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RAUB/1155: Klimakampf und Kohlefront - sorglos zu Lasten der Welt ... (SB)



In der Debatte um die Abwicklung der Braunkohleverstromung wird ein Ausmaß an Stromverbrauch unterstellt, das an einer auf Wirtschaftswachstum orientierten Industriegesellschaft orientiert ist. Das im weltweiten Vergleich sehr hohe Verbrauchsniveau Deutschlands wird nicht kritisiert, sondern scheint eine unhinterfragbare, von allen Seiten letztendlich akzeptierte Größe zu sein. Um auf der Verbrauchseite keine Einschränkungen hinnehmen zu müssen, wird auf die sogenannten Erneuerbaren verwiesen, als stelle der durch sie bediente Bedarf keine sozialökologisch kritikwürdige Form verbrauchsintensiver Lebensweise dar. Insbesondere die zerstörerischen Auswirkungen sogenannter Bioenergie zeigen, daß es mit der Energiewende allein nicht getan ist.

Das Verheizen von Plantagenwäldern, die unter großem Einsatz von fossiler Energie abgeholzt, zu Pellets verarbeitet und über den Atlantik nach Europa verschifft werden, ist kaum weniger klimaschädlich als die Nutzung fossiler Primärenergie. Mehr als die Hälfte der in der EU verfeuerten Holzpellets stammen inzwischen aus dem Südosten der USA, wo WaldschützerInnen einen verzweifelten Kampf gegen die Abholzung nicht nur von Baumplantagen, sondern auch alten Beständen für die Energieproduktion führen. Zwar behaupten die Energiekonzerne gerne, daß vor allem Holzabfälle und andere Biomasse verheizt werden. Der Verbrauch von Bäumen nimmt in der EU jedoch stärker zu als der von Holzabfällen [1], so daß inzwischen letzte intakte Waldgebiete in Rumänien, Bulgarien und Polen von der Abholzung bedroht sind.

Die UmweltschützerInnen der Dogwood Alliance, die für den Erhalt der von Biomasseproduktion bedrohten Wälder im Südosten der USA kämpft, beklagen zudem, daß schon die Produktion der Pellets unter erheblicher Luftverschmutzung erfolgt, die die in der Nähe der Fabriken lebenden Menschen akut bedroht [2]. Es sind unter anderem deutsche Unternehmen, die von den AktivistInnen bezichtigt werden, die Grenzwerte zur Luftreinhaltung bei der Produktion von Pellets, die in der EU verheizt werden, massiv zu überschreiten. In der Bundesrepublik sind die Feinstaubemissionen aus der Holzverbrennung inzwischen höher als diejenigen, die im Straßenverkehr anfallen, was allerdings vor allem durch kleine Holzfeuerungsanlagen bedingt ist.

Auf jeden Fall ist der Ruf der Bioenergie weit besser als ihre ökologische Realität. So wird beim Verbrennen des Holzes zur Energieerzeugung mehr CO2 freigesetzt als bei der Kohleverstromung. Die geringere Energiedichte bei Biomasse schlägt zudem immer dann negativ zu Buche, wenn sie über längere Strecken transportiert werden muß, also zusätzlichen Energieverbrauch erzeugt. Klimatechnisch rechnet sich diese Form erneuerbarer Energie erst, wenn eine entsprechende Menge an Holz angebaut wird und dabei wieder CO2 aufnimmt. Da dies mehrere Jahrzehnte in Anspruch nimmt, weist das kurzfristige Verbrennen des Holzes geschlagener Bäume sogar eine deutlich schlechere Klimabilanz als die fossile Energieerzeugung auf. Das Zeitfenster zum Ergreifen klimaschützender Maßnahmen ist in jedem Fall weit kleiner als die Jahrzehnte, in denen die Freisetzung des CO2 verheizter Bäume durch deren Wiederaufforstung kompensiert wird. Dennoch bedarf es in der EU keines Nachweises, ob in den Wirtschaftswäldern nur so viele Bäume für die Pelletproduktion geschlagen werden, wie zugleich nachwachsen. So fließen Millionen an Subventionen in Kraftwerke, die von Kohle auf Holz umstellen und danach nicht weniger Schadstoffe abgeben als zuvor, allein aufgrund des Etiketts "erneuerbar".

Wälder werden mithin nicht nur durch den Braunkohletagebau oder andere Formen des energiewirtschaftlichen oder mineralischen Extraktivismus bedroht, sondern auch durch ihre vermeintlich grüne Verwendung. Die Nutzung agrarischer Bioenergie für Stromerzeugung und Agrosprit, die im Bereich nahrungsmitteltauglicher Feldpflanzen in Deutschland vor allem bei Mais und Raps, in den USA vor allem bei Mais relevant ist, wiederum belegt für die Ernährung der Menschen wertvolle Ackerfläche. Während von einer Milliarde mangelernährter und hungernder Menschen ausgegangen werden kann, wenn auch die mangelernährten Bevölkerungen in Nordamerika und Europa in die Rechnung einbezogen werden, werden gigantische Ackerflächen für Energiepflanzen eingesetzt. Das sich darin ausdrückende zynische Verhältnis zu den Hungernden betrifft ein menschliches Lebensinteresse, das in den Verbrauchsbilanzen nicht auftaucht, weil es keine zahlungsfähige Nachfrage repräsentiert.

Die Biogaserzeugung aus Gülle und Mist wiederum setzt eine Tierproduktion voraus, die als besonders klimaschädlich gilt, weil es eines Mehrfachen an pflanzlichen Nährstoffen bedarf, um eine entsprechende Menge an tierischem Protein und Fett zu erzeugen. Mit der Nahrungsmittelerzeugung durch Tierzucht wird eine Landwirtschaft unterstützt, die negative Auswirkungen auf die Reinheit des Trinkwassers hat, die zur Verbreitung antibiotikaresistenter Keime beiträgt und die im Prozeß der Düngung größere Mengen an N2O-Emissionen freisetzt. Das auch als Lachgas bekannte Distickstoffmonoxid ist so klimaschädlich, daß die Klimabilanz des Raps dadurch als schlechter gilt als die von Benzin.

Negativ zu Buche schlägt auch die Freisetzung des Ammoniaks, das in der als Düngemittel verwendeten Gülle aus der Tierproduktion und in weniger relevantem Ausmaß in Kunstdünger enthalten ist. Im Kontakt mit der Luft werden Ammoniumsalze erzeugt, die die für den Menschen schädliche Konzentration atmosphärischen Feinstaubes so sehr erhöhen, daß die Landwirtschaft in Deutschland als Feinstaubquelle Nummer eins gilt. Weitere Ammoniakemissionen fallen bei Entstickungsanlagen zur Reduzierung von Stickoxidemissionen aus Kraftwerken und Katalysatoren in Kraftfahrzeugen an, also bei Vorgängen, die ihrerseits schädliche Effekte aus Verbrennungsprozessen begrenzen sollen.

Wirksamer Umwelt- und Klimaschutz ist ohne Einschränkungen auf der Seite des Verbrauches, vor allem in der industriellen Produktion, aber auch beim individuellen Konsum, nicht zu schaffen. Das wird nicht nur durch die Ambivalenz sogenannter Bioenergie dokumentiert, sondern insbesondere durch die generell hinter der Erwärmung der Atmosphäre weit hinterherhinkenden Maßnahmen, die den Prozeß verlangsamen und perspektivisch irgendwann einmal stoppen sollen. Sich nicht bewegen zu müssen und an einer an Wachstum- und Wettbewerb orientierten Produktionsweise festzuhalten, die das Ausmaß des dabei anfallenden Ressourcenverbrauchs fast ausschließlich der Maßgabe seiner Kapitalproduktivität überläßt, ist ein Luxus, den sich die von Dürre und Verwüstung betroffenen Menschen längst nicht mehr leisten können.


Fußnoten:

[1] https://www.dw.com/de/holz-statt-kohle-eine-gute-idee/a-41609377

[2] https://www.dogwoodalliance.org/2018/05/dirty-deception-envivas-shocking-pattern-of-air-quality-violations/

[3] https://www1.wdr.de/fernsehen/quarks/feinstaub-landwirtschaft-100.html

19. September 2018


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