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REPRESSION/1295: Zur sozialen Selektion Terrorverdacht gegen Kinder (SB)



Steigende Geburtenzahlen, weniger Scheidungen, die Familie als Keimzelle gesellschaftlicher Reproduktion floriert, so der Tenor einer Jubelmeldung der letzten Woche von allerdings höchst ambivalenter Art. Das gilt nicht nur dafür, daß der angeblich ungenügenden Zeugungs- und Gebärfreudigkeit weißer Bundesbürger ein hohes Bevölkerungswachstum in anderen Teilen der Welt wie eine höhere Geburtenrate vieler Familien aus anderen Kulturkreisen in der Bundesrepublik gegenübersteht, man also eigentlich kein Problem mit zu wenig Nachwuchs hat. Während Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen die Sorge über das Aussterben der "Deutschen" beschwichtigt, kündigt der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl, an, man wolle die Altersgrenze der Vorratsdatenspeicherung von bisher 16 Jahren auf 14 oder 12 Jahre absenken, um eine bessere Überwachung terrorverdächtiger Minderjähriger zu erreichen.

Da man bisher noch nicht von Kindern gehört hat, die in Deutschland terroristische Anschläge begehen, und das Feld der datenelektronischen Überwachung das Internet umfaßt, liegt nahe, daß die Union künftig auch Heranwachsende unter einen Gesinnngsverdacht stellen will, der weit im Vorfeld irgendwelcher strafbarer Handlungen den bloßen Umgang mit politisch radikalen Inhalten identifizieren und kriminalisieren soll.

Was auf den ersten Blick auf den Nachwuchs islamischer Jihadisten gemünzt zu sein scheint, stellt jedoch eine generalisierte Mißtrauenserklärung gegenüber allen Kindern und Jugendlichen dar. Dies ist aus der Sicht der Herrschenden und Vermögenden nicht irrational, leben doch immer mehr Jugendliche unter Armutsbedingungen, die sie nicht nur unter Gleichaltrigen zu "Losern" abstempeln, sondern ihnen auch jede Aussicht darauf nehmen, daß dies in Zukunft anders wird. Die Entwicklung eines rebellischen Potentials, das sich aus dieser Ausgrenzung ergeben könnte, hätte vielleicht zur Folge, daß sich die Betroffenen nur noch bedingt durch Konsum und Vereinzelung entpolitisieren oder mit den Zielen kapitalistischer Herrschaft kompatibler Rechtsideologien kontaminieren lassen. Einer solchen Entwicklung präventiv, und das nicht erst im Kindesalter, sondern schon mit der sozialen Auslese bei der Familienförderung, entgegenzutreten macht Sinn angesichts einer gesamtgesellschaftlichen Zukunft, die von einer weiteren Verschärfung der Verteilungskämpfe kündet.

Beim Jubel über die Stärkung deutscher Familien trotz der massiven Benachteiligung armer Eltern durch die Sozialpolitik der Bundesregierung und bei dem geplanten Einsatz des Terrorstigmas schon gegen Kinder insbesondere der islamischen Bevölkerung resultieren das Ressentiment gegen das eigene Subproletariat und gegen Menschen aus armen Ländern in ein und demselben Sozialrassismus. Wenn Kinder in einer Gesellschaft, die Kinder verelenden läßt, als potentielle Terroristen stigmatisiert werden, dann scheint man es nötig zu haben, ihre bereits erfolgte Ausgrenzung ins Ghetto der für die kapitalistische Verwertung Überflüssigen durch die Unterstellung politischer Unzuverlässigkeit zu versiegeln.

22. Februar 2009