Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

PROPAGANDA/1310: Einmal mehr soll die Welt an Deutschland genesen (SB)



Wenn Regierungen zur Beschwichtigung ihrer Bürger das Leid anderer Menschen bemühen, dann sollte man hellhörig werden. "Gemessen an den Sorgen der Opfer von Kriegen und Gewalt muten unsere Probleme in Deutschland vergleichsweise gering an", so Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache, als habe die Bundesrepublik nicht Anteil daran, daß in anderen Ländern Krieg herrscht. So etwa mit der vorbehaltlosen Schuldzuweisung an die Adresse der palästinensischen Hamas, auf die zu wiederholen sie in ihrer Ansprache nicht verzichtete. "Der Terror der Hamas kann nicht akzeptiert werden", so die Bundeskanzlerin angesichts von über 400 Todesopfern und rund 2000 Verletzten unter den von Israel Angegriffenen. Was deren Sorgen betrifft, so dienen sie der Kanzlerin allenfalls zur Einschüchterung der eigenen Bevölkerung, deren Sorgen sie ebenfalls nicht teilen, sondern kanalisieren will.

Dem dient auch ihre hausbackene Krisenanalyse, laut der die Welt durch "finanzielle Exzesse ohne soziales Verantwortungsbewußtsein" erschüttert worden wäre. Banker und Manager, deren rabiate Praktiken jahrelang von der Bundesregierung unterstützt wurden und die vor kurzem noch als "Leistungsträger" der Gesellschaft galten, hätten "Maß und Mitte" verloren, so Merkel, als handle es sich bei kapitalistischen Gesellschaften um Veranstaltungen von Idealisten, Temperenzlern und Sozialreformern. Doch davon geht sie nicht wirklich aus, wenn sie behauptet, "die Welt hat über ihre Verhältnisse gelebt". Diese Sprachregelung mutet vertraut an, wurde sie doch vor nicht allzulanger Zeit auf die Ausgabenpolitik des Staates insbesondere dann angewendet, wenn diese nicht der Aufwertung des Wirtschaftsstandorts, sondern der Kompensation sozialer Notlagen gewidmet war.

Nun greift man schlicht ins nächsthöhere Fach und macht gleich die ganze Welt dafür verantwortlich, daß das sie beherrschende Wirtschaftssystem krisenanfällig ist. Mit dieser pauschalen, die angebliche Verantwortung des Finanzkapitals sogleich wieder leugnenden Zuweisung wird nicht nur "die Welt", sprich ihre Bevölkerung, in Haftung genommen, die Bundeskanzlerin behauptet auch, von Deutschland lernen bedeute siegen zu lernen. Erst wenn "die Welt" die "Lektion" erlernt habe, daß sie die "Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft" nicht vernachlässigen dürfe, wird sie diese Krise bewältigen. "Auf Deutschlands Kraft und Stärke zu vertrauen" wird nicht mehr nur den eigenen Bürgern nahegelegt, nein, die ganze Welt kann daran genesen, wenn die Menschen, die schon zu Hochzeiten des neoliberalen Booms am Hungertuch nagten, nun auch nicht bekommen, was ihnen bislang vorenthalten wurde.

Der so gar nicht christliche, aber um so pfäffischere Verweis auf Krieg und Gewalt als Anlaß zur Genugtuung darüber, selbst nicht betroffen zu sein, gerät mit der unterstellten, auf die ganze Welt übertragenen Maßlosigkeit der Wirtschaftssubjekte und in der Verwerflichkeit jeglichen Widerstands seitens der Beraubten, Getretenen und Ohnmächtigen zur Androhung, doch noch von diesem Unheil heimgesucht zu werden, so man sich nicht bescheidet und sich alle Ansprüche auf Besserstellung der sogenannten Globalisierungsverlierer und alle Einwände gegen imperialistische Kriegführung abschminkt.

Als Chiffre für staatlich regulierten Kapitalismus definiert die soziale Marktwirtschaft die administrativen Rahmenbedingungen der Verwertungssicherheit, als da wären Eigentumsordnung, Währungsstabilität, Ressourcensicherung und Arbeitspolitik. Sozial ist sie in dem Sinne, als daß sie den Frieden der Klassengesellschaft durchsetzt, und dazu gehören natürlich auch einige Almosen für diejenigen, die der großen Maschine weder als Werkzeug noch als Werkstoff mehr dienen können. Hier wird mit kleiner Münze politisch idealisiert, was sich in der globalen Lebenspraxis als andauernde Koexistenz von luxuriöser Überversorgung und blanker Not, als Marktfrieden der Metropolen und Ordnungskriege in den Ghettos darstellt. Die brüske Zurückweisung jeglicher Kritik an der den Palästinensern angetanen Gewalt artikuliert das in der Neujahrsansprache ansonsten nur Angedeutete in unmißverständlicher Härte.

1. Januar 2009