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RAUB/1017: Waffen statt Brot - Griechenlands Schuld soll nie mehr enden (SB)



Als am härtesten in Mitleidenschaft gezogenes Opfer der kapitalistischen Systemkrise in der Eurozone hat Griechenland de facto den Status eines Protektorats, das seine staatliche Souveränität preisgegeben und sich dem Diktat der sogenannten "Troika" ausgeliefert hat. Die Kontrolleure der EU, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) entscheiden, welche Lasten der griechischen Bevölkerung aufgebürdet werden, um die Profiteure des Desasters in Gestalt der europäischen Führungsmächte und deren Konzernen zu bedienen. Uneingeschränkte Ausplünderung ist der ökonomische Aspekt, der in der Rangfolge der Verfügung noch übertroffen wird von der administrativen und militärischen Zugriffssicherung, die dem Land weder ein Ausscheren aus seiner Funktion innerhalb der NATO und der Sicherung der europäischen Außengrenzen gegen die Hungermigration, geschweige denn eine Erhebung der Bevölkerung angesichts millionenfacher Verelendung gestattet.

Der Handlungsspielraum der Regierung in Athen beschränkt sich auf Handlangerdienste bei der Umsetzung aller Maßgaben der aufoktroyierten Verschuldung, deren Wesen in der Unentrinnbarkeit besteht. Stets bedroht von einem Militärputsch einheimischer Eliten oder einer Intervention der EU hält die politische Führung des Landes die drangsalierte Bevölkerung mit immer neuen Spardiktaten, unablässigen Warnungen vor einer Verschlimmerung der Katastrophe und leeren Versprechen auf letztendliche Rettung und Normalisierung der Verhältnisse in Schach. Dabei sollte jedem klar sein, daß die schon vor der Krise am unteren Ende der EU angesiedelte soziale Lage selbst dieses vergleichsweise niedrige Niveau nie wieder erreichen wird.

Millionen Griechen verfügen über keinerlei Einkünfte mehr. Hunger, Krankheiten und existentielle Perspektivlosigkeit grassieren. In Athener Krankenhäusern werden nur noch Notfälle behandelt, es fehlt an den grundlegendsten Lehrmitteln der Schulbildung. Streiks der Busfahrer und Demonstrationen Tausender Staatsbediensteter gegen ihre angekündigte Entlassung lösen einander ab. Schon laut Stabilitäts- und Wachstumsprogramm für das Jahr 2010 sollten die Sozialausgaben um 1,8 Milliarden Euro reduziert werden. Im Etat für 2012 ist vorgesehen, den Sozialhaushalt um weitere neun Prozent und damit zwei Milliarden Euro zu kürzen.

In krassem Gegensatz zu diesem Würgegriff, der nur noch eine kleine Minderheit der Griechen verschont, wird den Streitkräften und der Rüstungsindustrie so gut wie keine Sparmaßnahme abverlangt. Im Jahr 2010 betrug der Rüstungsetat fast sieben Milliarden Euro, was knapp drei Prozent der Wirtschaftsleistung entsprach. Dies war bereits ein Anteil, der in der NATO nur von den USA übertroffen wurde. Wenngleich das Verteidigungsministerium die Rüstungs-Neubeschaffungen 2011 um 500 Millionen Euro kürzte, führt das nur dazu, daß der künftige Bedarf um so höher ausfällt. An der Truppenstärke von fast 130.000 Soldaten ändert sich vorerst nichts. [1] Die Beiträge zur NATO sollen 2012 um 50 Prozent auf dann 60 Millionen Euro steigen, die laufenden Ausgaben für den Verteidigungshaushalt gar um 200 Millionen auf dann 1,3 Milliarden Euro angehoben werden, was einem Plus von 18,2 Prozent entspricht. [2]

Obgleich Griechenland hart am Rand der Staatspleite steht, plant das Verteidigungsministerium nach Angaben von Insidern offenbar den Kauf von bis zu 60 Eurofightern für geschätzte 3,9 Milliarden Euro, französischer Fregatten für über vier Milliarden und Patrouillenbooten für 400 Millionen Euro, wobei die erforderliche Modernisierung der Flotte ebenso viel kostet. Zudem fehlt es an Munition für die Leopard-Panzer, zwei Apache-Hubschrauber sollen ersetzt werden und damit nicht genug, möchte man deutsche U-Boote zum Gesamtpreis von zwei Milliarden Euro erwerben. Zwar sind diese geplanten Rüstungskäufe derzeit nicht vermittelbar, doch könnte sich das rasch ändern, sobald im März die erhoffte nächste Tranche der Finanzhilfen ausgezahlt wird.

Der frühere griechische Außenminister Dimitris Droutsas rechtfertigt die Rüstungsausgaben mit den Worten: "Wir haben nicht so viel Geld für die Verteidigung ausgegeben, weil uns das Spaß gemacht hat." Die griechischen Außengrenzen müßten gegen die Migrantenströme aus Nordafrika und Asien gesichert werden, fast täglich gebe es Konflikte mit der Türkei. "Ob wir wollen oder nicht, Griechenland ist gezwungen, über ein starkes Militär zu verfügen", hält Droutsas ein Wettrüsten mit dem benachbarten NATO-Partner Türkei für unverzichtbar.

Von den Administratoren der "Troika" wird der Verteidigungshaushalt kaum angefaßt, und seitens der übrigen EU-Mitglieder regen sich so gut wie keine Stimmen, die öffentlich eine Kürzung der griechischen Rüstungsvorhaben fordern. Das gilt insbesondere für die Bundesregierung, die ansonsten als Sparmeister in vorderster Front die Bedingungen diktiert. Griechische und spanische Zeitungen kolportierten gar das Gerücht, Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hätten noch Ende Oktober 2011 Griechenlands Ex-Premier Giorgos Papandreou am Rande eines Gipfeltreffens daran erinnert, bestehende Rüstungsaufträge zu erfüllen oder neue abzuschließen. Dies wurde aus dem Umfeld Papandreous nicht bestätigt und von der Bundesregierung entschieden dementiert. Der Verdacht drängt sich insofern auf, als laut dem soeben veröffentlichten Rüstungsexportbericht 2010 die Griechen nach den Portugiesen die größten Abnehmer deutscher Kriegswaffen sind.

Wie eng gebunden Griechenland in den Ketten seiner Gläubiger am Boden liegt, unterstreicht seine Abhängigkeit von der Umsetzung des Schuldenschnitts, der auf dem Euro-Gipfel Ende Oktober ins Auge gefaßt wurde. Demnach sollen Banken und Versicherer einem Forderungsverzicht von 50 Prozent bei griechischen Staatsanleihen zustimmen, was einem Betrag von 100 Milliarden Euro entspricht. Darüber verhandelt Athen derzeit mit diesen privaten Gläubigern, worauf eine entsprechende Absichtserklärung von den Gremien der EU genehmigt und in den meisten Fällen von den Parlamenten der Mitgliederstaaten des Eurolandes gebilligt werden müßte. [3]

Zudem werden die Kontrolleure der "Troika" am 16. Januar in Athen erwartet, wo sie die Sparmaßnahmen unter die Lupe nehmen. Dabei geht es sowohl um die nächste Tranche des ersten Hilfspakets als auch das neue Paket von IWF und EU in Höhe von 130 Milliarden Euro. Nach Darstellung der griechischen Regierung werden von diesem zweiten Hilfspaket bis Mitte März alles in allem Finanzhilfen in Höhe von 89 Milliarden Euro benötigt, worin auch die Folgen des Schuldenschnitts enthalten seien.

Ob sich jedoch alle privaten Gläubiger an dem Schuldenschnitt beteiligen gilt vorerst als ebenso fraglich wie die Hoffnung, daß dessen Höhe angesichts der immensen Schuldenprobleme Griechenlands ausreicht. "Wenn diese Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen sind, dann fällt eine große Last von unseren Schultern", hatte Ministerpräsident Lucas Papademos vor dem Ministerrat erklärt. Demgegenüber steht jedoch zu befürchten, daß die unmittelbaren und mittelbaren Gläubiger alles daransetzen werden, die Last der Schuldknechtschaft nie wieder von den Schultern der Griechen zu nehmen.

Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/2012/02/Ruestung-Griechenland

[2] http://derstandard.at/1325485843332/Trotz-naher-Staatspleite-Griechenland-spart-nicht-bei-Ruestung

[3] http://diepresse.com/home/wirtschaft/eurokrise/721775/Athen-hofft-auf-SchuldenschnittEinigung-im-Jaenner?direct=721865&_vl_backlink=/home/wirtschaft/index.do&selChannel=1452

8. Januar 2012