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RAUB/0993: Armutsbekämpfung Nebensache - das neue Afrika-Konzept der Bundesregierung (SB)



Es wird Zeit, höchste Zeit. Afrika erlebt einen wirtschaftlichen Aufschwung, und die Bundesrepublik ist nicht dabei. Afrikanische Staaten wiesen im vergangenen Jahr ein Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 4,9 Prozent [1] auf, da heißt es zugreifen, bevor andere es tun. China, Indien, die USA, andere EU-Länder, sie alle sind an den Rohstoffen des schwarzen Kontinents sowie seiner Eigenschaft als Absatzraum für eigene Waren interessiert. Mit ihrem am Mittwoch vorgestellten neuen Afrika-Konzept hofft die schwarz-gelbe Bundesregierung, die taktischen Leitplanken und strategischen Ziele für ein "neues Kapitel" in der Zusammenarbeit mit dem schwarzen Kontinent aufstellen zu können.

Fürwahr, ein neues Kapitel, doch es ist immer noch derselbe Roman. Das Vorwort dazu wurde bereits 1884/85 geschrieben und handelte vom Beschluß der europäischen Kolonialmächte auf der Kongo-Konferenz in Berlin, Afrika unter sich aufzuteilen. Mit dem Titel "Afrika-Konzept" wird nun kaum verhohlen an die kolonialzeitliche Politik der Plünderung angeknüpft. Heute sagt man dazu: Exportfähigkeit der Entwicklungsländer stärken. Damit sie mehr Devisen einnehmen, mit denen sie dann den von Zins und Zinseszins in unerreichbare Höhen getriebenen Schuldenberg abtragen können.

Wie eh und je erscheint Afrika als Ressourcenkontinent, den abzuschöpfen die schwarz-gelbe Regierung sechs Leitideen zugeordnet hat: 1. Frieden und Sicherheit, 2. gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte, 3. Wirtschaft, 4. Klima und Umwelt, 5. Energie und Rohstoffe sowie 6. Entwicklung, Bildung und Forschung. Weniger weichgezeichnet steckt hinter diesen Zielen: 1. Befriedung sozialer Unruheherde und Investitionssicherheit für deutsche Unternehmen, 2. gute Regierungsführung zum Wohle des Kapitals, 3. Exportorientierung und Preisgabe staatlicher Kontrollinstrumente zur Bändigung der kapitalstarken Unternehmen, 4. Klimaschutzmaßnahmen für Investitionsobjekte, 5. Übernahme deutscher Umwelttechnologien zur Energiegewinnung und Verzicht auf eine eigene Rohstoffverarbeitung sowie 6. Bereitstellung von Facharbeitern, die bei Bedarf von Deutschland und der EU abberufen werden, um einerseits deutsche Ausbildungslücken zu schließen (brain drain) und andererseits eine permanente Lohnkonkurrenz zu deutschen Facharbeitern herzustellen.

Doch wo bleiben die Millenniumsziele? Hatte nicht auch die Bundesregierung im Jahr 2000 zugestimmt, Armut und Hunger in den Entwicklungsländern bis 2015 halbieren zu wollen? Warum genießt ein so zentraler Punkt für die Entwicklung eines Landes im neuen Afrika-Konzept nicht allerhöchste Priorität?

Still und leise wird die fehlende Bereitschaft begraben, eine Form der Entwicklungshilfe zu leisten, ohne daß sogleich die Aussicht bestände, ein Mehrfaches dessen wieder hereinholen zu können, was man investiert hat. Wobei hier kein Mißverständnis aufkommen soll: Entwicklungshilfe besaß schon immer einen hegemonialen Zweck. Mit dem Afrika-Konzept werden allerdings die Vorwände und gelegentlichen Hilfemaßnahmen deutlich zurückgebrochen auf den nackten wirtschaftlichen Nutzen. Damit setzt Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) den von ihm nach der Übernahme seines Amtes eingeschlagenen Kurs, sehr viel stärker die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands voranbringen zu wollen, fort. Wie gut paßt es dazu, daß er Anfang der Woche an der Seite seines Parteikollegen Bundesaußenminister Guido Westerwelle nach Bengasi gereist ist und die ostlibyschen Warlords, die unter dem kryptischen Titel "nationaler Übergangsrat" firmieren und denen unbestätigten Berichten zufolge ähnlich den Regierungssoldaten furchtbarste Greueltaten an der Zivilbevölkerung nachgesagt werden, als legitime Vertretung des libyschen Volkes anerkannt haben.

Am Mittwoch reiste Westerwelle erneut nach Afrika, diesmal nach Sudan. Aber anstatt sich mit Vertretern der Zentralregierung in Khartum zu beraten, trifft er den Staatschef des zukünftigen Südsudan, Salva Kiir. Die Separation Südsudans nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg auf der einen Seite und die Ausstellung eines Internationalen Haftbefehls gegen den gewählten sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir durch den Internationalen Strafgerichtshofs - "für Afrika" müßte man ergänzen, da bislang nur gegen afrikanische Personen ermittelt wird - auf der anderen Seite haben das Land erneut an den Rand des Bürgerkriegs gebracht. Mit seinem Besuch gießt Westerwelle Öl ins Feuer. Weitere Unruheregionen im Westen, Osten und zentralen Landesteilen Sudans könnten durch sein Verhalten versucht sein, ebenfalls mehr Eigenständigkeit zu verlangen.

So wie Libyen verfügt auch Südsudan über Erdölvorkommen, den zentralen Schmierstoff der Industrie, dessen Wert in den nächsten Jahren enorm steigen wird, da der Verbrauch von Erdöl die Neuentdeckung bei weitem übersteigt. Bundeswehranalysten kamen im November 2010 in der umfangreichen Studie "Streitkräfte, Fähigkeiten und Technologien im 21. Jahrhundert - Umweltdimensionen von Sicherheit" [1] zu dem Schluß, daß ohne preiswertes Erdöl die Wirtschaft kollabieren wird. Eine Lösung des Problems steht noch nicht in Aussicht.

Deutschland rüstet sich auf vielfältige Weise, um der Verknappung von Erdöl und anderen Rohstoffen zu begegnen - durch wirtschaftliche Übernahmen und Verträge, wo es möglich ist, durch militärische Maßnahmen, wo es vermeintlich nötig ist. Daß Deutschland dem Libyenkrieg im Sicherheitsrat nicht zugestimmt, sondern sich enthalten hat, wird Westerwelle allgemein als schwerer Fehler angerechnet - dabei wäre das eine Entscheidung, die den Außenminister beinahe sympathisch machte. Aber nur beinahe. Die eifrige Anerkennung der Bengasi-Warlords zeigt, daß der militärischen Zurückhaltung nicht Prinzipientreue, sondern nacktes Abwägen der eigenen Vorteile zugrundeliegt.

In der Kombination des Afrika-Konzepts mit den kürzlich von Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) vorgestellten neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien, in denen unter anderem die Sicherung von Rohstoffen und Handelswegen sowie die Abwehr von Klimaflüchtlingen als Aufgabe der zur Interventionsarmee umfunktionierten Bundeswehr beschrieben werden, schält sich die Kontur der imperialistischen deutschen Außenpolitik auf dem afrikanischen Kontinent deutlich heraus. Das seit Jahren treuherzig vorgebrachte und auch im neuen Konzept bemühte "auf Augenhöhe mit Afrika" ist ein Zugeständnis an die afrikanischen Eliten, die mit China und anderen asiatischen Ländern Handelsalternativen zur EU und den USA haben. Deutschland zieht die Handschuhe aus, zukünftig wird mit härteren Bandagen gekämpft.

Fußnoten:

[1] Für dieses Jahr sagt die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) ein Plus von nur noch 3,7 Prozent voraus, doch schätzen viele Analysten, daß das Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr wieder stärker nach oben weist.

[2] "Streitkräfte, Fähigkeiten und Technologien im 21. Jahrhundert - Umweltdimensionen von Sicherheit", Zentrum für Transformation der Bundeswehr, November 2010.

15. Juni 2011