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PROPAGANDA/1412: Bush bleibt sich in seinen Memoiren treu (SB)



Wer den opportunen Konsens teilt, George W. Bush sei einer der schlechtesten Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten gewesen, muß sich die Frage gefallen lassen, ob er sich allen Ernstes einen guten Staatschef im Weißen Haus wünscht. Alles Üble an der Amtsführung des Texaners festzumachen, blendet gezielt das grundsätzliche Dominanzstreben der Supermacht und die Stoßrichtung ihres strategischen Ringens um eine unumkehrbare Zementierung der Weltordnung unter ihrem Diktat aus. Gleiches gilt für die Verbündeten der USA, die sich unverhohlen kriegslüstern oder taktisch zierend dem großen Feldzug anschlossen, um sich im Windschatten des stärksten Räubers ihren Anteil an der Beute künftiger Zugriffsgewalt zu sichern. Die Vorschußlorbeeren, mit denen man den Blender Barack Obama insbesondere diesseits des Atlantiks überhäufte, waren nicht zuletzt dem Manöver geschuldet, den fatalen Ansehensverlust der Führungsmacht wettzumachen, deren Sturz man sich um der Teilhabe an der Vorherrschaft willen am allerwenigsten leisten kann.

Spott und Hohn, die man kübelweise über Bush auszuschütten pflegt, wären glaubwürdig gewesen, hätten sie zum Bruch mit Washington und dem "Antiterrorkrieg" geführt. Das Gegenteil war der Fall: Die Mixtur aus Dreistigkeit, Verschlagenheit und Opportunismus im Präsidentenamt der USA bot die willkommene Projektionsfläche, mäkelnd und maulend am selben Strang zu ziehen. Hat man den unsäglichen Expräsidenten erst einmal zum Sündenbock gemacht, auf den einzuprügeln pseudokritische Kurzschlüssigkeit so liebt, kann man entlastet das begonnene Werk fortsetzen und die Kriege nach außen und innen vernünftig, begründet und um so unanfechtbarer weiterführen.

Mit seinen Memoiren, die in wenigen Tagen unter dem Titel "Decision Points" ("Entscheidungspunkte") erscheinen und vorab auszugsweise in US-Medien zum Abschuß freigegeben wurden, bleibt George W. Bush seiner ehemaligen Arbeitsplatzbeschreibung als vorgeschobene Gallionsfigur des Schlachtschiffs US-amerikanischer Weltmachtpolitik treu. Ungetrübt von Einsicht oder Reue liefert er trotzig eine politische Verteidigungsschrift ab und erspart so den Strategieschmieden in Washington und den westeuropäischen Hauptstädten die Peinlichkeit eingeräumter historischer Irrtümer und fundamentaler Fehlentscheidungen. Bush bleibt Bush, kann man entspannt bilanzieren und voll Häme über den ewig Unbelehrbaren herziehen, den man der Unwucht im Getriebe reibungsloser Herrschaftssicherung zeiht.

Der 43. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika bekennt sich offen zu dem autobiografischen Anspruch, in künftigen Jahrzehnten von den Menschen als ein Präsident gesehen zu werden, der die zentralen Herausforderungen der Zeit erkannt und sich an seinen Eid gehalten hat, das Land zu schützen. Er wolle als jemand gesehen werden, "der seinen Überzeugungen ohne Schwanken folgte, jedoch den Kurs änderte, wenn notwendig, der dem Einzelnen zutraute, Entscheidungen in seinem Leben zu treffen, und der Amerikas Einfluß nutzte, um Freiheit zu verbreiten". (www.spiegel.de 03.11.10)

Und da ein Hauch von Selbstkritik nicht schaden kann, räumt Bush ein, ihn befalle "jedesmal ein übles Gefühl", wenn er an die nie gefundenen Massenvernichtungswaffen im Irak denke, mit denen er 2003 seine Kriegsentscheidung begründet hatte. Auch habe man nicht schnell und aggressiv genug reagiert, als sich die Sicherheitslage zu verschlechtern begann, und insbesondere den Fehler begangen, die Zahl der Truppen zu schnell zu verringern. An der Rechtfertigung des Krieges hält der Expräsident indessen unverdrossen fest: "Es war die richtige Entscheidung, Saddam Hussein von der Macht zu vertreiben. Bei allen Schwierigkeiten, die folgen sollten, ist Amerika nun doch sicherer ohne einen Diktator, der im Mittleren Osten nach Massenvernichtungswaffen strebt." (www.heute.de 05.11.10)

Khalid Sheikh Mohammed wurde 183mal mit der Foltermethode des Waterboarding ertränkt und anschließend wiederbelebt, bis er schließlich wie von seinen Peinigern gewünscht behauptete, er sei der Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001 gewesen. In seiner Autobiographie räumt Bush offen ein, daß er Waterboarding nicht nur prinzipiell gebilligt, sondern in diesem Fall sogar persönlich angeordnet habe. Auf die Frage des Geheimdienstes CIA, ob der Gefangene dieser Praxis unterzogen werden solle, antwortete er demnach mit "Verdammt, ja". Hätte er nicht den Einsatz von Waterboarding bei führenden Al-Kaida-Vertretern autorisiert, wäre er das höhere Risiko eines Angriffs auf die USA eingegangen, schreibt Bush. Um treuherzig behaupten zu können, in den USA werde nicht gefoltert, hatte er sich damals von jener notorischen Bande von Rechtsverdrehern im Justizministerium attestieren lassen, daß es sich bei Waterboarding und anderen Grausamkeiten, die in den Geheimgefängnissen gang und gäbe sind, nicht um Folter handle.

Verfahren wegen Amtsmißbrauchs, Beihilfe zur Folter und Schlimmerem scheint der Expräsident ebensowenig zu fürchten, wie als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen zu werden. Dabei wirkt er weniger wie ein machiavellistischer Gewaltherrscher, als vielmehr wie eine bösartige Marionette, die sich stolz ihrer Untaten rühmt, weil sie sich eins mit ihren Strippenziehern wähnt. Der mißratene Sproß einer einflußreichen Dynastie galt als gescheitert, bis er dank familiärer Protektion Anteilseigner des Baseballklubs Texas Rangers, dann Gouverneur seines Bundesstaats und am Ende gar Präsident der USA wurde, was selbst seinen Vater eingestandenermaßen überraschte. Will man Bush junior eine Stärke attestieren, so war es in allen genannten Posten das Talent, sich in einem lenkenden Umfeld als leutseliger Anführer zu gebärden, ohne den maßgeblichen Akteuren ins Handwerk zu pfuschen.

Wie er in seinen Memoiren schreibt, habe ihm sein Vater Weihnachten 2002 zu einem Militärschlag gegen den Irak geraten, sofern sich Saddam Hussein den UNO-Resolutionen verweigere. "Du hast keine andere Wahl", habe Bush senior erklärt. Wichtiger noch als der Vater war demnach Dick Cheney: Während ihres wöchentlichen Mittagessens habe er Bush gefragt, ob er seinen Drohungen gegen den Diktator auch Taten folgen lassen würde. "Wirst du dich um den Typen kümmern oder etwa nicht?", habe Cheney ihn gefragt. Da aber die Einschätzung kursierte, der Vizepräsident sei der wahre Chef im Weißen Haus, habe man Mitte 2003 dessen Rücktritt erwogen, um deutlich zu machen, wer "die Kontrolle hat". "Er wurde als düster und herzlos gesehen - als eine Art Darth Vader meiner Regierung", so Bush. Nach langer Überlegung habe er sich jedoch dagegen entschieden, da er dem Vizepräsidenten vertraut und ihn als guten Freund betrachtet habe.

Der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, den Bush 2006 entließ, erscheint in den Memoiren hingegen in keinem guten Licht. Rumsfeld habe ihn 2004 nicht ausreichend über die Brisanz der Fotos von der Mißhandlung irakischer Gefangener im US-Gefängnis Abu Ghraib unterrichtet, so daß er selbst erst im Fernsehen davon erfahren habe. "Ich will nie wieder derart überrumpelt werden", warnte Bush damals angeblich seine Berater, was aus seinem Munde weniger wie nachträglich vorgeschützte Unwissenheit, als vielmehr empörter Protest angesichts einer ohne Vorwarnung erschütterten Selbstgerechtigkeit klingt.

Daß er nach Ende seiner Amtszeit im Januar 2009 buchstäblich in der Versenkung verschwand und sich komplett aus der Öffentlichkeit zurückzog, deutet an, wie bedeutungslos er letzten Endes war, nachdem sich seine Brauchbarkeit als präsidialer Platzhalter und Zielscheibe halbherzigen Oppositionsprotests erschöpft hatte. Auf 497 Seiten versucht Bush nun, anhand vierzehn entscheidenden Wegpunkten seines Lebens und seiner Amtszeit zu erklären, warum er dem Alkohol abgeschworen, im Irak einmarschiert, "Terroristen" traktiert, Rumsfeld gefeuert, Cheney behalten und manches mehr getan hat, wofür man ihm eines Tages noch danken müsse und werde. Er sei doch kein schlechter Kerl und allemal ein Beschützer Amerikas gewesen.

Indem er vor sich und der Welt die Illusion aufrechterhält, er habe das Ruder fest in der Hand gehalten, entlastet er in seinen Memoiren noch einmal die treibenden Kräfte seiner Administration und macht sich in unerschütterlicher Selbstgefälligkeit zur Zielscheibe aller Anwürfe, die ihm die dunkle Seite der USA persönlich anlasten, um damit das Hohe Lied des guten Amerika zu singen, das ohne Bush wieder ungetrübt als Fackel der Freiheit aller Welt heimleuchten könne. Daß Präsidenten kommen und gehen, der Kurs jedoch derselbe bleibt, entlastet George W. Bush ebensowenig von den Verbrechen seiner Amtszeit wie Barack Obama. Den einen zu verteufeln und vom andern inzwischen enttäuscht zu sein, zeugt jedoch nicht gerade von analytischer Tiefenschärfe bei der Bewertung US-amerikanischer Regierungspolitik.

5. November 2010