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PROPAGANDA/1463: Gaucks Weihnachtsansprache - Ideologische Leimrute befriedet existentielle Verunsicherung (SB)




Ein unverzeihlicher Fauxpas wie der seines Amtsvorgängers, Muslime allen Ernstes als Teil der hiesigen Kultur zu bezeichnen, wird dem amtierenden Bundespräsidenten nie und nimmer unterlaufen. Stand die Weihnachtsansprache Christian Wulffs vor Jahresfrist im Fokus einer lauernden Medienmeute, die vergeblich auf eine Äußerung in eigener Sache des längst zum Abschuß freigegebenen höchsten politischen Repräsentanten lauerten, hat Nachfolger Joachim Gauck solche Sorgen nicht. Sein Generalthema ist und bleibt jene Freiheit, wie sie die kapitalistische Gesellschaftsordnung zum Nutzen der Wenigen den Vielen verspricht, auf deren Rücken der Moloch allen Krisen zum Trotz das Elend reitet. Er, der dieses Amt nicht angestrebt hat, wie er einmal behauptete, obgleich es doch so perfekt zu ihm paßt, verbindet das Beste aus Theologie und Politik zu ideologischen Leimruten, an denen der in seinem tiefsten Herzen allemal gottesfürchtige und obrigkeitshörige Bürger leichterdings klebenbleibt.

Gauck genießt in Umfragen Zustimmungswerte, die noch über denen der populären Kanzlerin liegen. Die allermeisten Wähler nehmen ihm nicht übel, daß ihn Angela Merkel nicht im Amt sehen wollte, bis sie vom Koalitionspartner dazu gezwungen wurde. Eben weil der Bundespräsident stets betont, daß er weder Regierungsmitglied sei, noch Nebenaußenminister oder gar Nebenkanzler sein wolle, ist der Quereinsteiger, der nicht die klassische politische Sozialisation durchlaufen hat, sich aber sehr wohl als bedeutendes Mitglied der politischen Klasse versteht, um so wertvoller in Zeiten wie diesen.

Das sieht man auch in Wirtschaftskreisen nicht anders, hat ihn doch das Handelsblatt jüngst ihm Rahmen seiner Kür der "Menschen des Jahres" zum "Aufsteiger des Jahres 2012" gewählt. Der Juryvorsitzende und Chefredakteur, Gabor Steingart, begründete das Votum mit folgenden aufschlußreichen Worten:

"Gauck ist ein Mann mit Eigenschaften. Sein Thema - Freiheit - ist das Grundthema unserer Zeit. Mit seinen Reden, seiner Zentralüberzeugung, seiner Biographie und seiner Empathie bereichert Joachim Gauck unser Gemeinwesen. Er ist der unabhängige Präsident, den sich die Verfassungsväter immer gewünscht haben."[1]

Interessanterweise wurde die aus der Handelsblatt-Redaktion bestehende Jury bei ihrer Wahl von hochkarätigen externen Experten unterstützt. Es gaben sich der Geschäftsführer und die stellvertretende Geschäftsführerin der Alfred Herrhausen Gesellschaft, Wolfgang Nowak und Ute Weiland, der langjährige Chef der Werbeagentur Scholz & Friends, Sebastian Turner, Dr. Johannes Ludewig, der Vorsitzenden des Nationalen Normenkontrollrats und ehemaligen Bahnchef, Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup, sowie Claudia Nemat, Europa-Vorstand der Deutschen Telekom AG ein Stelldichein.

Für die weihnachtsgestreßten Bürger findet Gauck natürlich die passenden Worte. Deutschland habe die Krise bisher gut gemeistert, und verglichen mit anderen Europäern gehe es "den meisten von uns wirtschaftlich gut, ja sogar sehr gut". Als habe es den aktuellen Armutsbericht der Bundesregierung samt dem Versuch einiger Ressorts, das Ausmaß der Not durch Zensur zu verschleiern, nie gegeben, legt uns das Staatsoberhaupt nahe, daß wir uns wirklich nicht zu beschweren hätten, zumal es den Griechen, Portugiesen und Spaniern noch viel schlechter gehe. Wie der Bundespräsident die Prosperität einer breiten Mehrheit aus dem Hut zaubert, bleibt allerdings sein Geheimnis, zumal er im selben Atemzug beklagt, daß die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergehe, als habe das eine nicht das geringste mit dem andern zu tun.

Glücklicherweise, fährt Gauck in seiner Ansprache fort, sei Deutschland politisch stabil, hätten radikale Parteien nicht davon profitiert, daß ein Teil der Menschen verunsichert sei. Sind die Menschen verunsichert, weil der Sozialstaat entsorgt, das Rentenversprechen Makulatur, das Arbeitsverhältnis prekär, Hartz IV viel zu wenig und die Armut präsent ist? Aber nein, sie seien verunsichert "angesichts eines Lebens, das schneller, unübersichtlicher, instabiler geworden ist. Die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander, der Klimawandel erfordert ebenso neue Antworten wie eine alternde Gesellschaft. Sorge bereitet uns auch die Gewalt: in U-Bahnhöfen oder auf Straßen, wo Menschen auch deshalb angegriffen werden, weil sie schwarze Haare und eine dunkle Haut haben." [2]

Hiervon eine Prise und davon ein Schuß, wie beiläufig gegriffen und dabei doch wohlabgewogen dosiert, versteht unser pastoraler Präsident die Verunsicherung der Menschen und verkleistert die Widersprüche mit dem Konsens legitimer moralischer Entrüstung und jeder Menge Sorgenfalten auf der gefurchten Denkerstirn. Die Christen sind seines Erachtens sowieso aus dem Schneider, da für sie das Weihnachtsfest "das Versprechen Gottes, dass wir Menschen aufgehoben sind in seiner Liebe" sei. [3] Wie aber stet's um die "Muslime, Juden, Menschen anderen Glaubens und Atheisten"? Für die, so legt der studierte evangelische Theologe dar, sei Weihnachten "ein Fest des Innehaltens, ein Fest der Verwandten und Wahlverwandten, ein Fest, das verbindet, wenn Menschen sich besuchen und beschenken". Kein Fettnapf von Leitkultur oder gar gemeinsamer Kultur, statt dessen die elegant subtile Andeutung, wer sich anzuschmiegen und einzufügen habe, wenn hierzulande abgefeiert wird, wo immer die dafür erforderlichen Ressourcen noch aufzutreiben sind. Denn merke: "Beschenken - mit schönen Dingen, vor allem jedoch mit Zuwendung", tröstet Gauck auch die Habenichtse und Hungerleider.

Kürzlich erst habe ihm eine Afrikanerin in einem Flüchtlingsheim ihr Baby in den Arm gelegt, berichtet er. Deutschland könne jedoch "nie alle Menschen aufnehmen", zieht der Bundespräsident unmißverständlich einen Trennungsstrich. Doch "Verfolgten wollen wir mit offenem Herzen Asyl gewähren und wohlwollend Zuwanderern begegnen, die unser Land braucht", sortiert Gauck fein säuberlich nach Maßgabe gängiger Asyl- und Einwanderungspolitik.

Wie er Weihnachtsfrieden versteht, unterstrich er mit seinem angeblich unangekündigten Überraschungsbesuch bei der Truppe am Hindukusch. Vor wenigen Tagen sei er aus Afghanistan zurückgekehrt. Dort habe ihn "beeindruckt, wie deutsche Soldatinnen und Soldaten unter Einsatz ihres Lebens Terror verhindern und die Zivilbevölkerung schützen. Mein Dank gilt ihnen - wie auch den zivilen Helfern dort." Wenn Gauck die ermunternden Rufe "Fürchtet euch nicht!" und "Friede auf Erden!" aus dem Evangelium nach Lukas zitiert, so schließt er darin wie selbstverständlich den Auslandseinsatz der Bundeswehr ein. "In der Sprache der Politik heißt das: Solidarität. In der Sprache des Glaubens: Nächstenliebe. In den Gefühlen der Menschen: Liebe", paukt das deutsche Staatsoberhaupt den Afghanen und seinen Landsleuten an der Heimatfront ein, daß man manchmal eben Angriffskriege führen, fremde Länder besetzen und mit exzellenten Produkten aus hiesigen Rüstungsschmieden Frieden schaffen müsse.

Fußnoten:

[1] http://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/koepfe/menschen-2012-gauck-ist-der-aufsteiger-des-jahres/7553814.html

[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/weihnachtsansprache-von-joachim-gauck-solidaritaet-naechstenliebe-liebe-1.1558274-2

[3] http://www.welt.de/politik/deutschland/article112214896/Gauck-setzt-neue-Massstaebe-bei-Weihnachtsansprache.html

24. Dezember 2012