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PROPAGANDA/1427: Absturz der Glamour-Elite ruft echten Volkstribun auf den Plan (SB)



Die Politiker feiern, wie sie fallen, scheint das Motto der Tage, an denen sich akademische Höhenflüge als Scharaden bourgeoisen Standesdünkels erweisen, zu sein. Daß es insbesondere junge Lichtgestalten politischen Glamours trifft, liegt nahe, schließt aber nicht aus, daß unter den gesetzteren Semestern nicht ebenfalls dieser oder jener Kuckuck sein Ei in fremde Nester gelegt hat. Während Häme und Schadenfreude auch auf der Seite derjenigen Journalisten sind, die Karl-Theodor zu Guttenberg und Silvana Koch-Mehrin noch vor nicht allzulanger Zeit als Hoffnungsträger deutscher Politik gefeiert haben, bleibt die Bedeutung dieser Affären für die politische Kultur der Bundesrepublik eher unterbelichtet.

Dabei bietet der phänomenale Aufstieg der fabelhaften Guttenbergs zu einer Art auf die Bedürfnisse der verbürgerlichten Zivilgesellschaft zugeschnittenen Royals allein eine Fülle an Studienmaterial über die Wünsche und Hoffnungen, die das Gros der Bundesbürger umzutreiben scheint. Persönliche und emotionale Identifikation mit der politischen Führung ist gefragt. Nicht die Bewältigung konkreter gesellschaftspolitischer Konflikte, sondern die Feier symbolpolitischer Handlungen bestimmen das Feld dieser Inszenierung, die in der Abhaltung der TV-Talkshow Kerner im afghanischen Kriegsgebiet ihren spektakulären Höhepunkt fand [1]. Das mit einigen berühmt gewordenen Pressefotos dokumentierte Talent des Ministers zur Selbstdarstellung fand in der Bereitwilligkeit vieler Bürger, den Willen zum postmodernen Maskentanz mit Applaus für die dargebotene Unterhaltung zu belohnen, die gewünschte Resonanz.

Wie im Falle der Bild-Zeitung, von der viele Leser behaupten zu wissen, daß die dort erzählten Geschichten nicht stimmen müssen, um sie dennoch zu goutieren und die eigene Urteilsfähigkeit durch sie kontaminieren zu lassen, müssen Schein und Wirklichkeit nicht mehr in eins fallen. Mit bloßem Posertum durchkommen gilt nicht mehr nur für Casting-Shows. Deren Selektionsprinzip durchdringt die Politik und verwandelt sie mehr den je in eine Messe sich gegenseitig übertrumpfender Banalitäten. Man ist allemal zufrieden, wenn die Show in sich stimmig wirkt, und konsumiert Gefühle, wo die Auseinandersetzung mit den wenig erfreulichen Folgen herschender Gewaltverhältnisse erforderlich wäre. Der Aufstieg Guttenbergs erfolgte auf der Woge eines angeblich neuen Patriotismus, dessen sportaffine Verharmlosung übergangslos in der Bewunderung jenes Sportsmanntums aufgeht, das der Scharfschütze beim Zählen seiner Opfer an den Tag legt. Dem Adelssproß zugewandte Gefühle ruft auch sein Absturz hervor, und das sogar, wenn er sich unter Verweis auf den Leistungsdruck der Familie, der ihn zu seinem Plagiat getrieben habe, als armes Würstchen präsentiert, dessen Kriegsbereitschaft um so mehr den Eindruck einer irrationalen Übersprungshandlung erweckt.

Der Bund mit seinen Anhängern wird plausibler, wenn deren Treueschwüre eine Subjektivität zutagefördern, die nur den einen Wunsch hat, zum Objekt fremder Interessen gemacht zu werden. So erzeugte die postmoderne Orientierungsnot Führergefühle zunächst noch auf virtueller Ebene. Während in der Karriere Guttenbergs vom Hoffnungsträger zur Causa medial zunächst kaum verhohlene Bewunderung, dann abwägender Zweifel und schließlich offene Schadenfreude dominierten, bleibt alle Aufmerksamkeit auf die Bühne des politischen Spektakels gerichtet. Was ist eigentlich mit einer Bevölkerung los, der Hit oder Niete in so schnellem Wechsel präsentiert werden, daß abwinkender Zynismus wohl noch eine der harmloseren Reaktionen auf diese Verhöhnung ihrer Intelligenz ist? Die mediale Produktion glamouröser Polit-Entertainer verbraucht die Substanz der Aufmerksamkeit und Hinwendung, ohne die das politische Theater dicht machen kann, auf höchst verschwenderische Weise. Das bleibt im besten Falle folgenlos, wenn der Medienkonsument sich entnervt den gefeierten Nichtigkeiten auf dem ausschließlich zum Zwecke trivialer Ergötzung geschaffenen Boulevard zuwendet, und führt im schlechtesten Fall zu einer Art Dezisionismus von unten.

Was hinter der Fassade demokratischer Inszenierung an politischer Willkür vollzogen wird und im Zusammenbruch der Legende vom aufopferungsvollen Volksfreund als machiavellistische Strategie nicht mehr zu ignorieren ist, fördert die Neigung der Konsumenten und Adressaten politischer Entscheidungen, die Durchsetzung ihrer Interessen mit anderen, nicht mehr nur post-, sondern nun erst recht antidemokratischen Mitteln voranzutreiben. Wenn die administrativen Auswirkungen repräsentativer Demokratie jeder Glaubwürdigkeit entbehren, dann schlägt die Stunde der Volkstribune vom Schlage Thilo Sarrazin. Die Rückkehr Guttenbergs, über die auch nach dem nicht mehr in Zweifel zu ziehenden Nachweis seines vorsätzlichen Betrugs spekuliert wird, erfolgte dann in der Reinkultur jenes Führertums, das sich bereits an ihm entzündet hat. Wenn der schöne Schein so sehr verfällt, daß das Getriebe der Herrschaftsausübung in seinem kalten materiellen Interesse sichtbar wird, dann wächst der Wille der Bevölkerung, klare Verhältnisse durch den Griff auf die dabei erblickte Gewalt zu schaffen. Wird der massiv geschürte Wunsch nach Identität von Volk, Staat und Nation nicht mehr befriedigt, dann tritt die jedem Nationalismus inhärente Aggression ganz offen hervor. In der sogenannten Mediendemokratie sind die professionellen Produzenten des Personenkults maßgeblich an dieser Entwicklung beteiligt. Ihr Schweigen über die darin aufscheinende Gefahr belegt, daß der Warencharakter des Journalismus beste Voraussetzung dafür ist, sich publizistisch auf alles einzulassen, das Quote und Rendite, sozialrassistische Stigmatisierung und autoritäre Herrschaft verspricht.

Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1417.html

12. Mai 2011