuchenden im allgemeinen und des Islamismus im besonderen warnt. Um dies zu verkünden, wurde er eingeladen, so auch vom Berliner Kreis, einem Zusammenschluss von rechtskonservativen Landes- und Bundespolitikerin in der Union.

Bei solchen Auftritten lieferte Maaßen jenes Gefahrenszenario ab, das zu entwerfen man ihn herbeigebeten hatte. Er habe in seiner früheren Funktion immer wieder den Eindruck gewonnen, dass die Erkenntnisse der Verfassungsschutzämter nicht mit der notwendigen Sensibilität aufgenommen worden seien. Dies seien wohl auch Ergebnisse von islamistischer Propaganda und Desinformation. Extremistische Bestrebungen würden unterschätzt, es handle sich um ein schleichendes Gift. Man richte den Blick auf spektakuläre Anschläge, während der Extremismus leise daherkomme, dessen Protagonisten oftmals gut gebildet seien und als wohlintegriert gelten würden. Im Umgang mit solchen Menschen seien Gesetzesverschärfungen nötig.

Im Vorfeld der Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen organisierte er gemeinsam mit der Werteunion Wahlversammlungen, an denen Anhänger von CDU und AfD teilnahmen, in deren Wertschätzung er badete. Er scheute sich nicht, mit namhaften AfD-Politikern aufzutreten und mahnte in zahlreichen Interviews einen rechtskonservativen Aufbruch in der deutschen Politik an. Gegenüber der Rheinischen Post versicherte Maaßen treuherzig, er halte sich nicht für rechts. "Menschen, die mich näher kennen, halten mich für sozial und damit für eher links - und für einen Realisten. So sehe ich mich auch." Er wolle nicht in die rechte Ecke gestellt werden. "Nur weil man die Klimapolitik und die Migrationspolitik kritisiert, nur weil man Bedenken hat, was einige Punkte der Sicherheitspolitik angeht, ist man nicht automatisch rechts." Der Ausdruck "rechts" werde heute inflationär verwendet, um Personen auszugrenzen und sich mit deren Sachargumenten nicht auseinandersetzen zu müssen.

In diesem Interview erklärte er zudem, ihn schockiere die Harmoniebedürftigkeit in der CDU. Der Karlsruher Parteitag 2015 sei für ihn ein "Damaskus-Erlebnis" gewesen. Angela Merkel habe damals eine überwältigende Mehrheit bekommen und neuneinhalb Minuten Applaus. "Niemand hat sie mit Blick auf die Flüchtlingspolitik kritisiert. Obwohl viele Politiker, die dort waren, mir gesagt hatten: So geht es nicht weiter." Dies sei einer Volkspartei unwürdig. Er wünsche sich von seiner Partei eine Neupositionierung und stehe damit nicht allein, da viele Menschen das forderten, weit über die 2.500 Mitglieder der Werteunion hinaus.

In der rechtsextremen Postille Junge Freiheit gab Maaßen ein langes Interview, in dem er das sattsam bekannte Lied rechter Demagogie sang, die Demokratie sei bedroht, weil rechte Positionen auf Widerspruch stießen. So behauptete er, Fakten würden ignoriert, nur weil sie von rechts kommen. Auf Versammlungen von besorgten Bürgern höre er immer wieder die Klage, dass der Korridor dessen, was zu sagen erlaubt ist, ohne dafür als Extremist hingestellt zu werden, immer enger werde. Das dürfe nicht länger hingenommen werden. Auf die Frage, wie ein Politikwechsel durchgesetzt werden könne, antwortete Maaßen, Deutschland stehe vor großen wirtschaftlichen und finanzpolitischen Herausforderungen und sei darauf schlecht vorbereitet. Das könne sehr schnell zu Neuwahlen und einem Regierungswechsel führen.


Wahlkämpfer auf Rechtsaußen der CDU

Hans-Georg Maaßens Aufstieg zu einem politischen Spitzenbeamten, Chef des Inlandsgeheimdienstes und nunmehr Wahlkämpfer auf dem äußersten rechten Flügel der Union ist symptomatisch für den jahrzehntelangen Kurs deutscher Regierungspolitik. Hartz-IV-Regime, wachsende Repression nach innen und Militarisierung nach außen als Strategien, aus den anwachsenden Krisen als Sieger hervorzugehen, brachten ein gesellschaftliches Klima von Nationalismus, Sozialrassismus und Fremdenfeindlichkeit hervor, das Wasser auf die Mühlen einer erstarkenden rechten Bewegung war. Sie formierte sich dort, wo die ehemals großen Volksparteien hindrifteten, die sich dadurch tendenziell überflüssig machten. Wenn sie nun angesichts des Absturzes in der Wählergunst halbherzig gegensteuern, liegt das Debakel in der Luft: Reaktionäre Denkweisen und Kreise zu hofieren, aber sich zugleich von ihnen abzugrenzen, zwingt dem politischen Spitzenpersonal einen Spagat auf, der allzu leicht schiefgehen kann.

In diesem Dilemma fuhr sich auch Annegret Kramp-Karrenbauer fest, die eine Ära nach Angela Merkel einläuten wollte, aber in ihrem Drall nach rechts einen heftigen Schlingerkurs hinlegen musste. Provoziert von Maaßen, der die wahre CDU dort verortet, wo er selber steht, und ihr vorhielt, unter der früheren Vorsitzenden nach links abgedreht zu sein, dachte sie laut über seinen Parteiausschluss nach, um dann postwendend zurückzurudern. Während die Medienmeute über AKK herfiel, konnte sich Maaßen vergnügt die Hände in Unschuld waschen. Wie er scheinheilig erklärte, sei es ihm ein Rätsel, wer ihr dazu geraten habe, solche Gedankenspiele zu formulieren. Es gebe in der Tat hohe Hürden für einen Parteiausschluss, und er hätte im Leben nicht gedacht, dass ihn diese Hürden einmal schützen müssten. Dann drehte er den Spieß um und warf der CDU-Vorsitzenden parteischädigendes Verhalten vor: Ihre Äußerung schade der CDU massiv und werde dem politischen Gegner Mitglieder und Stimmen in die Arme treiben.

Indem sich Maaßen als Aushängeschild der Werteunion immer wieder ins Gespräch brachte und vom rechten Rand seiner Partei hofieren ließ, erreichte er als Etappenziel, von der südthüringer CDU zu ihrem Direktkandidaten im Wahlkreis 196 für die Bundestagswahl am 26. September gewählt zu werden, nachdem der bisherige Abgeordnete Mark Hauptmann nach einer Korruptionsaffäre um Maskengeschäfte nicht wieder angetreten war. Mit dem Biathlon-Olympiasieger Frank Ullrich schickt die SPD allerdings einen populären Gegner ins Rennen, der in einer Umfrage zuletzt knapp in Führung lag. Gelaufen ist das Rennen also für Maaßen noch lange nicht, was ihn dazu anspornt, mit provozierenden Einlassungen unermüdlich Feuer unter dem Kessel zu machen.


Provokateur gegen den ARD-Journalismus

Ohne das rechte Narrativ von der "Lügenpresse" explizit zu bedienen, stößt Maaßen doch aufmerksamkeitsheischend ins gleiche Horn, wenn er nun in einer neuerlichen Provokation eine Art Gesinnungsprüfung für ARD-Journalisten fordert. "Wenn man sieht, dass es da auch Verbindungen gibt zwischen Personen, die für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Tagesschau arbeiten, und der linken und linksextremen Szene, dann wäre das wirklich auch eine Untersuchung wert", sagte er in einem Interview mit dem Privatsender TV Berlin. Die Biographie einiger Redakteure sollte aus Maaßens Sicht auf den Prüfstand gestellt werden, um ihre charakterliche Eignung zu untersuchen. Dabei stellte er weder klar, von welchen Personen er sprach, noch führte er Beispiele für die mutmaßlichen "Verbindungen" an. Als dies, wie beabsichtigt, heftige Empörung auf den Plan rief, ruderte Maaßen vorgeblich zurück und bekannte sich zu einem politisch unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der für die Demokratie unverzichtbar sei. Eine Gesinnungskontrolle journalistischer Arbeit durch die Politik dürfe es nicht geben. Es gehöre aber auch zur Meinungsfreiheit, die tendenziöse Berichterstattung bei den Öffentlich-Rechtlichen zu kritisieren. Und tags darauf legte er abermals nach und betonte gegenüber der Deutschen Presseagentur, es sei "seit Jahren bekannt", dass es Journalisten gebe, die Bezüge "zur Antifa" gehabt hätten "und möglicherweise noch haben". Ein solcher Verdacht müsse ausgeräumt werden. [6]

Mit Blick auf die offensichtliche Taktik Maaßens zog Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow Parallelen zu Björn Höcke: "Er provoziert mit steilen Äußerungen, wartet die Empörung ab, um dann zu behaupten, mal wieder missverstanden zu sein. Maaßen benutzt damit ähnliche Methoden wie Herr Höcke." Man sollte nicht immer wieder auf solche Provokationen hereinfallen, warnte Ramelow. [7] Wenngleich er damit Maaßens Vorgehensweise zutreffend einordnete, ist die daraus gezogene Konsequenz aus verschiedenen Gründen schwer zu erfüllen. Ihn schlichtweg zu ignorieren ist schon deshalb kaum möglich, weil seine oftmals absurd anmutenden Anwürfe zumindest aus seiner Sicht nicht aus der Luft gegriffen, sondern inhaltlich begründet sind. Wie jeder andere auch, hält er die eigene Gesinnung für den Fixpunkt des Universums, weshalb für ihn bereits in der SPD linksextreme Tendenzen zu verorten sind.

Auch sorgt Maaßen nicht zum ersten Mal mit Äußerungen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für Aufregung. So forderte er im September 2019 eine Reform oder Abschaffung von ARD, ZDF und Co. Mit Blick auf die Sender kritisierte er: Wir haben zu viele, sie sind zu teuer, zu fett, zu borniert und zu parteiisch. Eine Rundfunkabgabe von einem Euro pro Monat sei für jeden Haushalt ausreichend. [8] Diese Forderung einer drastischen Reduzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks deckt sich weitgehend mit der Position der AfD. Wie diese kritisiert er natürlich an der ARD vor allem, dass sie nicht seine Auffassungen befördert, weshalb er ihr ein linksextremes Netzwerk andichtet. Nicht Wahrheit steht hier zur Disposition, sondern Deutungsmacht, die sich aus Sicht divergierender Interessen nach deren jeweiligen Maßgaben sortiert.

Das geht jedoch im Getöse unter, mit dem sich Parteipolitik und Journalismus auf den stinkenden Brocken stürzen, den ihnen der selbsternannte Rächer der Enterbten vor die Füße geworfen hat. Dass ein ehemaliger Verfassungsschutzpräsident kein Geistesriese sein muss, um es einmal zurückhaltend auszudrücken, unterstrich beispielsweise seine Anfang Juni gesendete Botschaft, dass die Anfangsbuchstaben im vollständigen Namen von Annalena Baerbock mit dem Kürzel ACAB identisch seien, das für All Cops are Bastards stehe. Wörtlich hatte Maaßen getwittert: "Annalena Charlotte Alma Baerbock = ACAB = All Cops Are Bastards. Zufall oder Chiffre?" Dies zeugt einerseits davon, wie weit Maaßen auf seiner Mission bereits abgedriftet ist, zugleich aber auch von der rachsüchtigen Schläue eines Provokateurs, der es immer wieder versteht, Unheil zu stiften, aus dessen Folgen er Vorteil zu ziehen hofft. Dass er es geschafft hat, mit seinen schrägen Äußerungen zur ARD eine vorgeblich seriöse Debatte über Meinungsfreiheit und unabhängige Medien loszutreten, wirft die Frage auf, warum man ihm so bereitwillig auf den Leim geht. Die hochkochende Empörung blendet denn auch völlig aus, dass die angeblichen Verteidiger demokratischer Vielfalt keine Probleme mit der Observierung, Diskreditierung und dem Verbot linker Medien haben. Und so halten sie Maaßen nicht etwa entgegen, dass linke Positionen auch in der ARD vertreten sein sollten, sondern erklären es lediglich für abwegig, dass er solche in den Öffentlich-Rechtlichen verortet. Dass sie dort natürlich nichts zu suchen hätten, ist die stillschweigende Übereinkunft, bei der er sie packen kann.


Spaltkeil an innerparteilichen Widerspruchslagen

Ähnlich verhält es sich mit der CDU, in die Maaßen den Spaltkeil zu treiben versucht, indem er Tendenzen und Strömungen anspricht, die durchaus in der Partei anzutreffen sind. Deren rechter Rand, an dem sich die Werteunion angesiedelt hat, der nicht nur CDU-Mitglieder angehören, markiert den graduellen Übergang zur AfD. Die Ratio parteipolitischer Teilhabe an der Ausübung der Staatsgewalt führt geradezu zwangsläufig zu der Konstellation, dass maßgeblichen Akteuren am Scheideweg einander widerstreitender Interessen das Hemd der Regierungsbeteiligung näher als der Rock vorgeblich eherner demokratischer Prinzipien ist. So setzten für eine talfahrende CDU der Stimmenverlust und die mangelnden Koalitionsoptionen in ostdeutschen Bundesländern die Kardinalfrage des Umgangs mit der erstarkenden AfD auf die Tagesordnung, wobei natürlich grundsätzlich gilt, dass dies überhaupt kein Thema wäre, gäbe es nicht mehr oder minder große innerparteiliche Schnittmengen mit Rechtsaußen.

Maaßen selbst fordert einen offenen Umgang mit der AfD und hat wiederholt in Interviews erklärt, dass man die Zusammenarbeit nicht für immer ausschließen könne, auch wenn das gegenwärtig vielleicht keine Option sei. Mit dieser Auffassung steht er zumindest in ostdeutschen Landesverbänden nicht allein, wie dies etwa die Magdeburger "Denkschrift" zweier CDU-Abgeordneten belegte, die ihrer Partei anempfehlen, das "Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen". Nationale Identität, Stolz und Heimatverbundenheit seien die Grundlage der Gesellschaft und man habe versäumt, die Sehnsucht nach Heimat zu verteidigen. Damit plädierte das CDU-Duo also für eine Agenda ihrer Partei, die sich kaum noch von jener der AfD unterscheidet. Die beiden kommen ebenfalls zu dem Schluss, dass man eine Koalition mit der AfD nicht für die Zukunft ausschließen dürfe, da es darauf ankomme, welche Strömung sich dort durchsetze.

Das hört man auf höchster Parteiebene der Union gar nicht gern, die eine entschiedene Abgrenzung zumindest im Munde führt, um sich nicht angreifbar zu machen. "Wer aus machtpolitischen Aspekten seine Grundsätze verlässt, der begeht politischen Selbstmord", warnte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff seine Partei eindringlich vor einer Annäherung an die AfD. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erklärte die AfD zum politischen Gegner: "Wir haben im Bundestag eine Zusammenarbeit mit der AfD per Fraktionsbeschluss ausgeschlossen. Wer zu einem anderen Ergebnis kommt, hat nicht alle Latten am Zaun." Führende Unionspolitiker lehnen derzeit eine Zusammenarbeit mit der AfD so aufgebracht ab, dass man sich fast schon an ein Beschwörungsritual erinnert fühlt, das herbeigerufene Geister vergeblich zu bannen sucht.

Wie also mit Maaßen verfahren, den die CDU so schnell nicht loswerden kann und in Teilen auch gar nicht will? Er hat nicht nur im Schlagabtausch mit Kramp-Karrenbauer genüsslich hervorgehoben, dass ein Parteiausschluss doch recht befremdlich wäre und zudem hohe Hürden zu nehmen hätte. Als möglicher Direktkandidat seines thüringer Wahlkreises setzt er alles auf die Karte, dass ihn seine Partei im Vorfeld der Bundestagswahl weder ignorieren noch einen Staub aufwirbelnden Ausschluss einleiten kann. Der frühere Generalsekretär Ruprecht Polenz rät dennoch zu einem Ausschlussverfahren: "Ja, auch im Wahlkampf. Gerade jetzt." So weit gehen andere nicht, die wie der niedersächsische Landesvorsitzende Bernd Althusmann Maaßen zum Parteiaustritt auffordern. Auch der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans legt ihm den Austritt nahe, lehnt aber ein Ausschlussverfahren ab, das sehr schwierig sei und jemandem Bedeutung gebe, der eigentlich keine in der Union habe. Genau das will Maaßen bekanntlich ändern, weshalb er keinesfalls selbst das Handtuch werfen wird.

Armin Laschet windet sich angesichts der Bredouille, zwingen ihn doch die Umstände, wider Willen zumindest ansatzweise Farbe zu bekennen. Er hatte im Vorfeld der aktuellen Kontroverse erklärt, in Thüringen habe die Basis entschieden, die ihre eigenen Entscheidungen treffe, wie das gesetzlich auch so geregelt sei. Er werde nicht jeweils kommentieren, wer in 299 Wahlkreisen kandidiert. Die Abgrenzung der CDU nach rechts sei glasklar: Mit der AfD wird nicht koaliert, nicht kooperiert, nicht verhandelt. Sie muss aus den Parlamenten verschwinden. Als jedoch der Druck wuchs, sich zu Maaßens jüngsten Ausfällen zu äußern, rang sich Laschet nach Tagen des Schweigens auf einer internen Sitzung des CDU-Bundesvorstands zu der Aussage durch, solche Debatten schadeten der Partei und seien nicht hilfreich. Nach der Bundestagswahl im September werde es keine Kooperation und keine Verhandlungen der Union mit der AfD geben, und er erwarte von jedem Direktkandidaten, dass er sich daran hält. Als die Opposition weiterhin keine Ruhe gab und das Malheur auszuschlachten versuchte, distanzierte sich der Unionskanzlerkandidat schließlich bei einer Veranstaltung der Frauenzeitschrift Brigitte von den Äußerungen Maaßens, ohne diesen jedoch beim Namen zu nennen. Gerade in einer Zeit wie dieser, in der es viele Falschnachrichten zur Pandemie gebe, sei ein starker öffentlich-rechtlicher Rundfunk wichtig. Dies sei die Position der gesamten CDU. Er habe aber nicht vor, Bemerkungen eines Kandidaten jedes Mal durch eine eigene Positionierung aufzuwerten, fügte Laschet hinzu.

Während der Parteivorsitzende die Attacke des leidigen Quertreibers mehr schlecht als recht auszusitzen versuchte, assistierten ihm andere Spitzenvertreter der CDU wie Thomas Strobl und Volker Bouffier betont gelassen. Wenngleich sie Maaßens Äußerungen ablehnten, müsse Laschet nicht alles kommentieren, waren auch sie bemüht, den Ball flach zu halten. In die Offensive ging hingegen der frühere Vorsitzende der Werteunion, Alexander Mitsch, der Maaßen zum Motor einer neuen CDU erklärte, dessen Kandidatur vielen Konservativen Hoffnung gebe, zur Union zurückzukommen. Diese könne wieder zur Heimat konservativer und wirtschaftsliberaler Mitglieder werden. Er plädiere dafür, den Bundestagskandidaten Hans-Georg Maaßen in das CDU-Wahlkampfteam einzubinden. Die CDU werde sich nach der Ära Merkel deutlich verändern und Herr Maaßen dabei eine wesentliche Rolle spielen.

Wie ein sprichwörtliches Danaergeschenk, das sich als unheilvoll für den Empfänger erweist, bietet Maaßen der CDU die Heimholung jener Wählerschaft an, die sie an die AfD verloren hat. Dass er die Parteiführung dazu in den Schwitzkasten nimmt, indem er ihren jüngsten Aufschwung in den Meinungsumfragen mit seinen Ausfällen beschädigt, lässt die Granden der Union fürchten, dass sie bei diesem Geschäft mehr zu verlieren als zu gewinnen hätten. Stillhalten wird Maaßen eher nicht, der seinerseits unter Druck steht, die Gunst der Stunde nicht in den Sand zu setzen. Als in den Ruhestand strafversetzter Staatsdiener und einfaches Parteimitglied mit leeren Händen gekommen, will er sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen und zum Höhenflug ansetzen, den zu befördern er ständig nachlegen muss. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass in gehobenen CDU-Kreisen viele klammheimlich dem SPD-Kandidaten Frank Ullrich im südthüringischen Wahlkreis 196 die Daumen drücken, der das Dilemma auf denkbar einfachste Weise für sie aus der Welt schaffen und ihnen den Quälgeist im Bundestag ersparen könnte.


Völkischer Opfermythos auf Rachezug

Wenngleich also Maaßens Rache an Angela Merkel und Konsorten durchaus noch misslingen kann, sollte doch an seiner ideologischen Heimat kein Restzweifel mehr bestehen. Als stehe er mit einem Bein am rechten Rand der CDU und mit dem anderen im moderaten Flügel der AfD, fungiert er gewissermaßen als personifizierte Brücke zwischen den beiden verwandten Lagern, über die er seine Partei nach rechts zu ziehen trachtet. Obgleich die Rechte ein zutiefst patriarchales und sozialrassistisches Herrenmenschentum zeitgenössischen Zuschnitts propagiert, bedient sie die Ideologie, sich der Opfer des politischen Establishments anzunehmen und deren berechtigter Empörung Stimme und Wirkung zu verleihen. Was immer ihr argumentativ entgegengehalten wird, verwandelt sie als angeblichen Beweis unerträglicher Bevormundung in eine Munitionierung ihrer Klientel, der sie gesundes Volksempfinden attestiert. Der völkische Opfermythos richtet sich als Gegenentwurf zu dem Verständnis einer Klassengesellschaft nicht gegen die herrschenden Verhältnisse, sondern drängt auf Übernahme der Macht zum Zwecke ihrer Verschärfung. Als Exekutivorgane des staatlichen Gewaltmonopols nach innen und außen unterliegen Geheimdienste, Polizeien und Bundeswehr wie auch die Justiz und Administration zwar einer gesetzgebenden parlamentarischen Kontrolle, die jedoch den Ausnahmezustand prinzipiell einschließt. Dem wollen die Rechten insofern nachhelfen, als sie kraft ihrer eigenen Deutungsmacht zu bestimmen trachten, wann der nicht offiziell erklärte Notstand eingetreten sei, der ihre Selbstermächtigung begründet, massiv zu intervenieren.

Sie wollen das Land von allem Undeutschen säubern, worunter Menschen migrantischer Herkunft, aber nicht zuletzt auch jegliche für schwach und abartig erachteten Minderheiten, ja nicht zuletzt Frauen fallen, die zurück an Heim und Herd getrieben werden sollen. Charakteristisch für die Neue Rechte macht sie als zentrales Feindbild linke oder liberale "Gutmenschen" aus, die aus ihrer Sicht das identitäre Leitmotiv des weißen deutschen Mannes mit feministischen und Minderheiten schützenden Zumutungen in den Dreck ziehen. Wenn sozialer Abstieg droht, ja selbst wenn du nichts mehr hast und bist, sollte dich doch mit Stolz erfüllen, ein Deutscher zu sein. Dieses Heilsversprechen verkehrt die Frage nach der Herkunft von Ausbeutung und Verfügung ins Gegenteil, indem zur Jagd auf all jene geblasen wird, die man selber immer noch niedermachen und zurichten kann.

In diesen trüben Gewässern navigiert auch ein Hans-Georg Maaßen, der sich zur verfolgten Unschuld stilisiert, den Wutbürger mimt und sich des scheinheiligen Codes rechter Gesinnung bedient, man wird ja wohl noch sagen dürfen ...


Fußnoten:

[1] www.deutschlandfunk.de/ex-vorsitzender-der-werteunion-es-tut-der-cdu-gut-wenn-sie.694.de.html

[2] Franziska Schreiber: Inside AfD. Der Bericht einer Aussteigerin, Europa Verlag, München 2018, 221 Seiten, 18,00 Euro

[3] www.berliner-zeitung.de/politik/tipps-an-petry--verfassungsschutz-chef-maassen-wegen-afd-unter-druck-310422

[4] www.sueddeutsche.de/politik/maassen-petry-afd-1.4076324

[5] www.deutschlandfunk.de/maassen-unter-druck-wegen-angeblicher-afd-beratung-solche.694.de.html

[6] www.heise.de/tp/features/Wie-viel-Maassen-steckt-im-Verfassungsschutz-6129184.html

[7] www.spiegel.de/politik/deutschland/bodo-ramelow-linke-hans-georg-maassen-benutzt-aehnliche-methoden-wie-herr-hoecke-a-4f1fdb99-f159-48ec-8067-10f0d94cbb17

[8] www.tagesspiegel.de/politik/solche-debatten-schaden-uns-laschet-aeussert-sich-intern-zum-streit-um-maassen/27391142.html

26. Juli 2021

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 165 vom 31. Juli 2021


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