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PROPAGANDA/1388: Lernziel Anpassung ... die Pädagogik des Verfassungsschutzes (SB)



"Vorbeugender Verfassungsschutz" - so wird auf Zeit Online (16.04.2010) die Anwesenheit von Beamten des deutschen Inlandgeheimdienstes im Schulunterricht bezeichnet. Sie sollen "arglose Schüler und Lehrer (...) über Extremisten und ihre Propagandatricks" aufklären, berichtet Autor Hermann Horstkotte anhand des Versuchs der NPD, Schüler im Vorfeld der NRW-Wahl für sich zu gewinnen. Doch nicht nur Neonazis werfen an Schulen ihre Netze aus, um Jugendliche mit der "Erlebniswelt Rechtsextremismus", so ein Beamter des Landesverfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen über die popaffine Strategie der Rechtspartei, zu ködern. Im Rahmen der Unterrichtsreihe "Extremismus" erklärt der Staatsschützer, "Informationen über Demokratiefeinde von Rechts wie Links oder aus der islamistischen Fundi-Szene" zu sammeln und zu versuchen, "deren Botschaften auch vorbeugend entgegenzuwirken".

Die offenen Fragen, die Jugendliche angesichts der sie belagernden Widersprüche zwischen staatsbürgerlichem Anspruch und kapitalistischer Gesellschaftspraxis täglich umtreiben, müssen frühzeitig beantwortet werden, bevor es ein anderer tut. Gegen das ideologische Gift wird mit einem Feindbild immunisiert, das im braunen Sumpf und der roten Hölle gleichermaßen verortet wird. So sekundiert ein Politiklehrer, daß auch "Hochbegabte (...) mitunter zu rechts- oder linksradikalen Ansichten" neigten. Schlauheit schützt vor Häresie nicht, wußte schon die Heilige Inquisition und bezichtigte gerade diejenigen der Ketzerei, die Angst und Schrecken durch Fortschritt und Aufklärung zu überwinden trachteten. Heute dient die Totalitarismusthese von der prinzipiellen Gleichsetzung nazistischer und kommunistischer Ideologie dazu, die Jugend von der Erkenntnis abzuhalten, daß Gut und Böse der Letztbegründung herrschender Verhältnisse dienen, die zu hinterfragen eine Freiheit des Denkens eröffnet, die unbescheiden und rebellisch macht.

Schützte der Verfassungsschutz die Verfassung vor Angriffskriegern und Sozialrassisten, dann müßte er den von ihm observierten "Extremismus" nicht nur an den Rändern, sondern in der Mitte der Gesellschaft ansiedeln. So werden Neoliberalismus und Neokonservativismus trotz der erheblichen Destruktivkraft, die diese politischen Weltanschauungen entfalten, nicht mit dem Feindbegriff des Extremismus belegt, sind sie doch Fleisch vom Fleische einer Gesellschaftsordnung, die sich undemokratischer Mittel bedient, weil der offene demokratische Streit doch einmal Mehrheiten mobilisieren könnte, die sich mit einem Kapitalismus, der Menschen verhungern läßt, weil andere über ihre Verhältnisse leben, nicht abfinden wollen.

Konnte es im Gemeinschaftskundeunterricht früher einmal geschehen, daß die Schüler kritikfähig gemacht wurden, weil linke Lehrer ihnen erklärten, daß die Wahrheit der Herrschenden nicht die der Beherrschten sein muß, so wird ihnen nämliche im "Unterrichtsfeld Extremismus" als Antidot zur politischen Radikalisierung verabreicht. Mit der Kategorie eines "Extremismus", die vermeintlich wertfrei definiert, wer dazugehört und wer auszugrenzen ist, wird die politische Waffe des Gesinnungsverdachts zu einer gesellschaftspolitischen Instanz verallgemeinert, für die alles gleich verwerflich ist, ob die damit markierten Ideologien nun die Gleichheit aller Menschen oder die Herrschaft einer Herrenrasse propagieren. Wer vom Leben nichts als die Genügsamkeit endlicher Reproduktion zu erwarten hat, soll selbst um diese fürchten, wenn er den Traum von einer anderen Welt nicht fahren läßt.

22. April 2010