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PROPAGANDA/1511: Berlin - Israels parlamentarischer Hebel ... (SB)



Die BDS-Kampagne ist die erfolgreichste Kampagne für die Rechte der Palästinenser weltweit und wir wünschen uns daher, dass sie auch in Deutschland als eine Möglichkeit wahrgenommen wird, substantielle Veränderungen für die Rechte der Palästinenser voranzubringen.
Doris Ghannam (Sprecherin von BDS-Deutschland) [1]

An der BDS-Kampagne scheiden sich die Geister. Wie die Sprecherin von BDS-Deutschland, Doris Ghannam, im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder ausgeführt hat, habe die gewaltfreie Kampagne das Ziel, "die Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes" zu beenden. Dies beziehe sich auf alle Gebiete, die 1967 von Israel militärisch besetzt wurden, also Westjordanland, Gazastreifen und Golan-Höhen. Man wolle erreichen, daß Israel die "Rechte der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum zurückzukehren, wie es in der UN-Resolution 194 vereinbart wurde, respektiert, schützt und fördert". Die Kampagne sei "vom Kampf gegen Apartheid in Südafrika inspiriert" worden, doch gehe es nicht um einen Vergleich. Eine Gleichsetzung dieser beiden Systeme ignoriere "deren unterschiedliche Ausgangslage und geschichtliche Entwicklung".

Kritiker werfen BDS vor, einseitig Stimmung gegen Israel zu machen. Der Kern der Kampagne ziele auf die grundsätzliche Delegitimierung Israels und stelle de facto sein Existenzrecht in Frage. Der Aufruf zum Boykott erinnere fatal an das finsterste Kapitel der deutschen Geschichte und sei mithin als Vehikel antisemitischer Hetze strikt abzulehnen.

Die Abkürzung BDS steht für Boykott, Desinvestition und Sanktionen. Knapp 170 palästinensische Organisationen hatten 2005 zu einem Boykott gegen Israel aufgerufen. Sie forderten Politiker, Unternehmer, Künstler, Wissenschaftler oder Sportler dazu auf, Auftritte, Investitionen oder wissenschaftliche Kooperation abzusagen oder zu beenden. BDS ist keine feste Organisation. In den USA, Großbritannien und Skandinavien ist die Kampagne mit einer antikolonialen Ausrichtung stärker vertreten und wird von Prominenten wie Naomi Klein, Judith Butler oder auch Kate Tempest und Roger Waters unterstützt. In Deutschland hat sie aufgrund des besonderen Verhältnisses zu Israel weit weniger Einfluß und versucht, eher über kulturpolitische Aktivitäten oder im kirchlichen Bereich Fuß zu fassen.

Im Aufruf vom 9. Juli 2005 schlägt die palästinensische Zivilgesellschaft Boykott, Investitionsentzug und Sanktionen gegen Israel vor, bis es internationalem Recht und den universellen Prinzipien der Menschenrechte nachkomme. Die Unterzeichnenden begründen ihre Kampagne damit, daß die Annexion der palästinensischen Gebiete durch den Mauerbau und den unablässigen Ausbau jüdischer Siedlungen weiter vorangetrieben werde. Siebenundfünfzig Jahre nach der Staatsgründung Israels seien die meisten der damals vertriebenen Menschen noch immer Flüchtlinge ohne Staatszugehörigkeit. Ferner bleibe die in Israels System verwurzelte rassistische Diskriminierung seiner eigenen arabisch-palästinensischen StaatsbürgerInnen intakt.

Israel verstoße anhaltend gegen internationales Recht und habe seit 1948 Hunderte von UN-Resolutionen gegen seine koloniale und diskriminierende Politik ignoriert. Sämtliche internationalen Interventionen und Friedensbestrebungen seien nicht in der Lage gewesen, etwas daran zu ändern. Inspiriert vom Kampf gegen die Apartheid in Südafrika und im Sinne der internationalen Solidarität rufe man daher dazu auf, Druck auf den jeweiligen Staat auszuüben, um weitgreifend Boykott und Investitionsentzug gegen Israel durchzusetzen. Diese gewaltlosen Strafmaßnahmen sollten solange aufrechterhalten bleiben, bis Israel seiner Verpflichtung nachkomme, den PalästinenserInnen das unveräußerliche Recht der Selbstbestimmung zuzugestehen. [2]

Auf diesem in Deutschland seit jeher besonders umkämpften Terrain geht es darum, Antisemitismus in jeglichen Erscheinungsformen zurückzuweisen, doch zugleich Kritik an israelischer Regierungspolitik nicht zu diskreditieren und auch palästinensischen Positionen eine Stimme zu geben. Eine antikapitalistische und antiimperialistische Linke unterstützt antikoloniale und antirassistische Kämpfe jeder Couleur, ohne welcher Staatsräson auch immer den Zuschlag zu geben. Gegen Antisemitismus und gegen die Unterdrückung der PalästinenserInnen einzutreten ist für sie kein Widerspruch, sondern im Gegenteil Ausdruck derselben Positionierung gegen Herrschaft, Ausbeutung und Verfügungsgewalt.

Wenngleich der Trend seit Jahren in die Richtung weist, Kritik an der Regierung Israels per se als antisemitisch zu brandmarken, konnte man doch bislang von einer zumindest noch nicht vollständig geschlossenen Diskussion sprechen. Nun findet jedoch auf höchster Ebene deutscher Politik eine gravierende Diskursverschiebung statt, die diese Entwicklung forciert und weitreichende Folgen hat. Eine fraktionsübergreifende Koalition aus CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen bringt eine Resolution gegen die internationale BDS-Kampagne in den Bundestag ein, die sich dem Kampf der israelischen Regierung gegen die die BDS-Kampagne nahtlos anschließt. Der Antrag "Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten - Antisemitismus bekämpfen" setzt BDS und Antisemitismus gleich.

Das deutsche Parlament unterscheidet in seiner Beschlußfassung nicht zwischen Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten und diskreditiert damit auch einen Boykott von Waren, die aus den völkerrechtlich illegalen israelischen Siedlungen stammen, indirekt als antisemitisch. Das steht grundsätzlich im Widerspruch zur UNO-Resolution 2334 vom Dezember 2016, die alle Staaten auffordert, "in ihren relevanten Beziehungen zwischen dem Hoheitsgebiet des Staates Israel und den seit 1967 besetzten Gebieten zu unterscheiden". Damit schließt sich der Bundestag der seit jeher umgesetzten Doktrin israelischer Regierungspolitik an, wonach internationales Recht keine Gültigkeit für sie habe.

Um legitime Kritik an israelischem Regierungshandeln von Antisemitismus zu unterscheiden, wollten Grüne und SPD einen einschränkenden Satz einfügen: "Der kritische Umgang mit israelischer Regierungspolitik ist von Meinungs-, Presse- und Äußerungsfreiheit geschützt und muss selbstverständlich in Deutschland genauso wie in Israel erlaubt sein." Dieser Passus wurde aber unter anderem auf Betreiben der FDP herausgestrichen. Dabei hatte diese noch im September 2018 im NRW-Landtag einen fraktionsübergreifenden Antrag gegen die BDS-Bewegung mitgetragen, in dem eine solche Abgrenzung zu legitimer Kritik hervorgehoben wurde. "Selbstverständlich muss Kritik an israelischer Regierungspolitik in Deutschland genauso wie in Israel erlaubt sein", hieß es in dem Beschluß des Düsseldorfer Landtags. "Und ebenso dürfen die berechtigten Anliegen der palästinensischen Menschen nach einem friedlichen Zusammenleben in einem eigenen Staat unterstützt werden." Mitte April brachte dann als erste die FDP-Fraktion einen Antrag gegen die BDS-Bewegung in den Bundestag ein.

Wenngleich die Fraktionsführungen den Antrag einmütig präsentierten, war das Papier vor allem innerhalb der Koalitionsfraktionen heftig umstritten. Die Initiative bei Union und SPD war von Innenpolitikern ausgegangen. Außenpolitiker beider Fraktionen hatten auf Änderungen gedrungen, konnten sich damit aber nicht durchsetzen. Auch unter deutschen Diplomaten rief die Initiative Besorgnis hervor. In den politischen Stiftungen der deutschen Parteien, die in Israel und den palästinensischen Gebieten tätig sind, fürchtet man zu Recht, daß die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Gruppen in der Region schwieriger wird. Zitieren lassen wollte sich damit aber vorerst niemand - aus Sorge vor Ärger mit den Parteien, die die Stiftungen tragen, und aus Furcht, als Antisemit abgestempelt zu werden. Künftig werden Gelder entzogen, die über politische Stiftungen oder kirchliche Hilfswerke an Partnerorganisationen in Nahost gehen. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in den besetzten palästinensischen Gebieten stellt das vor erhebliche Probleme. Selbst die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung arbeitet mit den Menschenrechtlern von RCHRS zusammen, die Verbindungen zu BDS haben.

In Israel selbst regt sich Protest gegen den Bundestagsbeschluß. In einem gemeinsamen Aufruf warnen mehr als 60 jüdische und israelische Wissenschaftler davor, BDS mit Antisemitismus gleichzusetzen. Diese Vermischung sei "inakzeptabel und eine Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland". Die Wissenschaftler betonen, daß unter ihnen sowohl Unterstützer als auch Gegner der BDS-Bewegung seien. Sie alle lehnten jedoch "die trügerische Behauptung ab, dass die BDS-Bewegung als solche antisemitisch sei", und verteidigten "das Recht jeder Person oder Organisation, sie zu unterstützen", heißt es in dem Aufruf.

Die Unterzeichner kritisieren, daß der Bundestag "der am weitesten rechts stehenden Regierung in der Geschichte Israels" helfe, "jeden Diskurs über palästinensische Rechte und jede internationale Solidarität mit den Palästinensern, die unter militärischer Besatzung und schwerer Diskriminierung leiden, zu delegitimieren". Zudem warnen die Wissenschaftler davor, die mehr als hundert palästinensischen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die den BDS-Aufruf unterzeichnet haben, künftig von deutscher Förderung auszuschließen. Das würde zu einer weiteren Schwächung der gesamten palästinensischen Gesellschaft beitragen. [3]

Wenngleich sich der Bundestagsantrag zu einer Zweistaatenlösung mit einem "unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat" bekennt, bleibt das ein inzwischen absurd anmutendes Lippenbekenntnis. Ansonsten ist von den Anliegen der PalästinenserInnen keine Rede, deren eigenständiger Staat durch israelische Regierungspolitik wie insbesondere den Siedlungsausbau längst zur Fiktion verkommen ist. Ohne Rücksicht auf die Heterogenität der BDS-Bewegung, der sich auch Menschenrechtler, Gewerkschaftler und Berufsverbände in Palästina und in Israel angeschlossen haben, erklärt sich deutsche Politik bereit, Boykottaufrufe pauschal zu ächten und die Meinungsfreiheit massiv einzuschränken. Dabei hatte nicht nur die EU, sondern auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) noch 2017 festgestellt: "Die BDS-Bewegung ist aus Sicht der Bundesregierung nicht per se antisemitisch. Daher ist es aus Sicht der Bundesregierung von der Meinungsfreiheit gedeckt, sich für BDS auszusprechen."

Die Beschlußvorlage sieht vor, "Räumlichkeiten und Einrichtungen, die unter Bundestagsverwaltung stehen, keinen Organisationen, die sich antisemitisch äußern oder das Existenzrecht Israels in Frage stellen, zur Verfügung zu stellen". Die Bundesregierung wird aufgefordert, "keine Veranstaltungen der BDS-Bewegung oder von Gruppierungen, die deren Ziele aktiv verfolgen, zu unterstützen." Zudem soll die finanzielle Förderung von Organisationen und Projekten, die zum Boykott Israels aufrufen oder die BDS-Bewegung unterstützen, ausgeschlossen werden. Länder, Städte und Gemeinden werden aufgefordert, sich dieser Haltung anzuschließen. [4]

Was bislang in einzelnen Städten und Gemeinden praktiziert wurde, wird nun vom Bundestag de facto landesweit verfügt. Im Gleichschritt mit der israelischen Regierung, die alle Hebel in Bewegung setzt, um die BDS-Kampagne international in Verruf zu bringen und zu ächten, werden auch in Deutschland Stimmen zum Schweigen gebracht, die Menschenrechte in Israel und Palästina thematisieren. Das ist nicht nur ein weiterer massiver Schlag gegen die drangsalierten palästinensischen Anliegen, sondern zugleich ein Bärendienst am unverzichtbaren Eintreten gegen Antisemitismus in Deutschland, das sich mit repressiven Einschnitten in die Meinungsfreiheit und einer staatlich verordneten Denkkontrolle ganz gewiß nicht befördern läßt.


Fußnoten:

[1] www.faktenfinder.tagesschau.de/inland/bds-israel-101.html

[2] www.bds-kampagne.de/aufruf/aufruf-der-palstinensischen-zivilgesellschaft/

[3] www.spiegel.de/politik/deutschland/israel-streit-um-anti-bds-beschluss-im-bundestag-a-1267584.html

[4] www.taz.de/Kommentar-BDS/!5592923/

16. Mai 2019


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