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REPRESSION/1308: Der schnelle Weg zu umfassender Internetzensur (SB)



Die angeblich freiwillige Vereinbarung, in der sich fünf große Internet-Provider dazu verpflichten, kinderpornografische Seiten im Internet auf Basis einer täglich durch das BKA aktualisierten Liste zu sperren, soll am Mittwoch durch einen Gesetzesentwurf ergänzt werden, der der Blockierung spezifischer Webseiten über das System der Domain Name Server (DNS) Rechtskraft verleihen soll. Dieses Prozedere ist ein frappantes Beispiel für den Willkürcharakter neoliberaler Politik, hat Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen doch mit ihrer hochgradig demagogischen Kampagne den legislativen Prozeß auf den Kopf gestellt. Demagogisch deshalb, weil die CDU-Politikerin die Moral, derer sie sich bedient, im Endeffekt dazu nutzt, bürgerliche Freiheiten einzuschränken, während sie das Problem der sexuellen Ausbeutung und Mißhandlung von Kindern nicht wirklich angreift.

Mit der Etablierung einer exekutiven Struktur, über die sich Webseiten für den breiten Nutzen unzugänglich machen lassen, wird die Voraussetzung zur regulären Internetzensur geschaffen. Wie in der Debatte bereits deutlich geworden ist, melden zahlreiche Interessenten ihre Wünsche an, Webseiten mit politisch radikaler Intention oder anderem verwerflichen Inhalt einer entsprechenden Regelung zu unterwerfen. Der Primat des sauberen Netzes wird dafür sorgen, daß politischer Aktivismus aller Art hinter den Sperrverfügungen des BKA verschwindet. Schon die Mobilisierung zu einer unangemeldeten Demonstration, eine Debatte über militante Aktionsformen oder radikale Kritik am herrschenden System werden ausreichen, um Zugangssperren zu erwirken. Bestrebungen, für derartige Zwecke eine Internetzensur zu erwirken, sind seit langem bekannt. Mit der Schaffung der technischen Voraussetzungen ist man ihrer Durchsetzung einen großen Schritt nähergekommen.

In diesem Zusammenhang dient das vielfach angeführte Argument, die Sperrung kinderpornografischer Seiten sei ineffizient, da mit geringem Know how zu umgehen, eher der Verharmlosung dieses Angriffs auf demokratische Grundrechte. Selbst wenn das jetzt noch zutrifft, so wirkt eine Sperrverfügung auf viele Bürger abschreckend. Politische Agitation und Mobilisierung können auf diese Weise mit dem Stempel der Illegalität versehen werden. Wer sich davon nicht abschrecken läßt, der muß sowieso nicht überzeugt werden, alle anderen kommen gar nicht erst in Kontakt mit Fragen und Argumenten, die gerade deshalb wichtig sind, weil sie bereits einer informellen, politisch wie medial auf vielerlei Weise durchgesetzten Zensur unterliegen. Vor allem jedoch ist davon auszugehen, daß die fast ohne Widerstand, da mit dem Argument der Verhinderung von Kinderpornografie hochmoralisch aufgeladene Etablierung der Internetzensur weiteren Maßnahmen, das Nutzerverhalten transparent zu machen und einzuschränken, Tür und Tor öffnen.

Bezeichnenderweise bleiben Staaten, die im Rahmen der Terrorismusbekämpfung seit Jahren mit großem Aufwand supranationale Strukturen der Überwachung und Verfolgung geschaffen haben, die die bürgerlichen Freiheiten bereits in erheblichen Maße einschränken, bei der Kinderpornografie fast untätig. Anstatt die Produzenten und Verkäufer mit konventionellen polizeilichen Maßnahmen dingfest zu machen, wird das Problem hinter einer Sperrverfügung versteckt, die die wirklich aktiven Nutzern dieser Ware nicht daran hindert, sich im Rahmen persönlicher Absprachen und alternativer Vertriebsstrukturen so zu organisieren, daß Kinder weiterhin Opfer sexueller Gewalt werden. Die Behauptung, der polizeiliche Aufwand sei zu groß, um etwa über die konkret zu verortenden Server auf die Hersteller kinderpornografischen Materials zuzugreifen, ist vor dem Hintergrund der Milliarden, die in den Sicherheitsbereich fließen, und der umfassenden Präventivmaßnahmen, mit denen unbescholtene Bürger unter Terrorverdacht gestellt werden, einfach lächerlich.

Es drängt sich der Verdacht auf, daß Kinderpornografie weiterhin als Mittel zum Zweck gebraucht werden soll, anstatt sie von vornherein wirksam zu unterbinden. Erst nachdem die Voraussetzungen zur Internetzensur geschaffen wurden, wird man mit dem Argument ihrer nur relativen Wirksamkeit weiterreichende Maßnahmen ergreifen, die ihrerseits Lebens- und Arbeitsbereiche betreffen, die mit dem ursächlichen Handlungsbedarf nichts zu tun haben. Der eingeschlagene Weg, eine Kampagne zu initiieren, in der die Anbieter von IT-Dienstleistungen unter Druck geraten, sich in vorauseilendem Gehorsam einer Selbstverpflichtung zu unterwerfen, die ihrerseits Anlaß zur gesetzlichen Regulation gibt, läßt große Dringlichkeit bei der Etablierung wirksamerer Strukturen der Herrschaftsicherung erkennen. Den wachsenden sozialen Spannungen will man mit einem System qualifizierter Verfügungsgewalt entgegentreten, das sich nicht mehr mit langfristigen demokratischen Prozessen der Willensbildung aufhalten muß, um dem Kartell aus Staat und Kapital zu widerspruchsloser Wirkung zu verhelfen.

19. April 2009