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RAUB/1144: Dienstpflicht - soziale Mehrausbeutung ... (SB)



Wir fordern ein Gesellschaftsjahr, in dem jeder junge Mensch, egal, ob Mann oder Frau verpflichtet ist, etwas für die Gesellschaft zu tun. Das kann bei der Bundeswehr sein, das kann bei der Feuerwehr sein. Aber das kann auch in der Pflege oder einer sozialen Einrichtung sein.
Paul Ziemiak, Vorsitzender der Jungen Union [1]

Für all jene Menschen, die zur Existenzsicherung auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen sind, stellt sich die Freiwilligkeit, Arbeit zu verrichten, grundsätzlich als mehr oder minder eingeschränkt dar. Dies vorausgesetzt, gelten Sklaverei oder sklavenähnliche Verhältnisse, wie sie heute weltweit in historisch beispiellosem Ausmaß erzwungen werden, als gravierender Verstoß gegen die Menschenrechte. Auch Zwangsarbeit in anderen Varianten wird gemäß einer Reihe internationaler Konventionen für unrechtmäßig erachtet. Eingedenk der massenhaften Menschenvernichtung durch Zwangsarbeit im NS-Staat wurde in der Bundesrepublik Deutschland 1949 im Grundgesetz in Art. 12 Abs. 2 ausdrücklich geregelt, daß niemand zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden darf. In Abs. 3 wird dies dahingehend eingeschränkt, daß Zwangsarbeit nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig ist.

Daß diese in der Verfassung festgeschriebene Schranke wie alle anderen vorgeblich unverrückbaren Hürden nicht in Stein gemeißelt ist, sondern bei entsprechender Interessenlage durchaus in Frage gestellt wird, deuten aktuelle Diskussionen um die Einführung einer "allgemeinen Dienstpflicht" für junge Männer und Frauen an. Wie CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer angekündigt hat, soll diese auf dem Parteitag im Dezember als "Leitfrage" beschlossen und 2020 im neuen Grundsatzprogramm der Union verankert werden. Der Vorstoß zielt darauf ab, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Zum einen soll der Rekrutenmangel der Bundeswehr durch eine Wiedereinführung der Wehrpflicht behoben, zum anderen der Personalnotstand im sozialen Sektor kompensiert werden.

Wenngleich diese Pläne derzeit heftig und durchaus kontrovers diskutiert werden, ist das Tabu gebrochen und ein Anfang der öffentlichen Debatte gesetzt. Im Für und Wider der Argumente werden zweifellos weitere Keile in den Spalt getrieben, wobei sich schon jetzt abzeichnet, daß der Vorschlag keinesfalls aus heiterem Himmel kommt, sondern Ausdruck langgehegter, nun aber erstmals offiziös verlautbarter Absichten ist. Die Arbeitsgesellschaft drängt in Krise und Krieg um so unerbittlicher darauf, den Arbeitszwang an der zivilen und militärischen Front durchzusetzen. Es geht konkret um Kanonenfutter und verwertbare physische Substanz, zugleich aber um eine generelle Vertiefung der Bringschuld des Menschen, der aus dem Arbeitsregime selbst dann nicht entlassen wird, wenn die Erwerbsmöglichkeiten schwinden.

Auch erlaubt es die Zweigleisigkeit der Initiative, argumentativ zwischen den beiden Komponenten hin und her zu springen, so daß sie sich ungeachtet partieller Einwände gegen diesen oder jenen Aspekt letztendlich gegenseitig bestärken. Diskutiert wird einerseits, ob die Wiedereinführung der Wehrpflicht sinnvoll und möglich ist oder nicht, wobei kaum jemand die Stimme gegen den deutschen Militarismus als solchen erhebt. Erörtert wird andererseits, welche wunderbaren Möglichkeiten die Zivilpflicht jungen Menschen eröffnet, sich zwischen Schule und Berufstätigkeit zu engagieren. Wenngleich manchen Kommentatoren durchaus in den Sinn kommt, daß die Verpflichtung nicht gerade motivierend wäre, bleibt Opposition gegen das Zwangsverhältnis als solches Mangelware.

Daß man die Verfassung kennen und zugleich mit ihrer Aufweichung liebäugeln kann, demonstriert der Wehrbeauftragte der Bundeswehr, Hans-Peter Bartels (SPD): "Das fällt unter das Verbot der Zwangsarbeit". Er halte es "für ziemlich unwahrscheinlich, 700.000 junge Männer und Frauen jährlich für die eine oder andere Aufgabe verpflichtend einzuziehen, so sympathisch die Idee auch klingen mag". Daß die Sozialdemokratie der Truppe fest die Stange hält, unterstreicht auch sein Parteigenosse Fritz Felgentreu: "Wir müssen eine gesellschaftliche Debatte darüber führen, ob wir auf dem heutigen Weg, die Bundeswehr möglichst attraktiv zu machen, tatsächlich die Personalzahlen erreichen, die wir für die Landes- und Bündnisverteidigung brauchen." [2]

In der Union ist man Feuer und Flamme, wenngleich die Frage der Wehrpflicht noch gedreht und gewendet wird. So stellt Henning Otte, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, klar, daß es nicht um die "Wehrpflicht alten Zuschnitts" geht. Die helfe "bei den aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen nicht weiter". Für eine leistungsfähige Bundeswehr seien motivierte junge Menschen nötig, "die längere Zeit bei der Truppe bleiben und komplexe Technik bedienen können". Eine allgemeine Dienstpflicht für alle sei aber etwas anderes. "Dadurch könnte sich ein stärkeres Bekenntnis zu unserem Land entwickeln und der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt werden", wittert Otte satten Zugewinn. Er empfiehlt denn auch, das Thema zu prüfen, um "grundsätzliche juristische Hürden" zu beseitigen. [3]

Einige altgediente Schlachtrösser wie Volker Rühe oder Harald Kujat lehnen die Wiedereinführung der Wehrpflicht rundweg ab, weil sie ihres Erachtens heute nicht mehr durchführbar wäre, ohne die Bundeswehr ins Chaos zu stürzen. Was die Streitkräfte brauchten, um attraktiver zu werden, seien bessere Ausrüstung, höhere Bezahlung und gesellschaftliche Anerkennung. Zugleich verwahrt sich Volker Rühe entschieden dagegen, daß früher nur die Konservativen für die Wehrpflicht gewesen seien: "Das war eine hervorragende Verbindung zwischen der Armee und der Bevölkerung. Das war über viele Jahrzehnte lang eine Erfolgsstory, und deswegen ist das auch noch in guter Erinnerung." [4]

Der Parteinachwuchs in Gestalt von Paul Ziemiak, Vorsitzender der Jungen Union, favorisiert den Rundumschlag: "Wir fordern ein Gesellschaftsjahr, in dem jeder junge Mensch, egal, ob Mann oder Frau verpflichtet ist, etwas für die Gesellschaft zu tun. Das kann bei der Bundeswehr sein, das kann bei der Feuerwehr sein. Aber das kann auch in der Pflege oder einer sozialen Einrichtung sein." Was Rühe heute für unmöglich hält und Ziemiak flott übers Knie bricht, möchte der CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg im Spagat lösen, wenn er vehement für die Rückkehr zum Dienst an der Waffe eintritt. Die veränderte Sicherheitslage erfordere beides: Für die Landesverteidigung eine Wehrpflichtarmee, für die Auslandseinsätze Berufs- und Zeitsoldaten. Rechtlich wäre das ohne weiteres möglich, da die Wehrpflicht nur ausgesetzt, nicht aber abgeschafft sei. [5]

Sensburg, der sich und seine Generalsekretärin von Volkes Stimme mandatiert sieht, da man auf vielen Veranstaltungen in Bürgergesprächen wahrgenommen habe, daß die Menschen für die Wehrpflicht sind, während das in der Berichterstattung oftmals anders erscheine, setzt auf den populistischen Weg. Es sei wichtig, eine Debatte von unten nach oben zu führen und eine gesellschaftliche Diskussion anzustoßen: "Erst mal eine Diskussion, dann eine Entscheidung!" Die AfD wird's freuen, setzt sie sich doch bislang als einzige Partei klar für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht ein. Wer dagegen sei, schade Deutschland, so Fraktionschef Alexander Gauland drohend. Dabei muß die AfD inzwischen nicht mehr allzu viel tun, um die Union samt dem Rest der Parteien vor sich her zu treiben, wie der jüngste Vorstoß in CDU-Kreisen unterstreicht.


Fußnoten:

[1] www.deutschlandfunk.de/debatte-um-verpflichtendes-gesellschaftsjahr-wir-brauchen.694.de.html

[2] www.wsws.org/de/articles/2018/08/07/wehr-a07.html

[3] www.jungewelt.de/artikel/337404.cdu-vorstoß-mit-zwang-gegen-personalmangel.html

[4] www.deutschlandfunk.de/wiedereinfuehrung-einer-allgemeinen-dienstpflicht-mit.694.de.html

[5] www.deutschlandfunk.de/allgemeine-dienstpflicht-illusorisch-rueckschrittlich-teuer.1766.de.html

8. August 2018


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