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RAUB/0881: Schweine-Screeningpatent gefährdet Nahrungsversorgung (SB)



Am 15. April haben besorgte Bürger, Vertreter von Verbänden, Kirchen- und Nichtregierungsorganisationen sowie Landespolitiker eine seltene Phalanx gegen das Europäische Patentamt (EPA) in München aufgestellt. Das hatte im vergangenen Jahr dem Patentantrag eines US-Unternehmens auf ein genetisches Screening-Verfahren zur Selektion züchterisch interessanter Schweine, die aufgrund einer genetischen Disposition schneller Fleisch ansetzen sollen und deren Fleisch beim Braten weniger zusammenschrumpfen soll, stattgegeben. Rechtzeitig vor Ablauf des Einspruchsverfahrens am heutigen Donnerstag brachten die Kritiker ihre gesammelten Einwände gegen die Patenterteilung vor. Die Prüfung kann sich Jahre hinziehen.

Das EPA, das regelmäßig wegen seiner umstrittenen Entscheidungen auf dem Gebiet der Biotechnologie in die Kritik gerät, beteuert, daß sich das Patent nicht auf ganze Tiere erstreckt, sondern lediglich auf das Verfahren, und daß von den 30 Einzelpunkten des Patentantrags nur zwölf durchgegangen sind. Warum also diese Aufregung? Warum warnen der Deutsche Bauernverband, Greenpeace, die hessische Landesregierung und viele mehr unisono vor dem Patent? Sind die Kritiker "patentrechtlich" auf dem Holzweg?

Gewiß nicht. Mag sich das EPA auch auf den Standpunkt zurückziehen, daß es keine ganzen Tiere patentiert, sondern nur Einzelaspekte des Screenings, mit dem das Genom von Schweinen auf ein Leptin-Rezeptor-Gen untersucht werden kann. Das Argument geht leider an dem Problem vorbei. Die Patentschützer meinen, sie hätten nicht über politische Entwicklungen zu entscheiden, sondern eben nur über Einzelfälle. Jeder Einzelfall erfolgt jedoch vor dem Hintergrund politischer Entwicklungen und befördert oder bremst diese. Die Patenterteilung war ein politischer Akt, denn damit wurde die eingeschlagene Richtung der Ausdehnung des Eigentumsbegriffs auf biologische Substanzen bekräftigt.

Immer mehr Bereiche von Mensch, Tier und Pflanze werden patentiert, nicht zuletzt weil die Grenze zwischen Verfahren und Material fließend ist. Ohne die rechtliche Rückendeckung durch Patentämter könnten Chemiekonzerne wie Monsanto, der das "Schweine-Patent" mit der Nummer EP1651777 an die US-Firma Newsham Choice Genetics verkauft hat, nicht Alleinverfügungsansprüche auf Saatgut, Mikroorganismen und andere biologische Lebensbestandteile stellen und gegebenfalls durchsetzen.

Das EPA wird nicht ausschließen können, daß die Winkeladvokaten im Dienste der US-Biotechindustrie Wege finden, auf der Basis dieses Patents einen erheblich Kontrollzuwachs über die Schweineproduktion zu erlangen. Die EPA-Mitarbeiter, die offenbar in dem Selbstverständnis leben, daß sie unpolitisch, sachlich nüchtern lediglich komplizierte Rechtsfragen abklären, müssen wissen, daß die Ergebnisse ihres Tuns im höchsten Maße politisch sind und deswegen auch so behandelt werden sollten. Es gibt ja wohl kaum bedeutendere Entscheidungen für eine Gesellschaft, als wenn sie Einzelnen Einfluß auf die Nahrungsproduktion überläßt, und somit jeglicher Zugewinn auf diesem Gebiet zur wirtschaftlichen Sicherung der Patentinhaber beiträgt, nicht aber zum allgemeinen Wohlbefinden. Das kann sogar erheblich Schaden nehmen, wie die Geschichte Monsantos, des weltweit einflußreichsten Unternehmens auf dem Feld der Grünen Gentechnik beweist.

Die Patentierung von tierischen Bestandteilen könnte die gleichen Folgen zeitigen wie die Patentierung von Pflanzen bzw. Saaten. Das heißt, eines Tages wird ein Schweinezüchter womöglich Lizenzen zahlen müssen, wenn seine Sauen neue Ferkel werfen. Über die Konsequenzen des Patents mit der Nummer EP1651777 ist sich selbst das EPA nicht vollständig im klaren. Die Patenterteilung trägt zu einer Entwicklung ähnlich jener der Pflanzengenetik bei. Die Behauptung, nur mit Hilfe der Grünen Gentechnik könne der Hunger in der Welt erfolgreich bekämpft werden, hat sich jedenfalls als taktisches Täuschungsmanöver erwiesen, denn den Lizenznehmern geht es um Profite, nicht um die Beseitigung des Hungers. Selbstverständlich fassen die Saatgutkonzerne unter anderem auch die Hungernden in der Welt ins Visier, da sich aus jedem Mangel an Nahrung ein neues Geschäftsfeld eröffnet.

Aber die Konzerne sind keineswegs angetreten, den Bedürftigen zu helfen, sondern möglichst noch Geschäfte mit ihnen beziehungsweise ihrer Not zu machen. Auf Nahrungsmangel kann die Saatgutbranche nicht verzichten, er ist eine Voraussetzung für das Erzielen von Gewinnen. Wären die Biotechkonzerne altruistisch eingestellt, wie sie es gerne in der Öffentlichkeit darstellen, könnten sie ja ihre Produkte kostenlos an die rund eine Milliarde Menschen, die nicht genügend zu essen haben, abgeben. Daß dies nicht getan wird, spricht Bände. Mit der genetischen Tierverwertung verhält es sich nicht anders. Die dickeren Schweine sollen primär die Geldbörsen weniger Menschen dicker machen, nicht aber den Hunger in der Welt beseitigen.

16. April 2009