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RAUB/0985: EU-Kommission organisiert Investitionsschutz im globalen Verteilungskampf (SB)



Mitte der 1990er Jahre wurde im Rahmen der OECD versucht, mit dem Multilateral Agreement on Investment (MAI) eine Art Magna Charta des globalisierten Kapitalismus zur allgemeinverbindlichen Handlungsgrundlage zu erheben. In großer Einhelligkeit der Regierungen der führenden Wirtschaftsmächte sollte das MAI in aller Heimlichkeit über die Köpfe der davon betroffenen Bevölkerungen auf die Bahn gebracht werden. Wäre dies gelungen, dann hätten global agierende Investoren unter dem Anspruch auf Wettbewerbsgerechtigkeit nicht nur alle Vorteile für sich reklamieren können, die landeseigene Betriebe für sich in Anspruch nehmen. Sie hätten auch gegen gesetzliche Bestimmungen klagen können, die etwa dem Schutz der Umwelt, der Arbeiter oder sozial Benachteiligter gewidmet sind. Was immer als Wettbewerbsnachteil qualifiziert worden wäre, wäre zugunsten des Kapitals in Form einer materiellen wie rechtlichen Enteignung der betroffenen Bevölkerungen korrigiert worden.

Die Unterzeichnung des MAI-Abkommens hätte eine starke Einschränkung politischer Einflußmöglichkeit auf der Ebene der Staaten, Regionen und Kommunen zur Folge gehabt. Formen des politischen Protests, bei denen Kommunen die Produkte bestimmter Konzerne boykottieren, wären unmöglich geworden, allgemeine Belange wie Bebauungs- und Raumordnungspläne wären zum Spielball internationaler Investoren geworden. Quotenregelungen zur Verbesserung der Chancengleichheit von Minderheiten, steuerrechtliche Bestimmungen, kulturelle Sonderrechte - es gab so gut wie keine ordnungspolitische und rechtliche Bereiche, die durch dieses Abkommen nicht der Souveränität der sie demokratisch organisierenden Gemeinwesen entzogen worden wären.

Daß das MAI nicht in dieser Form unterzeichnet und damit nicht zum verbindlichen Bestandteil des EU-Rechts wurde, ist aufmerksamen Globalisierungsgegnern zu verdanken, die die geheim vonstattengehenden Beratungen öffentlich machten und weltweiten Protest gegen die Verabschiedung des Investitionsschutzabkommens mobilisierten. Da dieser vom damaligen WTO-Präsidenten Renato Ruggiero als Verfassung einer einheitlichen Weltwirtschaft bezeichnete Übergriff auf Länder des Südens, die den globalen Verwertungsimperativen aufgrund ihrer niedrigen Produktivität ohnmächtig ausgeliefert sind, nicht durchgesetzt werden konnte, setzte man eine Stufe tiefer an und beschränkte sich auf bilaterale Investitionsschutzabkommen wie dasjenige, das der deutsche Außenminister Guido Westerwelle Ende letzten Jahres im Irak unterzeichnete. Fast drei Jahre hatte es gedauert, bis das Abkommen unter Dach und Fach war, was angesichts der kriegerischen Situation im Land nicht weiter verwundern kann. Obwohl auch letztes Jahr mehrere tausend irakische Zivilisten bei Anschlägen ums Leben kamen, hieß es aus der umfangreichen deutschen Wirtschaftsdelegation, die Westerwelle begleitete, daß die Sicherheitsproblematik nicht so drastisch sei wie allgemein behauptet.

Das war nicht nur eine zweckdienliche Untertreibung, sondern entspricht dem dieser Weltwirtschaftsordnung zugrundeliegenden Gewaltverhältnis. Investitionsschutz wird nicht nur auf rechtlicher Ebene durchgesetzt, indem Staaten gegenüber Unternehmen, die gegen sie einschränkende Umweltgesetze klagen, regreßpflichtig gemacht werden. Er hat nicht nur eine starke repressive Komponente, wenn Regierungen drohende Schadenersatzforderungen zum Vorwand nehmen, Arbeitskämpfe massiv zu unterdrücken. Investitionsschutz wird auch mit militärischen Mitteln betrieben, wie kriegerisch durchgesetzte Wirtschaftsinteressen etwa im aktuellen Fall in Libyen belegen. Dem Erfolg, daß sich Staaten den Markt- und Handelsregularien neoliberaler Akteure unterwerfen, liegt stets ein ökonomisches, zum Beispiel durch Überschuldung bedingtes, oder politisches, mit militärischen Mitteln forciertes Gewaltverhältnis zugrunde. Insofern konnten die negativen Folgen des MAI nicht verhindert werden. Schwächere Staaten besitzen im Rahmen Bilateraler Investitionsabkommen, wie sie die EU-Staaten in großer Zahl ausgehandelt haben, jedoch bessere Verhandlungsmöglichkeiten, als ihnen die Totalität eines Multilateralen Abkommens zugestanden hätte.

Künftig ist die EU-Kommission dafür zuständig, Bilaterale Investitionsabkommen im Rahmen der EU-Investitionspolitik zu vereinheitlichen. Ermächtigt wird sie durch den Lissabon-Vertrag, der die Zuständigkeit für ausländische Direktinvestitionen von den Einzelstaaten auf EU-Ebene verlagert hat [1]. Nachdem das EU-Parlament den entsprechenden Gesetzesentwurf am 6. April verabschiedet hat, werden Bilaterale Investitionsschutzabkommen für die EU-Staaten allgemeine Gültigkeit besitzen. Damit tritt die EU in Ländern, in denen europäische Unternehmen angesiedelt sind oder Anteile an einheimischen Firmen halten, mit ungleich größerem Gewicht auf als ihre einzelnen Mitgliedstaaten. Die Kommission agiert gegenüber ihren Verhandlungspartnern im Namen aller EU-Staaten, was die Möglichkeit, ihnen die eigenen Bedingungen zu diktieren, verbessern dürfte. Da sich am neoliberalen Charakter der gemeinsamen Handelspolitik nichts ändert, könnte man auch von einer europäischen Version des gescheiterten MAI sprechen.

Im Kern geht es dabei um die Abwehr nationaler Formen der Enteignung, zu denen es in der Vergangenheit immer wieder gekommen ist, wenn etwa Ölförderländer Anspruch auf einen höheren Anteil am Erlös ihrer Ressource erhoben. Wo immer Investoren mit sozialen Forderungen der einheimischen Bevölkerung konfrontiert werden, können sie ihre Interessen nicht nur einklagen. Die Abkommen liefern den betroffenen Regierungen auch die plausible Ausrede, einem Sachzwang unterworfen zu sein, den sie gegen die eigenen Bürger durchsetzen müssen. Da Enteignung nicht erst anfängt, wenn ausländische Unternehmen zu ihrem Nachteil nationalen Gesetzen unterworfen werden, sondern es bei mehrwertproduzierender Arbeit und gewinnträchtig geförderten Ressourcen um nichts anderes geht, handelt es sich bei Investitionsschutzabkommen im Grundsatz um Instrumente zur Durchsetzung der Freiheit des Kapitals zu Lasten der Freiheit der Menschen. Die bis auf die Opposition von attac[2] und einigen anderen wirtschaftskritischen Initiativen praktisch unbemerkt gebliebene Kompetenzübertragung auf die EU-Kommission ist Ausdruck der inzwischen ganz offen eingestandenen Transformation der Europäischen Union von einer Wertegemeinschaft zu einem Raubkollektiv.

Fußnoten:

[1] http://dejure.org/gesetze/AEUV/207.html

[2] http://www.attac-netzwerk.de/ag-welthandelwto/neuigkeiten/detailansicht/datum/2011/04/06/eu-ermoeglicht-konzernklagen-gegen-umwelt-und-sozialgesetze-1/?cHash=2a60aead751b86b37bb9ce65b1370471

12. April 2011