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RAUB/0978: Fundamentalirrtum - Mit Kalorienverzicht Hungernden helfen (SB)



Französische Forscher meinen, ein doppeltes Gesundheitsproblem erkannt zu haben: Im Jahr 2050 würden voraussichtlich eine Milliarde Menschen unter- und 700 Millionen überernährt sein. Deshalb sollten die Menschen in den reichen Ländern weniger essen. 3000 Kilokalorien am Tag genügten, so Bruno Dorin vom Forschungsinstitut Inra (Institut national de la recherche agronomique) laut Spiegel Online (12.1.2011).

Mit dem Vorschlag, "einfach mal ein bisschen weniger essen", so daß den armen Ländern geholfen werde, beweisen die Forscher, daß sie nicht ernsthaft an einer Beendigung des Hungers in der Welt interessiert sein können. Wäre es anders, hätten sie nicht Äpfel mit Birnen verglichen und nicht den Gärtner übersehen. Wer in den relativ wohlhabenden Staaten auf Nahrung verzichtet, hilft damit nicht den Hungernden. Die Rechnung, daß mit dem "Zuviel" an Kalorien das "Zuwenig" in den Entwicklungsländern behoben werden könnte, täuscht aufs gröbste über die systemischen Voraussetzungen von Hunger und Sattsein, Armut und Reichtum hinweg.

Ganz anders verhielte es sich, wenn die Forscher die Menschen aufforderten, sich von der vorherrschenden profitgetriebenen Produktionsweise zu verabschieden. Denn die ist nicht darauf ausgerichtet, den Mangel beispielsweise an Nahrung zu beheben, sondern ihn zu erzeugen. Nur wenn eine Ware knapp ist, besitzt sie im kapitalistischen Verwertungssystem einen Wert. Wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, steigen die Preise und Profite. Doch die Menschen in den Hungerregionen werden von den Ökonomen nicht als Nachfragefaktor gerechnet, auch wenn der Bedarf an Nahrung ungeheuer groß ist. Sie verfügen nicht über die erforderlichen Mittel, um Nahrung zu erwerben. Also sind mit ihnen keine Geschäfte zu machen, was bedeutet, daß die Hungernden unversorgt bleiben.

Im übrigen muß man sich wundern, wie die Forscher darauf kommen, daß in vierzig Jahren nur eine Milliarde Menschen unterernährt sein werden. Bereits heute hungert fast eine Milliarde Menschen und eine weitere Milliarde gilt als mangelernährt. Es muß eine gehörige Portion Optimismus oder unvorstellbare Naivität dazu gehören, anzunehmen, daß diese Werte bis 2050 auch nur gehalten werden könnten. Die großmaßstäblich angelegte Vernichtung von potentieller Nahrung in Verbrennungsmotoren, der unaufhaltsame Schwund der Weltgetreidevorräte und Unwetterkatastrophen in landwirtschaftlichen Anbaugebieten entfalten in nächster Zeit als globale Mangelfaktoren ihre Wirkung. Wenn 700 Millionen Menschen auf das Nahrungsäquivalent von jeweils 500 bis 1000 Kalorien täglich verzichteten, käme davon nichts bei den Hungernden an. Solange diese nicht über die Kaufkraft verfügen, fallen sie aus der Versorgung heraus.

13. Januar 2011