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RAUB/0904: "Flatrate-Prostitution" - Menschenwürde im Kapitalismus (SB)



"Die Kampagne der Stuttgarter Landesregierung gegen Flatrate-Bordelle führt zu einer unwürdigen Situation für die Frauen", urteilt Hannes Heine im Berliner Tagesspiegel (29.07.2009). Auch wenn er damit die Maßnahme der baden-württembergischen Landesregierung kritisiert, in Fellbach bei Stuttgart ein Großbordell angeblich aus Hygienegründen, offensichtlich jedoch zum Zwecke der Verhinderung von Pauschalangeboten, bei denen die männlichen Kunden zu einem Einheitspreis angeblich nach Belieben ihren Gelüsten nachgehen können, schließen zu lassen, hebt er wie der baden-württembergische Justizminister Ulrich Goll auf den Schutz der Menschenwürde ab. "Ich habe nichts gegen normale Bordelle, solche Flatrate-Puffs verstoßen aber gegen die Menschenwürde", erklärt dieser und befeuert damit eine Kampagne, die Prostituierten unter dem Vorwand, sie zu schützen, ihre Erwerbsmöglichkeit nimmt.

Daß die betroffenen Frauen und die sie unterstützenden Hurenverbände sich gegen die staatliche Einmischung wehren, ist verständlich, schließlich bekennen sie sich zu ihrer Arbeit und ziehen sie anderen Formen vermutlich meist prekären Überlebens vor. Daß der übliche Verkauf sexueller Dienstleistungen weniger gegen die Würde der Frauen verstieße, entspricht allerdings einer Gutheißung des kapitalistischen Verwertungszwangs, mit der die Augen vor dem sich darin ausdrückenden Gewaltverhältnis verschlossen werden. Die eigene Arbeitskraft, sprich Lebenszeit und Gesundheit, zu den Bedingungen des Käufers der Lohnarbeit zu veräußern und diesem damit zu ermöglichen, durch den dabei erzielten Mehrwert Kapital zu akkumulieren, verletzt die Würde der Betroffenen stets auf mehr oder weniger deutliche Weise.

Lohnarbeit ist das Ergebnis ökonomischen Zwangs, sie resultiert aus dem Kapitalverhältnis, das in letzter Konsequenz stets ein Gewaltverhältnis zwischen den Eigentümern der Produktionsmittel und den bei deren Einsatz verbrauchten Körpern ist. Die unterstellte Freiwilligkeit des Verkäufers von Lohnarbeit ist das Kerndogma liberaler Vergesellschaftung, läßt sie sich doch nur durch die Leugnung mehr oder minder ausgeprägter Zwangsverhältnisse postulieren. So lange die Produktionsverhältnisse dem Menschen diktieren, welche Arbeit er zu verrichten hat, kann von Freiheit im autonomen und autarken Sinne nicht gesprochen werden.

Daher stellt die 2001 erfolgte Liberalisierung der Prostitution zur Gleichstellung sogenannter Sexarbeiterinnen einen systemopportunen Schritt dar, der mit der Befreiung der Betroffenen nichts zu tun hat. Sicherlich ist der Versuch, Huren und Stricher vom institutionalisierten Vorwurf der Sittenwidrigkeit so wie jeder Abbau diskriminierender Gewalt gegen Menschen, die ihren eigenen Interessen nachgehen und dabei niemanden schädigen, zu begrüßen. Da das Problem der moralischen Ausgrenzung und kommerziellen Ausbeutung der Betroffenen nicht mit der Absicht angegangen wird, fremdbestimmte Arbeits- und Lebensverhältnisse grundsätzlich zu verwerfen, erweist sich der halbe Schritt nach vorn als ganzer Schritt zurück.

So hat sich an über das Kapitalverhältnis vermittelten Formen sexueller Nötigung und Unterdrückung wie Zwangsprostitution und der in der Regel in Bordellen nicht gegebenen Möglichkeit, einen Freier abzulehnen, kaum etwas geändert. Dafür haben sexuelle Dienstleistungen eine normative Legitimität erhalten, die den ihnen immanenten ökonomischen Zwang um so unangreifbarer macht. Der Anspruch der arbeitsrechtlichen Normalisierung eines Gewerbes, das niemals ein Berufsstand wie jeder andere war, hat vor allem dazu geführt, daß die sexuelle Ausbeutung von Frauen um so stillschweigender in die gesellschaftliche Normalität integriert wird.

Auch wenn der Verkauf des eigenen Körpers für Geld kapitalistischer Alltag ist, finden sexuelle Dienstleistungen nach wie vor in den dunklen Ecken gesellschaftlicher Notdurft statt, in denen besonders tiefgreifende Formen der Entfremdung produziert werden. Da als Erfüllung des Lebenssinns erachtete Partnerschaften zumindest in der westlichen Kultur meist über Sexualität definiert werden, produziert die Ökonomisierung dieses vermeintlichen Lebensglücks eine besonders schmerzhafte Form der Ausgrenzung. Nicht etwa als Frau geliebt, sondern als Ware gebraucht zu werden besetzt ein emotional empfindliches Feld menschlichen Daseins mit einer instrumentellen und ökonomischen Ratio, der alles vergleichbar und damit am Ende gleich ist, was mit den Objekten wertförmiger Vernutzung geschieht.

Da das Versprechen auf Erfüllung durch Liebe und Sexualität als stabilisierendes Moment herrschender Verhältnisse fungiert, bleiben selbst Freunde und Liebende nicht davon verschont, sich im Rahmen des Äquivalententausches als Verhandlungspartner gegenüberzutreten und damit die Fremdheit der Verdinglichung zu reproduzieren. Die Suggestion eines Restbestandes davon angeblich freien Liebesglücks dient sich als kulturindustriell produzierter Lohn für erlittene Entbehrungen Herrschaftsinteressen an, die mit käuflicher Liebe manifest machen, was in Paarbeziehungen auf emotional larvierte Weise wertförmig verhandelt wird.

Um so weniger kann die arbeitsrechtliche und ordnungspolitische Regulation der sexuellen Lohnarbeit ein Akt der Emanzipation sein. Hinter dem Blendwerk einer kulturindustriell propagierten Permissivität, die vornehmlich Frauen zu emotionalen wie sexuellen Dienstleisterinnen an einer von maskulinen Attributen geprägten Produktivität in Staat, Wirtschaft und Kriegführung degradiert, formiert sich eine neokonservative Moral, die die Objekte der als unverzichtbar erachteten männlichen Triebabfuhr nach sozialchauvinistischen und patriarchalischen Kriterien selektiert.

Besonders erniedrigende und zerstörerische Formen der körperlichen Ausbeutung, das zeigt sich auch an Formen des biomedizinischen Raubbaus wie Organhandel oder Pharmaversuchen, werden Menschen aufoktroyiert, die sich aufgrund ihrer ökonomischen Situation, ethnischen Herkunft oder nationalen Zugehörigkeit am wenigsten dagegen wehren können. Auch bereits erfolgte Vermittlungsversuche erwerbsloser Frauen als Sexarbeiterinnnen unter Androhung des Leistungsentzugs belegen, daß die Liberalisierung kommerzieller sexueller Dienstleistungen im Zweifelsfall zu Lasten derjenigen fällt, deren unterstellte Freiwilligkeit zwischen Verelendung und Unterdrückung changiert.

Wenn Politiker und Journalisten sich für die Würde von Prostituierten einsetzen, um ein geräuschloseres Funktionieren ihres Gewerbes zu gewährleisten, dann belegt dies vor allem, wie dehnbar der grundgesetzlich gewährte Schutz der Menschenwürde ist. Emanzipation von herrschaftlichen und räuberischen Interessen erfordert mehr Streitbarkeit und Solidarität, als eine materielle Zwänge ignorierende und damit befördernde Verrechtlichung der Verhältnisse zwischen Menschen fassen kann.

29. Juli 2009