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RAUB/0891: Der Kampf der Milchbauern geht alle etwas an (SB)



Nach einer exorbitanten Steigerung im letzten Jahr stagnieren die Lebensmittelpreise krisenbedingt auf hohem Niveau, doch der Milchpreis sinkt unter das für die Bauern zur Herstellung dieses Nahrungsmittels erforderliche Preisniveau. Vor einem Jahr erzwangen die Mitglieder des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) mit einem Lieferstreik eine kurzfristige Erhöhung der Preise, doch kamen sie auf lange Sicht damit nicht gegen die Interessen der Molkereien und Lebensmitteldiscounter an. Das ist nicht zuletzt Folge der Konformität der im Deutschen Bauernverband (DBV), des mit Abstand größten berufsständischen Verbands der Landwirte, organisierten Bauernschaft.

So hatte DBV-Chef Gerd Sonnleitner die Lieferstopps der BDM-Bauern scharf verurteilt und sich generell gegen Kampfmaßnahmen ausgesprochen, mit denen die Erzeuger ihr politisches Gewicht wirksam in die Waagschale hätten werfen können. Sonnleitners Versuch, angesichts der Demonstration zahlreicher Milchbauern in Berlin im Deutschlandfunk (25.05.2009) den richtigen Ton zu treffen, kann seine Befürchtung, daß immer mehr Milchbauern von der Fahne seines Verbands gehen und dem BDM beitreten, jedenfalls nicht lindern. So stellt er fest, Marktwirtschaft "allein bringt keinen Segen", statt dessen müsse das Problem "wieder im Geiste und in der Ethik und Moral einer sozialen Marktwirtschaft" behoben werden.

Vordergründige Parolen, mit denen vom räuberischen Charakter des Kapitalismus abgelenkt werden soll, helfen keinem Bauern in der Auseinandersetzung mit Monopolstrukturen im Bereich der Milchindustrie und der Handelskonzerne weiter. Sie sind lediglich dazu gedacht, seinen Zorn zu kanalisieren und die Interessen einer globalen Agroindustrie, die die Verfügungsgewalt über die Ernährung der Menschen anstrebt, zu schützen.

Nun haben sich die Vertreter der Regierungskoalition auf eine Reduzierung des Mineralölsteuersatzes auf Agrardiesel geeinigt, um die Bauern finanziell zu entlasten. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die es nicht wagte, den eine Woche lang vor dem Bundeskanzleramt lagernden, in einen Hungerstreik getretenen Milchbäuerinnen Auge in Auge gegenüberzutreten, versucht mit dieser Maßnahme, die Forderung der Milchbauern des BDM nach Regulation einer exportorientierten Milchproduktion durch eine ökologisch wie ökonomisch sinnvolle, EU-weite Quotierung der Erzeugermengen zu hintertreiben. Die vom BDM vorgeschlagene Marktsteuerung soll den Milchexport nicht unterbinden, sondern preislich so gestalten, daß er für die hiesigen Milchbauern wie ihre Kollegen in den Zielländern, die an Niedrigpreisangeboten aus der EU zugrunde gehen, verträglich ist.

Der Kampf um den Milchpreis ist allerdings nicht nur ein Problem der Erzeuger, die einer der arbeitsintensivsten und dafür am schlechtesten bezahlten Berufsgruppen der Bundesrepublik angehören, sondern auch der Konsumenten, denen bei immer knapperer Haushaltskasse steigende Preise für Grundnahrungsmittel schwer zu schaffen machen. Diesen beiden Gruppen steht ein transnationales Kartell aus agroindustriellen Konzernen, Handelsgiganten und Regierungen gegenüber, das niedrige Milchpreise nicht aus sozialen Gründen erzwingt, sondern mit dieser ruinösen Praxis insbesondere kleine und mittlere Strukturen unter den Nahrungsmittelerzeugern zerschlagen will.

Je mehr Verfügungsgewalt diese über ihre Produktionsverhältnisse besitzen, desto besser sind die Interessen der Konsumenten geschützt, die in ihrer Arbeits- und Lebenssituation nicht minder von Kapitalinteressen bedingt sind. Für den Mangel an verfügbarem Einkommen ist nicht der Milchpreis verantwortlich, sondern die mit Lohnzurückhaltung und Sozialabbau vergrößerte Profitrate. Verfügungsgewalt über die Ernährung einer Bevölkerung zu besitzen ist eines der wertvollsten Mittel der Herrschaftsicherung. Den sich gegen kapitalschwache Bauern durchsetzenden Konzernen wird seitens der Politik allerdings nicht nur aus Profitgründen zugearbeitet. Die Kontrolle über die Nahrungsmittelproduktion mittels sogenannter marktwirtschaftlicher Mechanismen - Synonym für die Durchsetzungskraft von Kapitalmachtinteressen - läuft auf die zentralisierte administrative Kontrolle über essentielle Lebensressourcen hinaus.

Angesichts einer hungernden Weltbevölkerung von mehr als einer Milliarde Menschen, angesichts des die Landwirtschaft direkt treffenden Klimawandels und Ressourcenmangels, angesichts der rapide schwindenden Biodiversität und der gentechnischen Manipulationen an Getreidepflanzen kommen Versorgungsmängel von immenser politischer Sprengkraft auf die Menschheit zu. Die seit langem erfolgende agroindustrielle Zerstörung traditioneller Methoden des Anbaus und der Nutztierhaltung und die mit marktwirtschaftlichen wie ordnungspolitischen Mitteln erfolgende Zerschlagung kleinbäuerlicher und lokaler Produktions- und Handelsstrukturen mit hohem Subsistenzanteil sind für das egalitäre Lebensinteresse aller Menschen so kontraproduktiv wie für ein Verhältnis von Mensch und Tier, das in seinem prinzipiell räuberischen Charakter nicht auch noch besonders grausame Formen der Ausbeutung begünstigt.

Der Kampf der Milchbauern um einen dem in Deutschland herrschenden Produktivitätsniveau angemessenen Preis ihres Produkts geht daher alle Bürger etwas an, die jeden Tag satt werden wollen. Er ist von ihren eigenen Problemen in einer kapitalistischen Gesellschaft, die im Rahmen der Wirtschaftskrise auf die Entwicklung neuer Formen der Zwangsverwaltung des gesellschaftlichen Lebens zusteuert, nicht zu trennen. Die Bereitschaft der Bundesregierung, Zugeständnisse an die Bauern zu machen, um mögliche Kampfmaßnahmen, die zu einer EU-weiten Mobilisierung der betroffenen Landwirte führen könnten, zu verhindern, zeugt davon, daß Menschen, die sich gegen ihre Ausbeutung zusammenschließen, über reale politische Macht verfügen. Dies gilt um so mehr, wenn sie sich über die Grenzen ihrer berufsständischen und persönlichen Interessen weg solidarisieren.

25. Mai 2009