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RAUB/1013: Biospritpolitik der industriellen Zentren gegen das Heer der Hungernden (SB)



Die USA und EU haben mit ihrer Subventionierung der Biospritproduktion von Anfang an eine klare Position für die Mobilität der Industriegesellschaft und gegen das Überlebensinteresse der Hungernden und Marginalisierten dieser Welt bezogen. Es hätte nicht erst der weltweiten Preisexplosion für Nahrungsmittel 2007/2008 und dadurch ausgelöst 100 Millionen Hungernden zusätzlich bedurft, um sich über die Konkurrenz zwischen Tank und Teller im klaren zu werden. Nachdem jedoch selbst Weltbank-Ökonomen auf den geradezu banalen Zusammenhang hingewiesen hatten, daß landwirtschaftliche Fläche, auf der Getreide für Biosprit angebaut wird, für die Produktion von Nahrung wegfällt, so daß dessen Preis nach oben getrieben worden sei, war für die Biospritlobbyisten Imagepflege angesagt.

Die Agrotreibstoffe der nächsten Generation stehen im Unterschied zu Mais, Soja, Raps, etc. nicht mehr in Konkurrenz zu Nahrungs- oder Futtermitteln, lautet die frohe Botschaft. Die EU hat sich sogar ein Feigenblatt aus Umwelt- und Sozialstandards, nach denen in Zukunft nur noch Biosprit produziert werden soll, umgehängt. [1] Holzhackschnitzel, Küchenabfälle, Olivenkerne, ungenießbare Jatrophanüsse, Algen und vieles andere angeblich ethisch unbedenklich zu verbrauchende Pflanzenmaterial mehr sollen künftig Grundlage für die Herstellung von Bio-Ethanol und -Diesel sein.

Der dem Pentagon unterstellte Militärapparat macht einen Treibstoffverbrauch erforderlich, der dem ganz Schwedens übertrifft. Mit Peak Oil im Nacken müssen sich die Warlords in Washington etwas einfallen lassen, wenn sie weiterhin ihre Krieger rund um den Globus aufmarschieren lassen wollen. In den US-Streitkräften wurden deshalb bereits einige Jets probehalber mit Biosprit geflogen; insbesondere Algen versprechen einen klimatisch "cleanen" Treibstoff für die mit Abstand größte Kriegsmaschinerie des Planeten. Zwar lassen sich Algen auch zu Nahrung verarbeiten, so daß der Tank-versus-Teller-Widerspruch nicht aufgehoben ist, aber hey, man kann ja nicht alle Probleme auf einen Schlag lösen.

Nun also Biosprit aus Algen. Ein Anfang zur Ökofizierung der US-Armee wurde gemacht ... wurde er das wirklich? Erfüllen die Kriege der Zukunft Nachhaltigkeitskriterien? Erhält die Bezeichnung "humanitäre Intervention", in deren Namen Länder wie Libyen bombardiert wurden, zusätzliche Bedeutung im Sinne einer gegenüber den Kindern und Enkeln verantwortlichen, "humanitären" Kriegführung - nach dem Motto: fortan keine Treibhausgasemissionen bei der Beseitigung von Diktatoren (die nicht für die eigene Seite arbeiten)?

Nein, auch Algen liefern keinen klimafreundlichen Treibstoff. Einer jüngeren Studie zufolge wird bei ihrer Verarbeitung zu Sprit rund sieben Mal mehr Energie benötigt, als man aus ihnen an Energie herausholen kann. [2] Nun lassen sich sicherlich nicht alle Methoden, nach denen Algen zur Herstellung von Treibstoff gezüchtet werden, über einen Kamm scheren. Es wurden auch weniger energieaufwendige Verfahren entwickelt, die in der Studie nicht analysiert wurden. Dennoch erinnert sie an etwas, das gern vernachlässigt wird: Mit jeder energetischen Umwandlungsstufe nimmt der Wirkungsgrad ab, was umgekehrt eine Zunahme an Verlusten bedeutet.

Die sind von verheerender Konsequenz. Auf den Treibstoff will man nicht verzichten, wohl aber auf die mehrere Dutzend Millionen Menschen, die jedes Jahr sterben, weil sie nicht genügend zu essen haben oder es ihnen an notwendiger medizinischer Versorgung fehlt. In der vorherrschenden hochdifferenzierten Gesellschaftsordnung tauchen sie in der Rubrik "schützenswert" nicht auf. Selbst wenn es einem genialen Tüftler gelänge, den ersten Hauptsatz der Thermodynamik zu widerlegen und ein Perpetuum mobile zu bauen, würde die dann im Prinzip unbegrenzt verfügbare Energie nicht allen Menschen frei zur Verfügung gestellt, weil mit der Energie keine Profite gemacht und damit auch keine Verluste mehr generiert werden könnten. Es würde der Herrschaft der Boden entzogen. Da sei das Kapital vor!

Die Anhänger des Biosprits als Alternative zu Erdöl wollen keine physikalischen Gesetze auf den Kopf stellen. Aber sie nehmen den Standpunkt ein, daß Biosprit der nächsten Generation ethisch vertretbar und nicht gegen die Hungernden gerichtet ist, als ob in einer auf Mangel gestützten und eben diesen produzierenden Gesellschaft irgend etwas nicht gegen das Interesse derjenigen gerichtet ist, denen sämtliche Lebens- und Überlebenschancen vorenthalten werden.



Anmerkungen:

[1] http://ec.europa.eu/energy/renewables/biofuels/sustainability_criteria_en.htm

[2] http://www.utexas.edu/research/ceer/biofuel/pdf/es200109z.pdf

[3] http://ec.europa.eu/environment/integration/research/newsalert/pdf/262na5.pdf

9. Dezember 2011