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RAUB/0959: Spekulation mit Nahrungsmitteln bedient sich des Hungers und verstärkt ihn (SB)



Von massiven Preisanstiegen an den internationalen Rohstoffbörsen für Nahrungsmittel profitieren die Erzeuger so gut wie gar nicht, während das Gros der Wertschöpfung Hedgefonds, Versicherungen, Pensionsfonds und anderen institutionellen Anlegern zugutekommt. Dies zeigt sich unter anderem daran, daß der bei Kaffee innerhalb weniger Tage zustandegekommene Preissprung von bis zu 25 Prozent nicht durch sinkende Ernteerträge gedeckt ist. So geht das US-Landwirtschaftsministerium von einem Wachstum der Weltproduktion für Kaffee von 11 Prozent für 2011 aus und prognostiziert insbesondere für Brasilien, wo die Ernte dieser Tage beginnt, steigende Erträge. Bei Kakao ist es innerhalb eines Jahres zu einer Preissteigerung von 50 Prozent an den internationalen Rohstoffbörsen gekommen, was keineswegs einer dementsprechend verringerten Ernte oder gewachsenen Nachfrage entspricht. Aufgrund derartiger Entwicklungen verorten Marktanalysten den rapiden Preisanstieg bei Kaffee und Kakao im Verhalten spekulativer Anleger.

Laut Financial Times Deutschland [1] hat der Londoner Kakaohändler und Hedge-Fonds-Anbieter Armajaro sich 240.100 Tonnen Kakao zum Weiterverkauf gesichert, das sind 7 Prozent der Jahresproduktion. Dadurch sei es zu einer erheblichen Preissteigerung bei den auf September terminierten Kontrakten gekommen, was den Schluß nahelegt, daß es hier nicht um die ursprüngliche Funktion des Hedging, die Absicherung von Verkaufspreisen gegen unvorhergesehene Einflüsse auf den Preis, sondern eine gezielte preistreibende Verknappung des Angebots ging. Ohnehin sind kleine Erzeuger kaum Profiteure, sondern vor allem Opfer des Hedging. Sie verfügen nicht über die finanzielle und organisatorische Flexibilität, um die Volatilität der Preise auszunutzen und ihre Anbauplanung auf die Märkte auszurichten, und sie werden als Verbraucher selbst von steigenden Nahrungsmittelpreisen getroffen. FTD verweist zudem darauf, daß die großen Händler über einen Informationsvorteil verfügen, indem sie die Lage in den Erzeugerländern mit eigenen Angestellten auskundschaften und ihre Preiskalkulationen dementsprechend gestalten.

Da die Kleinbauern in den Ländern des Südens durch die Globalisierung der Nahrungsmittelproduktion und den neoliberalen Strukturwandel zum exportorientierten Anbau genötigt wurden, können sie ihre Ernährung kaum mehr aus dem eigenen Anbau bestreiten. Sie müssen Nahrungsmittel kaufen, deren Preise am Weltmarktniveau orientiert sind, das maßgeblich durch den Verbrauch in den wohlhabenden Staaten und die Aktivitäten an den Rohstoffbörsen bestimmt wird. Die in den globalen Finanzmetropolen allein zur Maximierung der Kapitalakkumulation getroffenen Entscheidungen wirken sich bei ihnen direkt auf das Einkommen und damit die Ernährungssicherheit aus. Dies gilt für alle Menschen, deren minimales Einkommen nur eine simple Basisernährung zuläßt oder sie unter das riesige Heer der Hungernden subsumiert. Doch auch in den wohlhabenden westlichen Gesellschaften schlägt die Preisentwicklung von Lebensmitteln zusehends auf die Ernährungslage der Bevölkerungen durch. Die Streichung von Sozialprogrammen und die Einkommenskürzungen für Beschäftigte des öffentlichen Diensts, mit denen die Kosten der Alimentation überschuldeter Banken auf abhängig Beschäftigte und Versorgungsbedürftige umgewälzt werden, lassen das für Lebensmittel verfügbar Budget so sehr schrumpfen, daß sich jede Preissteigerung negativ auf die Überlebenssicherheit und Gesundheit der Betroffenen auswirkt.

Seit der ersten Welle von Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln 2007 und 2008 und dem Wertverfall primärer Anlageobjekte wie Immobilien sind Investitionen in essentielle Güter für die Fondsmanager deutlich attraktiver geworden. Die Knappheit des Angebots als dynamischer Faktor jeder Kapitalakkumulation ist bei Nahrungsmitteln unabhängig von den saisonalen Ernteerträgen schon deshalb virulent, weil mehr als eine Milliarde Menschen hungert. Die Preisbildung ist nicht an der realen Nachfrage orientiert, sondern diktiert die Verfügbarkeit von Lebenmitteln nach Maßgabe einer Knappheit, die durch die materiellen Bedingungen der Agrarproduktion und Wertschöpfung am Finanzmarkt bestimmt wird. Diverse Verknappungsfaktoren wie der Klimawandel, der zunehmenden Mangel an Süßwasser für die künstliche Bewässerung, die kostenintensive Erschließung neuer Anbauflächen in einer zusehends zubetonierten oder von Desertifikation verödeten Welt, die Monopolstrukturen der Saatgutproduzenten, die Ausweitung der globalen Fleischproduktion, die steigenden Preise der für Feldwirtschaft und Düngemittelerzeugung zentralen Ressourcen Erdöl und Erdgas und die Erzeugung von Agrosprit sorgen dafür, daß der Abstand zwischen verkaufter und produzierter Menge an für den Menschen geeignetem Getreide nie so groß wird, daß es zu einem inflationären Preisverfall käme, der die Bäuche aller Hungernden füllte. Die Spekulation mit Brotgetreide resultiert nicht nur in mit der realen Ertragslage unverknüpften Verteuerungsoffensiven, sondern geht vom globalen Hunger aus und verstärkt ihn.

Ohne die einem Sechstel der Menschheit vorenthaltene Verfügbarkeit ausreichender Ernährung fehlte der am Finanzmarkt erwirtschafteten Verteuerung von Nahrungsmitteln die zentrale Triebkraft jeder Ökonomie. Was sich in den Erträgen der Investoren abbildet, sind letztlich Hunger und Tod, die nicht zu erleiden desto absehbarer ist, je mehr die Kleinbauern der Welt zu einer Art humanem Betriebsstoff menschlicher Reproduktion degradiert werden. Die Zerstörung ihrer Subsistenzwirtschaft durch den großdimensionierten Verkauf von Acker- und Weideflächen an private und staatliche Fonds reicher Länder, durch die Exportmacht subventionierter und hochproduktiver Agroindustrien in den USA und der EU, durch die Expansion genetisch modifizierter Lizenzprodukte der Saatgutindustrie und die Preisdiktate transnational agierender Lebensmittelproduzenten erfolgt bereits, bevor noch ein Warenterminkontrakt abgeschlossen wurde. Es ist nicht nur die räuberische Aneignung des Produkts ihrer Arbeit, auf der die globale Mangelordnung beruht, es ist der Eigentumsanspruch auf das Leben selbst, auf das fruchtbare Land, auf die Biologie der Pflanzen und Tiere, auf die Reproduktionsbedingungen des Menschen, anhand dessen kapitalistische Wertschöpfung Unwert erzeugt.

Ist die finanzmarktgetriebene Genese der sprunghaften Preisentwicklung bei Kaffee und Kakao ohne weiteres einsichtig, so könnten die steigenden Preise beim Hafer oder Weizen, die den letzten Monaten um 30 bis 50 Prozent zugelegt haben, nicht nur mit dem verringerten Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, zu dem es aufgrund der Weltwirtschaftskrise gekommen sein soll [2], oder den spekulativen Geschäften der Investoren zu erklären sein. Letzere prangert das World Development Movement (WDM) an. Diese britische Entwicklungshilfeorganisation hat dieser Tage einen wichtigen Report zum Einfluß der Banken und Fonds auf die globale Verteuerung von Nahrungsmitteln veröffentlicht [3]. In dem Bericht "The great hunger lottery" wird die strikte Beaufsichtigung und Regulation aller auf die Nahrungsmittelproduktion Einfluß nehmenden Geschäfte am Finanzmarkt und die verstärkte Kapitalinvestition in die reale Produktion von Lebensmitteln gefordert.

So sinnvoll dies ist, muß doch bezweifelt werden, daß mit der Kapitalmacht aufs innigste verflochtene Regierungen auf eine Weise in das Marktgeschehen eingreifen, die mehr Effekt hätte als eine gewisse Abflachung der Volatilität der Preisentwicklung. So zutreffend die WDM-Analyse hinsichtlich der Gründe für den weltweiten Hunger und die Probleme der globalen Nahrungsmittelproduktion ist, so bescheiden ist die Forderung nach bloßer Mäßigung eines Kapitalismus, dessen Funktionslogik mit Appellen nicht zu erreichen ist. Kapital hat kein anderes Interesse als sich zu verwerten, und der Wert der menschlichen Arbeit wird allein daran bemessen, wieviel Nutzen er denjenigen erbringt, die sich seinen Mehrwert aneignen. Wenn Menschen in den Ländern des Südens verhungern, weil die Forderung nach rentabler Kapitalverwertung den Lohn ihrer Arbeit unter das zur Reproduktion ihrer Arbeitskraft erforderliche Nivau drückt, wenn die steilen Gefälle zwischen der Produktivität der Volkswirtschaften zementiert werden, weil sie wesentliche Voraussetzung zur Sicherung der Profitrate der Kapitaleliten und des Einkommens ihrer staatlichen Funktionsträger sind, dann ändert die bloße Regulation der Finanzmärkte wenig.

Da die Kapitalakkumulation durch die im WDM-Report geforderte Einschränkung ungeregelter Spekulation gehemmt wird und die hegemonialen Politikkonzepte einer betriebswirtschaftlich ausgelegten Standortlogik folgen, werden in Aussicht stehende Lösungen bestenfalls als Wundpflaster wirken, aber keine Heilung der Malaise globaler Verelendung ermöglichen. Altruismus ist dem Kapital fremd, wie die nicht eingelösten Versprechen zur Zügelung der Kapitalmacht, die wieder sinkenden Ausgaben für die Entwicklungspolitik und die Streichung sozialer Hilfsleistungen auf breiter Ebene belegen. Der anwachsende Hunger und die absehbare Verteuerung essentieller Lebensmittel sind Ausdruck eines globalen Sozialkampfes, über dessen Ausgang Menschen entscheiden, die wissen, daß niemand für ihr Lebensinteresse eintritt, wenn sie es nicht tun.

Fußnoten:

[1] http://www.ftd.de/finanzen/maerkte/rohstoffe/:nach-rekordlieferung-kakao-markt-spielt-verrueckt/50146395.html?mode=print

[2] http://www.welt.de/finanzen/article8219338/Spekulanten-treiben-Kaffee-und-Kakaopreise-hoch.html

[3] http://www.wdm.org.uk/stop-bankers-betting-food/what-problem

22. Juli 2010