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RAUB/0938: ... und immer wieder färbt sich das Wasser im Haifischbecken rot (SB)



Die Klage über die Diffamierung angeblicher Leistungsträger treibt Blüten des Widersinns, die den intellektuellen Niedergang der politischen Kultur nicht besser dokumentieren könnten. FDP-Chef Guido Westerwelle unterstellt mit seiner Behauptung, man werde in Deutschland dafür angegriffen, daß man der Ansicht sei, "dass derjenige, der arbeitet, mehr haben muss als derjenige, der nicht arbeitet", eine Art Ausbeutung von unten. Der "geistige Sozialismus", der die Republik kontaminiert, steht für die Unterminierung aller Produktivität durch pures Anspruchsdenken. "Für viele Linke ist Leistung ja beinahe eine Form von Körperverletzung", barmt die verfolgte Unschuld, ohne zu erklären, wie sich das Mißverhältnis zwischen der niedrigen Entlohnung für schwere, das Leben verkürzende körperliche Arbeit und der schonenden Tätigkeit eines hochbezahlten Managers, Anwalts oder Medienstars vor dem Hintergrund des propagierten Leistungsethos erklärt.

"Leistung muss sich lohnen, und es gibt keinen Wohlstand ohne Anstrengung und Leistung." Wer jahrzehntelang hart gearbeitet hat und dennoch in Hartz IV-Armut endet, dem kann Westerwelles Welterklärung nur die Zornesröte auf die Stirn treiben. Es ist kein Zufall, daß der FDP-Politiker nicht davon spricht, daß sich Arbeit lohnen muß. Es geht ihm nicht darum, daß Menschen, die sich körperlich in Jobs verausgaben, die ihnen nicht einmal ein Minimum an Lebenssinn bescheren, gut bezahlt werden. Ganz im Gegenteil, der Lohnabstand zwischen Arbeitslosengeld 2 und schlecht bezahlten Dienstleistungsjobs soll weiterhin zu Lasten der Ärmsten gehen. Damit sich auf dem Gipfel der Pyramide eine kleine Elite nach Belieben bedienen kann, sollen sich die Menschen auf ihrem Fundament in scharfer Konkurrenz gegenübertreten. Die Möglichkeit, den verlangten Lohnabstand anhand eines angemessenen Mindestlohns - Leistung soll sich angeblich lohnen und nicht auf eine Weise vergolten werden, bei der der Staat dazubezahlen muß - von unten nach oben aufzubauen, macht Westerwelle durch schlichte antikommunistischen Rabulistik vergessen.

Die krassen Unterschiede zwischen der Bezahlung harter und entbehrungsreicher Arbeit, für die es dank der systematischen Vernichtung von Lohnarbeit stets mehr als genug Anbieter gibt, als daß der Preis ihrer Arbeitskraft steigen könnte, der großzügigen Entlohnung "systemrelevanter" Funktionseliten, die den Klassenantagonismus verwalten und mit allerlei Kulissenschieberei zur rationalen Ordnung verklären, und dem quasi naturgegebenen, sprich durch Eigentumsrecht gegen sozialpflichtige Vergesellschaftung geschützten Reichtum der Kapitaleigner können nur legitimiert werden, wenn Leistung ausschließlich am Tauschwertäquivalent Geld bemessen und Arbeit zum Abstraktum dieses Parameters wird. Nur in der Immaterialität wertförmiger Vergleiche läßt sich gegeneinanderhalten, was als ganz materieller Raub durch die physische Auflehnung der Betroffenen bekämpft würde.

Das Leistungsprimat läuft also durchaus auf eine Form von Körperverletzung hinaus, jedoch nicht in dem von Westerwelle suggerierten Sinn der Arbeitsverweigerung. Die Ausbeutung durch Lohnarbeit, die zu steigern des arbeitslosen Subproletariats so sehr bedarf wie die Kapitaleigner der neoliberalen Marktdoktrin, verletzt die Körper der Betroffenen durch Zwecke und Ziele, die sich mit ihren Absichten und Wünschen, ihren Interessen und Fähigkeiten nicht in Deckung bringen lassen. Sich davon freizuhalten, indem man für seine Arbeit in ungleich höherem Maße entlohnt wird, so daß einem Möglichkeiten der Reproduktion und Aussichten auf ein Leben danach offenstehen, von denen der lohnarbeitende Erwerbstätige nur träumen kann, hält sich mit dem mangelbehafteten Kalkül des "Lohnens" nicht auf. Um diese Privilegien gegen die Ansprüche der "Verlierer", die nicht das Zeug dazu haben, sich in der Nahrungskette auf die Position des größten Räubers vorzuarbeiten, durchzusetzen, werden Sprechblasen in Auftrag gegeben, mit denen neoliberale Vorbeter wie Westerwelle die strikte Zweckbindung ihrer politischen Existenz unter Beweis stellen. Wenn sich die Aufregung im Haifischbecken wieder gelegt hat, kann man um so ungestörter zur kannibalistischen Normalität zurückkehren.

12. Februar 2010