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PROPAGANDA/1352: Schadensbegrenzung ... Landtagswahlen für Bundestagswahl irrelevant? (SB)



Nun ist Schadensbegrenzung angesagt. Bundeskanzlerin Angela Merkel dekretierte schon einmal präventiv, vermutlich nach Sichtung der Ergebnisse der Exit Polls der Demoskopen, vor Schließung der Wahllokale, daß die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und dem Saarland "keine Testwahlen für die Bundestagswahl" seien. In der heutigen Nachlese zum Wahlsonntag meldet sich die Forschungsgruppe Wahlen zu Wort und erklärt, daß keiner der drei Wahlgänge Aussagekraft für die Bundestagswahl am 27. September besäße. Dem ständen der landesspezifische Charakter der Kriterien, nach denen die Wähler ihre Entscheidung getroffen haben, und der Einfluß populärer Politiker wie Oskar Lafontaine entgegen. Diese Behauptung wird mit Umfrageergebnissen wie aus Thüringen, wo nur 35 Prozent der Wähler angaben, daß bundespolitische Themen für ihre Wahl von Bedeutung gewesen seien, und diversen landespolitischen Besonderheiten untermauert.

Dabei liegt es auf der Hand, daß die Sinne der Bevölkerung vier Wochen vor einer Bundestagswahl für die dort verhandelten Themen geschärft sind und auf ihre politischen Vorlieben und Abneigungen abfärben. Zudem gehen landespolitische Entscheidungen der Parteien häufig mit ihrer bundespolitischen Agenda konform, so daß eine auf dieser Ebene getroffene Entscheidung Aussagekraft für das Wahlverhalten auf der übergeordneten Ebene haben kann. Schließlich funktioniert die Markenbindung in der Politik, das behaupten zumindest die PR-Berater der Parteien, ähnlich wie bei der Warendistribution - vermeintliche Belanglosigkeiten wie die Farben und Formen der jeweiligen ideologischen Signaturen tragen zur Wahlentscheidung ebenso bei wie das Auftreten, die Kleidung und die Rhetorik der Politiker.

Gerade der Erfolg des saarländischen Spitzenkandidaten der Linken, Oskar Lafontaine, ist ein schlechtes Beispiel für die angeblich mangelnde Aussagekraft der Landtagswahlen für die Bundestagswahl. Das ihm von Journalisten und Politikern mit besonders ausgeprägtem antikommunistischen Furor verpaßte Image des bonapartistischen Populisten verrät vor allem etwas über den demagogischen Charakter der Mittel, mit denen in der Bundesrepublik versucht wird, massenmedial Wahlen zu beeinflussen. Lafontaine gehört unter den Bundespolitikern mit hoher Sichtbarkeit zur kleinen Schar derjenigen, die stets zur Sache reden und dabei mit guten und stichhaltigen Argumenten nicht sparen. Gerade weil der Widerspruch zwischen unterstelltem Gemeinnutz und praktizierter Bevorzugung von Partikularinteressen im kapitalistischen System im allgemeinen und bei der herrschenden Krisenbewältigung im besonderen zum Himmel schreit, kann der Parteichef der Linken mit klaren Argumenten und eindeutigen Positionen Boden gewinnen. Der ihm dabei ins Gesicht blasende Wind ist Ausdruck des Ärgers einer bürgerlichen Elite, die es nicht gewohnt ist, aus ihren eigenen Reihen heraus mit den eigenen Waffen angegriffen zu werden.

Allein die nach dem Wahlerfolg der Linken in Thüringen und Sachsen nicht mehr funktionierende Strategie, ihre Kandidaten an den Rand der medialen Aufmerksamkeit zu drängen, indem man sie mit dem Stigma der SED-Vergangenheit zeichnet oder linksradikaler Umtriebe verdächtigt, und ihre Forderungen mit rhetorischen Brandzeichen als unseriös zu markieren, ohne sich auf deren Analyse einzulassen, verändert die Ausgangslage der Bundestagswahl. Inzwischen ist vielen Bürgern klargeworden, daß das dicke Ende der vorherrschenden Krisenbewältigungsstrategie mit aller staatsinterventionistischen Kraft über den anstehenden Urnengang hinaus verschoben wird, so daß 2009 in besonderem Maße zutrifft, das vor der Wahl nicht dasselbe wie nach der Wahl gilt.

Was seit 18.00 Uhr am 30. August in der Öffentlichkeit diskutiert wird, zeugt von einer stark angewachsenen Aufmerksamkeit für den Bundestagswahlkampf. Zweifellos lassen sich die Ergebnisse der drei sonntäglichen Wahlgänge nicht eins zu eins auf den 27. September übertragen, aber die Relevanz der Verluste, die die Regierungsparteien eingefahren haben, und der Gewinne, die die Linke gemacht haben, für die Mobilisierung bislang desinteressierter Wähler ist schwerlich zu leugnen. Die um zwölf Prozent gewachsene Wahlbeteiligung im Saarland zeugt nicht nur von der Beliebtheit Lafontaines, sondern auch von der Bedeutung, die reale und nicht nur simulierte Konfrontationen in der Politik für die Wähler haben. Ohne die vielfach beklagte Fundamentalopposition der Linken wäre es gar nicht erst zu einem sichtbaren Unterschied zwischen ihr und den etablierten Bundestagsparteien gekommen. Von daher sollte nicht leichtfertig darauf verzichtet werden, virulente Konflikte dieser Gesellschaft auf streitbare Weise zur Sprache zu bringen und zu entwickeln.

31. August 2009