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RAUB/1137: Stadtverwandlung - Vorwandslage Bahnhofsumbau ... (SB)



Stuttgart 21 läßt grüßen. Die Deutsche Bahn und die Stadt Hamburg wollen den Kopfbahnhof Altona verlegen. Dabei folgen sie dem sattsam bekannten Muster: Die Bevölkerung wird ignoriert, Planungen sind geheim und die Fahrgäste haben das Nachsehen. Wenngleich es dem seit Jahren verfolgten und nun forciert vorangetriebenen Vorhaben offenkundig an Irrtümern, fiktiven Prognosen und unzulänglicher Ausführung nicht mangelt, läßt sich seine Problematik doch nicht hinreichend mit Fehlern erklären, die eine bessere Herangehensweise vermieden hätte. Wie bei allen derartigen Großprojekten prallen unvereinbare Widersprüche aufeinander: Die Deutsche Bahn will profitabler wirtschaften, was nur auf Kosten ihrer Beschäftigten und der Reisenden möglich ist. Die Stadt Hamburg will den Standort für Investoren und Unternehmen veredeln, wodurch gewachsene Quartiere, bezahlbarer Wohnraum und die ärmeren Bevölkerungsteile auf der Strecke bleiben. Die am Projekt beteiligten Geldgeber und Firmen wollen daran verdienen, was zur Voraussetzung hat, daß ihnen Steuergelder zufließen und attraktive Flächen günstig überlassen werden.

Die Versprechen der Deutschen Bahn, der neue Hamburger Bahnhof mache die Züge pünktlicher, das Umsteigen leichter, entlaste den Hauptbahnhof und schaffe auch noch Platz für neue Wohnungen, kann demzufolge nur ein Täuschungsmanöver sein. Wo sollte der in Aussicht gestellte Gewinn für alle herrühren, wenn nicht aus Verlusten, deren Leidtragende wohlweislich verschwiegen werden? Daß sich der Konzern hartnäckig weigert, die Berechnungen zu veröffentlichen, auf denen seine Darstellung basiert, hat einen triftigen Grund. Nicht nur Arroganz und eine kurzsichtige Geschäftspolitik sind hier am Werk, vielmehr kann um der Durchsetzung des Projektes willen schlichtweg nicht offengelegt werden, worum es dabei tatsächlich geht.

Aus Stuttgart 21 zu lernen, obgleich man es in Hamburg-Altona wiederholen will, kann aus Betreibersicht allenfalls darauf hinauslaufen, dem Widerstand wirksamer als damals den Wind aus den Segeln zu nehmen. Massenproteste in der Hamburger Innenstadt und brutale Polizeieinsätze gegen Demonstrierende wie im September 2010 in Stuttgart sind zwar in der Hansestadt seit G20 in denkbar größtem Maßstab erprobt, könnten aber die geplante Bahnhofsverlegung doch noch zum Kulminationspunkt einer rasch wachsenden Gegenbewegung machen. Die Zeit drängt für beide Seiten: Liefe alles nach Plan, kämen im Sommer 2018 die ersten Bagger, wäre 2023 alles fertig und auf den durch den Abriß des alten Kopfbahnhofs freiwerdenden Flächen stünden 1900 neue Wohnungen bereit. Man muß nicht den unsäglichen Berliner Großflughafen bemühen, um die Einhaltung des Zeitplans auch in Altona in Zweifel zu ziehen. Was die Kosten betrifft, gingen frühere Schätzungen von rund 360 Millionen Euro für die Bahnhofsverlegung aus - ein Witz, über den spätestens seit der Elbphilharmonie auch in Hamburg niemand mehr lachen kann. Inzwischen werden die geplanten Kosten des Vorhabens erst gar nicht mehr kommuniziert, wohl um keine schlafenden Hunde zu wecken.

Wo heute der kleine S-Bahnhof Hamburg-Diebsteich steht, soll ein moderner Bahnhof mit sechs Fernbahn- und zwei S-Bahn-Gleisen errichtet werden. "Dieser Bahnhof ist sinnlos, ineffizient und eine riesige Verschwendung von Steuergeldern", kritisiert Michael Jung, Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock. Die Initiative geht ebenso wie die Linkspartei und der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) davon aus, daß während der Bauphase im gesamten Hamburger Westen ein Verkehrschaos herrscht. Vor allem aber würde der angrenzende Stadtteil Bahrenfeld sein Gesicht verändern, denn der neue Bahnhof verstärke die Gentrifizierung und treibe die Mieten nach oben. Zwar werde die Bahn fortan Betriebskosten sparen, doch für viele Fahrgäste sei der neue Standort schlechter erreichbar. Vor dem Hamburgischen Oberverwaltungsgericht liegen drei Klagen vor, zudem läuft ein Eilverfahren, das den Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses stoppen soll.

Umstritten ist auch die geplante Mantelbebauung mit zwei Hochhäusern, welche die Eingangshalle der Bahn einrahmen sollen. Die Ausschreibung hatte im Januar 2017 begonnen, Ende September bekam ein Gemeinschaftsunternehmen der Haspa PEB und des Immobilieninvestors Procom den Zuschlag. Projektgegner monieren, daß dieses Jointventure namens Proha Altona GmbH & Co. KG erst im Sommer 2017 gegründet worden war. Kann ein Unternehmen, das zu Beginn der Ausschreibung noch gar nicht existierte, den Zuschlag bekommen? Dagegen hat ein Hamburger Bürger Klage bei der EU-Kommission eingereicht. Diese Beschwerde wird nun geprüft, was bis zu einem Jahr dauern kann. Die Stadt und die Investoren sehen sich jedoch auf der sicheren Seite. Das sei gängige Praxis und entspreche den rechtlichen Vorgaben. [1]

Wie die Bahn argumentiert, spare der Durchgangsbahnhof Zeit und im Fernverkehr entstünden kürzere Reisewege. Außerdem hätten Fahrgäste mehr Möglichkeiten umzusteigen. Der Spiegel hat die Unterlagen zu dem Großprojekt ausgewertet und eine Verkehrsanalyse durchführen lassen. Er kommt zu dem Schluß, daß die Begründung für das größte Bahnprojekt in Norddeutschland kritischen Nachfragen nicht standhält. Wichtige Planungsunterlagen seien nicht veröffentlicht worden, die Bahn habe den Nutzen für die Fahrgäste nicht nachgewiesen, Einwände von Bürgern seien abgewiegelt worden. Deshalb hat Der Spiegel Motion Intelligence, ein auf Geoanalyse und Standortplanung spezialisiertes Unternehmen aus Potsdam, mit einer Analyse beauftragt. Die Experten legten ein ernüchterndem Ergebnis vor. Demnach verschlechtert sich für rund 231.000 Hamburger durch den Bahnhofsumzug der Anschluß an den Fernverkehr, das sind rund 13 Prozent der Stadtbevölkerung. Auf der anderen Seite können nur rund 169.000 Hamburger von der neuen Lage profitieren. Für die restlichen 1,440 Millionen Hamburger ändert sich nichts. Auch für viele Jobs bedeutet der Bahnhofsumzug eine Verschlechterung. Rund 139.000 Menschen am Arbeitsplatz sind nach dem Umzug schlechter angebunden als vorher, für rund 43.000 wird es besser.

Die Verschlechterung rührt daher, daß der alte Kopfbahnhof ein großer Verkehrsknoten ist. Hier halten nicht nur Fern- und Regionalzüge, die Fahrgäste haben auch direkten Anschluß an sechs S-Bahnen und 17 Buslinien. Der Bus- und S-Bahnhof soll aber nach dem Umzug am alten Standort bleiben. Am neuen Bahnhof gibt es hingegen nur zwei S-Bahn-Linien und eine einzige Busverbindung. Sicher ist bisher nur, daß zwei weitere S-Bahn-Linien dazukommen, die jedoch dieselben Streckenabschnitte bedienen wie die schon existierenden. Die Stadt hat angekündigt, den Bahnhof mit weiteren Buslinien anzubinden, eine konkrete Planung dazu ist bisher aber nicht bekannt. Für eine künftige weitere Anbindung mit der S-Bahn könnte der Bahnhof sogar bei seiner Eröffnung schon zu klein sein. Weder die Deutsche Bahn noch die Verkehrsbehörde der Stadt Hamburg haben sich Anfragen des Spiegels zu möglichen Nachteilen für Fahrgäste geäußert. [2]

Der Hamburger Senat schmiedet längst darüber hinausweisende Pläne und hofft, langfristig eine Verbindung zum nordöstlich gelegenen Stadtteil Eimsbüttel schlagen zu können. Zu diesem Zweck sollen die dazwischen gelegenen Industriegebiete, zu denen auch Areale rund um den Diebsteich gehören, in der Zukunft anders genutzt werden. Für die Menschen in den angrenzenden Quartieren brächte das große Veränderungen ihrer gewohnten Lebensverhältnisse bis hin zu einer möglichen Verdrängung mit sich. Wenn die Bürgerinitiative Prellbock Altona statt einer Verlegung die Modernisierung des jetzigen Altonaer Fern- und Regionalbahnhofs fordert, stemmt sie sich damit gegen das konkrete Projekt der Bahn, zugleich aber auch gegen eine anhaltende Verwandlung der Stadt Hamburg in eine unwirtliche Sphäre für all jene Menschen, denen die materiellen Mittel für horrende Mieten, teure Konsumtempel und von kostenlosen Begegnungsplätzen gesäuberte Flaniermeilen fehlen.


Fußnoten:

[1] www.faz.net/aktuell/wirtschaft/hamburger-gegen-neuen-bahnhof-als-ersatz-fuer-altona-15600513.html

[2] www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/hamburg-neuer-bahnhof-altona-bringt-viele-nachteile-a-1175156.html

22. Mai 2018


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