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RAUB/1173: Mode von der Stange - tödlicher Profit ... (SB)



Wir haben uns zusammengetan. Der Fall ist international geworden. Solche Unfälle müssen überall auf der Welt verhindert werden. Wir kämpfen für unser Recht, und unser Ziel ist es, dass es nirgendwo mehr solche Brände geben darf.
Saeeda Khatoon (Klägerin im Dortmunder Prozeß gegen KiK) [1]

Am 11. September 2012 starben durch einen Brand in der Textilfabrik "Ali Enterprises" in Karatschi beim schwersten Fabrikunfall in der Geschichte Pakistans 259 Menschen. Hauptauftraggeber dieses Produzenten war der deutsche Discounter KiK. Heute hat vor dem Dortmunder Landgericht der Prozeß gegen KiK begonnen, bei dem es nicht nur um Schadenersatz, sondern auch die Verantwortung deutscher Textilunternehmen geht. Sie lagern ihre Produktion gezielt in Billiglohnländer wie Pakistan und Bangladesch aus, weil die Standards dort besonders niedrig sind. Wo von Wertschöpfungsketten in der globalisierten kapitalistischen Produktion die Rede ist, sollte man besser von Ausbeutung der Arbeitskraft bis an den Rand der körperlichen Vernichtung und darüber hinaus sprechen. So unverzichtbar es ist, die konkreten Profiteure beim Namen zu nennen und zur Rechenschaft zu ziehen, sind sogenannte schwarze Schafe der Branche doch keine Sonderfälle, durch deren Ausgrenzung die hiesige Wirtschaftsweise als solche reinzuwaschen wäre.

Die Bundesregierung hat nicht vor, der Fastfashion Steine in den Weg zu legen und deren Firmen in die Pflicht zu nehmen. Sie sieht ihre vordringliche Aufgabe darin, der heimischen Ökonomie auf die Sprünge zu helfen, und da sich das Kapital noch immer dort am günstigsten verwerten läßt, wo die billigste und willigste Arbeitskraft zu haben ist, soll sich daran prinzipiell auch nichts ändern. Die Teilhaberschaft reicht bis hin zu den Konsumentinnen und Konsumenten, die möglichst günstig einkaufen wollen, ohne sich Gedanken an die Herkunft dieser Kleidung zu machen oder gar in Erwägung zu ziehen, daß der deutsche Lebensstandard nicht zuletzt auf der Produktion des Elends in ärmeren Weltregionen gründet.

Der Dortmunder Prozeß ist zweifellos brisant und birgt eine potentielle Dynamik, Fragen auf die Tagesordnung zu setzen, die Wirtschaft und Politik seit langem einzuhegen bemüht sind. Dabei kommt insbesondere die Strategie zum Einsatz, durch Kompensationszahlungen alle weitergehenden Forderungen abzuweisen, Maßgaben zu formulieren, deren Umsetzung auf freiwilliger Basis erfolgen soll, und Verbesserungen zu simulieren, die sich bei Überprüfung vor Ort als fiktiv erweisen. Beliebt ist auch ein angetäuschtes Vorpreschen, indem man erklärt, wirksame Veränderungen ließen sich nur dann herbeiführen, wenn auch andere Länder mitziehen und die Standards auf Ebene der EU verankert würden. Die unverhohlene Drohung, man schnitte sich ins eigene Fleisch, legte man in der erbitterten Konkurrenz die harten Bandagen ab, bedient die Klaviatur weltweiter Interdependenz zum ausschließlichen Zweck, sich ihrer zum eigenen Vorteil zu bedienen.

Um ihr Anliegen dem Vergessen zu entreißen, haben die Angehörigen der Brandopfer beschlossen, sich zu wehren und zu organisieren. Sie wählten vier Vertreter aus ihren Reihen aus, die gegen den Textildiscounter KiK im fernen Deutschland eine Zivilklage eingereicht haben. Saeeda Khatoons einziger Sohn ist in dem Feuer umgekommen. Muhammad Jabbir und Abdul Azis Khan Yousuf Zai haben beide ebenfalls einen Sohn verloren. Und Muhammad Hanif, der einst mit neun Jahren in der Fabrik zu arbeiten anfing, hat den Brand nur um Haaresbreite überlebt. Ihm wurde die Einreise zum Prozeß aus ungeklärten Gründen verwehrt. Er hatte schon in der Vergangenheit einmal kein Visum für Deutschland erhalten, weil er auf einer Sanktionsliste der EU steht. Angeblich soll er 2012 in Österreich festgenommen worden sein, zu einem Zeitpunkt, wo er nach eigener Aussage in Karatschi seine schwere Rauchvergiftung auskurierte. Die vier verlangen jeweils ein Schmerzensgeld von 30.000 Euro, die das Unternehmen zwar aus der Portokasse zahlen könnte, jedoch mit möglicherweise gravierenden Folgen, was die eigene Verantwortung betrifft.

Deutsche Textilimporteure wie der Modediscounter KiK stehen unter starkem öffentlichen Druck, zumal sie auch im Rana Plaza fertigen ließen. Am 24. April 2013 und damit nur wenige Monate nach dem Brand in Karatschi wurden beim schwersten Fabrikunfall in der Geschichte Bangladeschs 1135 Menschen getötet und 2438 verletzt, als in Sabhar etwa 25 km nordwestlich der Hauptstadt Dhaka das achtstöckige Gebäude zusammenbrach. Wenngleich die Sicherheitsstandards seither in gewissem Umfang verbessert wurden, hat sich am extremen Arbeitsdruck, den Hungerlöhnen und der fehlenden Gewerkschaftsfreiheit nichts geändert, zumal davon in den Abkommen, das viele Unternehmen weltweit unterschrieben haben, auch gar nicht die Rede war. Die Einkaufspraxis auch der führenden deutschen Textilanbieter ist dieselbe geblieben. Sie drücken die Preise, erzwingen knappere Lieferfristen, und die Auftraggeber der Bekleidungsindustrie ziehen wie eine Karawane durch sämtliche Produktionsländer immer dorthin, wo sich am billigsten produzieren läßt. In Bangladesch beträgt der Monatslohn einer Textilarbeiterin etwa 50 Euro. Derzeit wird Äthiopien neu entdeckt, wo er bei knapp über 30 Euro liegt, was den Troß der Abnehmer wie ein Magnet anzieht.

Beim Prozeß handele es sich um einen Präzedenzfall, der Unruhe bei den Unternehmen auslösen dürfte, meint Miriam Saage-Maß vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Schon die Tatsache, daß eine solche Klage zugelassen worden sei, setze ein Ausrufezeichen und strahle auf die gesamte Branche aus. [2] Die Menschenrechtsvereinigung ECCHR und die Organisation Medico International unterstützen die Kläger in dem Zivilverfahren. Da das Völkerrecht auf Ebene der Regierungen und mithin zwischen Staaten greift, haben einzelne Menschen wie im vorliegenden Fall auf diesem Wege so gut wie keine Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen. Hingegen erlaubt das Zivilrecht gerade den Geschädigten selbst, ihr Anliegen geltend zu machen.

Mit dem Verfahren wird Neuland betreten, da erstmals eine Klage vor deutschen Zivilgerichten gegen eine deutsche Muttergesellschaft für ein Schadensereignis bei einem deutschen Zulieferer verhandelt wird. Das ist konkret in der Textilbranche, aber letztlich für alle Branchen wie beispielsweise die Rohstoffindustrie, eine Art Präzedenzfall. Das Verfahren in Dortmund findet übrigens nach pakistanischem Recht statt, was eine Rechtsnorm der EU möglich macht. Zivilprozesse nach ausländischem Recht, etwa Scheidungen oder Vertragsstreitigkeiten, sind vor deutschen Gerichten deshalb keine Ausnahme. Eine zentrale Rolle könnte bei der Hauptverhandlung ein Gutachten spielen, welches das Gericht selbst bei einem unabhängigen britischen Rechtsgelehrten bestellt hat. Dieser kommt darin zu dem Schluß, daß die Ansprüche der Kläger "nach pakistanischen Recht verjährt sind". Patrick Zahn, seit 2016 Vorsitzender der Geschäftsführung bei KiK, dem fünftgrößten Textilhändler Deutschlands mit einem Jahresumsatz von rund zwei Milliarden Euro für 2017, ist daher zuversichtlich, daß es gar nicht erst zum Prozeß kommt. Miriam Saage-Maaß verweist als Juristin des ECCHR hingegen auf die langwierigen Verhandlungen zwischen Opfervertretern und dem Unternehmen, weshalb für die Dauer solcher Verhandlungen eine Verjährungsfrist für eine mögliche Klage unterbrochen werde.

Die hohe Opferzahl resultierte nach Auffassung von Kriminalisten des "Institute for Forensic Architecture" in London aus fehlendem Brandschutz. Sie haben im Auftrag der Klägeranwälte das Unglück in einer Computersimulation nachgezeichnet. Demnach wurde das Gebäude im Brandfall zur tödlichen Falle, da die drei Stockwerke und der Keller nur durch ein gemeinsames Treppenhaus verbunden waren. Die Alarmanlage funktionierte nicht, ein Zwischengeschoß bestand verbotenerweise aus Holz, Fluchttüren waren verschlossen. Schnell füllten sich bei dem Brand die höheren Stockwerke mit Qualm, Hunderte Arbeiter drängten durch das einzige Treppenhaus nach unten. Sie konnten kaum etwas sehen, weil auch die Beleuchtung ausgefallen war, das Feuer hatte die Treppen teilweise schon zerstört. Viele Arbeiter erstickten und verbrannten.

KiK-Geschäftsführer Zahn widerspricht dieser simulierten Darstellung und betont, daß es sich um einen Brandanschlag gehandelt habe, bei dem "kein Brandschutz dieser Welt" helfen könne, eine Katastrophe zu verhindern. Wenngleich es wohl zutrifft, daß Bandenkriminalität der Auslöser des Feuers war, ändert das doch nicht das Geringste an dem absolut mangelhaften Brandschutz. Zahn beruft sich denn auch auf eine mehrmalige Prüfung des Standorts durch unabhängige Stellen. So sei der Fabrik drei Wochen vor dem Brand ein hoher Standard attestiert worden. Dank der Klage kamen jedoch Vorgänge ans Licht, die andernfalls verborgen geblieben wären. In Kontrollberichten einer US-Firma, welche "Ali Enterprises" im Auftrag von KiK viermal kontrolliert hatte, wurde jedesmal die Einstufung "High-Risk" erteilt. Die Kläger haben deswegen in Italien ein Verfahren gegen die Prüfungsfirma "Rina" angestrengt, die "Ali Enterprises" aus rätselhaften Gründen das anspruchsvolle Zertifikat erteilt hatte.

Nach dem katastrophalen Unglück reagierte Kik schnell und überwies bereits drei Monate nach dem Brand eine Million Dollar Hilfsgelder, die an die Angehörigen verteilt wurden, die gut 3.000 Dollar je Opfer erhielten. In den folgenden zwei Jahren zogen sich jedoch Verhandlungen zwischen pakistanischen Organisationen und dem deutschen Unternehmen über weitergehende Entschädigungen in die Länge. Als der Druck wuchs, zahlte KiK im September 2016 weitere 5,15 Millionen US-Dollar an die Betroffenen und erhoffte sich davon offenbar eine vollständige Entlastung von weiteren Ansprüchen. Mit einem Seitenhieb gegen die Intervention von NGOs erklärt der Geschäftsführer des Discounters: "Wir haben Millionen von Kunden, bei denen wir eine soziale Funktion erfüllen, die sich wohl bei uns fühlen und die gerne bei uns einkaufen. Dann wundert mich manchmal, dass Gruppen mit drei-, vier-, fünfhundert Mitgliedern als Zivilgesellschaft gelten. Das ist schon eine Fragestellung, der man sich stellen muss: Ist das wirklich immer die Zivilgesellschaft?"

Die Parallelen zu den Klagen der Deutschen Umwelthilfe für Dieselfahrverbote in deutschen Städten, womit eine tatenlose Politik zum Handeln gezwungen werden soll, sind augenfällig. Und vor einem Jahr erklärte das Oberlandesgericht Hamm die Klage eines peruanischen Bauern gegen den Energie-Konzern RWE für zulässig. Sein Vorwurf: RWE sei für den Klimawandel verantwortlich und sein Grundstück durch das Wasser eines tauenden Gletschers in den Anden bedroht. Er forderte daher von dem Konzern, sich an den Kosten für Schutzmaßnahmen an seinem Haus zu beteiligen.


Fußnoten:

[1] www.deutschlandfunk.de/klage-gegen-kik-von-der-schuld-einer-firma-im.724.de.html

[2] www.welt.de/regionales/nrw/article184626124/Nach-Inferno-in-einer-Textilfabrik-Pakistanische-Opfer-verklagen-KiK-in-Dortmund.html

29. November 2018


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