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REPRESSION/1292: Urteil im Djerba-Prozeß kann nicht überzeugen (SB)



Das vor dem Pariser Schwurgericht gegen den Bundesbürger Christian Ganczarski ergangene Urteil von 18 Jahren Haft wegen angeblicher Unterstützung eines Selbstmordattentäters ist signifikant für den Niedergang von Rechtsgarantien in Terrorismusprozessen. Der 1986 zum Islam konvertierte ehemalige Katholik hat jede Mitwisserschaft zur Planung des Attentats vom 11. April 2002, bei dem 21 Menschen starben, als der Attentäter Nizar Nawar einen mit Flüssiggas gefüllten Lastwagen vor der Ghriba-Synagoge in dem tunesischen Ferienort zur Explosion brachte, bestritten. In seinem Schlußplädoyer führte der 42jährige Angeklagte noch einmal zu seiner Verteidigung an, sich bei den Opfern häufig genug für eine Tat, die er nicht begangen habe, entschuldigt zu haben, er unterstrich, daß er gegen Selbstmordattentate sei, und gestand zu, daß es keine gute Idee gewesen sei, früher nach Afghanistan gereist und dort in Kontakt mit Al Qaida getreten zu sein.

Auf diesen Reisen und einem Anruf des Attentäters Nawar kurz vor Ausführung der Tat bei Ganczarski beruht die Behauptung des Pariser Gerichts, der deutsche Moslem habe gewußt, was in Derba geschehen solle. Da deutsche Strafverfolger dem abgehörten Gespräch, in dem Nawar Ganczarski um "göttlichen Segen" bat und ihn aufforderte, "nicht zu vergessen, für ihn zu beten", keine hinreichenden Gründe dafür entnahmen, ihn unter Anklage zu stellen, wird sich die Plausibilität dieses angeblichen Beweises inzwischen nicht weiter erhöht haben. Hätte man damals bereits den Paragraphen 129 b eingeführt, der die Mitgliedschaft in ausländischen terroristischen Vereinigungen unter Strafe stellt, dann hätte man Ganczarski vermutlich nach dessen Maßgabe hierzulande angeklagt und verurteilt.

In beiden Fällen hat man es mit angeblichen Beweisen zu tun, die nicht über die Stichhaltigkeit verfügen, die normalerweise in Strafprozessen verlangt wird, um zu einem Schuldspruch zu gelangen. Es bedarf der erweiterten Befugnisse der Antiterrorjustiz, um aus einem Telefongespräch, das der Attentäter lediglich geführt haben könnte, um von seinem Glaubensbruder geistigen Beistand zu erhalten, und aus Kontakten zu hochrangigen Al Qaida-Mitgliedern den Beweis zu produzieren, daß der Angeklagte tatsächlich wußte, was in Djerba geschehen sollte. Da die französische Justiz über sehr weitgehende Befugnisse zum Fällen von Urteilen dieser Art verfügt und diese nicht einmal öffentlich begründen muß, scheint es den deutschen Behörden entgegenzukommen, daß Ganczarski in Frankreich der Prozeß gemacht wurde. Nachdem er 2003 aus Saudi-Arabien ausgewiesen worden war, soll er bei seiner Einreise nach Frankreich aufgrund von Hinweisen deutscher Dienste verhaftet worden sein.

Doch auch wenn keine grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste dieser Art vorläge, kann angesichts des Urteils von einem Akt der Justizwillkür gesprochen werden. Der mit seinem moslemischen Namen Abu Ibrahim genannte Ganczarski mag ein Islamist sein, er mag Sympathien für Al Qaida haben und dort vor seiner seit 2003 währenden Inhaftierung über beste Kontakte verfügt haben. All das können jedoch keine Gründe sein, ihn aufgrund von Mutmaßungen und Spekulationen zu einer langjährigen Haftstrafe zu verurteilen.

So erklärte sein Anwalt Sébastien Bono bei Prozeßbeginn am 5. Januar, daß sein Klient Opfer geltungssüchtiger Richter sei, die sich mit diesem internationalen Terrorfall profilieren wollten. Zudem beklagte er eine Vorverurteilung durch den damaligen Innenminister Nicolas Sarkozy, der Ganczarski nach seiner Verhaftung als hochrangiges Al Qaida-Mitglied bezeichnet hatte. Sein Klient ist inzwischen der Überzeugung, daß es in diesem Prozeß "nicht um Wahrheitsfindung, sondern um eine Hinrichtung" gehe. Er beklagt zudem, daß entlastende Dokumente deutscher Behörden für den Prozeß nicht übersetzt worden seien.

Neben Ganczarski und dem Bruder des tunesischen Attentäters Walid Nawar, der zu zwölf Jahren Haft wegen Mittäterschaft verurteilt wurde und seine Schuld ebenfalls bestritt, wird vor dem Pariser Schwurgericht gegen den angeblichen Chefplaner der Anschläge des 11. September 2001, Khalid Sheikh Mohammed, in Abwesenheit verhandelt. Er wird beschuldigt, Nawar mit dem Anschlag auf die Synagoge von Djerba beauftragt zu haben. Khalid Sheikh Mohammed wurde in Guantanamo schwer gefoltert und will erklärtermaßen sterben. Seitdem hat er sich dort der Planung zahlreicher Anschläge bezichtigt. Er will unter anderem für die Attentate auf das New Yorker World Trade Center 1993 und 2001, für die Anschläge auf die Nachtclubs in Bali, für die Ermordung Daniel Pearls, für den Anschlagversuch des sogenannten Schuhbombers Richard Reid sowie für diverse unausgeführt gebliebene Anschläge und Attentate verantwortlich sein.

Die sich aus der Vielzahl von Anschlägen und Anschlagversuchen, deren Urheberschaft Khalid Sheikh Mohammed für sich beansprucht, resultierenden Widersprüche machen aus dem Al Qaida-Mitglied nicht eben eine vertrauenswürdige Quelle. Daß er von seinen US-Vernehmern besonders hart angefaßt wurde, stellt alle in Paris aufgebotenen Behauptungen zu seiner Rolle beim Djerba-Anschlag in ein fragwürdiges Licht. Dennoch scheint es nicht ganz unerheblich für die Verurteilung des deutschen Konvertiten gewesen zu sein, daß man ihn gemeinsam mit dem angeblichen Chefplaner von 9/11 angeklagt hat.

Daß Bundeskanzlerin Angela Merkel sich für Ganczarski beim französischen Präsidenten Nikolas Sarkozy verwenden wird, ist schon aufgrund der Rolle, die dieser als ehemaliger Innenminister in diesem Fall gespielt hat, eher unwahrscheinlich. Der breiten Öffentlichkeit fehlt inzwischen jegliches Verständnis dafür, daß Prozesse wie diese keinen rechtsstaatlichen Standards mehr genügen. Um so weniger Ansehensgewinn wäre mit dem Eintreten für einen islamischen Konvertiten, die die Sicherheitsbehörden inzwischen pauschal als potentielle Terroristen abstempeln, zu erzielen. So ereifert man sich weiter über die Militärtribunale in Guantanamo, während in der EU längst auf vergleichbare Weise abgeurteilt wird.

7. Februar 2009