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REPRESSION/1312: "Terrorverdächtige" als Probanden der Folterforschung (SB)



Die Beteiligung von Ärzten und Psychologen an den Folterungen in Guantanamo erfolgte nicht erst, als die Verhöre begannen. Beim US-Militär angestellte Psychologen waren von Anfang an an der Planung und Vorbereitung dieser Maßnahmen beteiligt. Dies ergab sich aus ihrer Zuständigkeit für das Programm Survival, Evasion, Resistance, Escape (SERE), mit dem US-Soldaten auf eventuelle Befragungen dieser Art vorbereitet werden sollen. Daß man dabei stets auch den aktiven Einsatz dieser Techniken an feindlichen Soldaten im Hinterkopf hat, entspricht der Ambivalenz militärischer Forschungsprogramme, bei denen man unter dem Vorwand bloßer Abwehr bestimmter gegnerischer Taktiken stets auch deren Anwendung erprobt und ausbaut.

Schon im Oktober 2002 wurde bei der CIA unter Beteiligung zweier hochrangiger Militärpsychologen die Entwicklung "verschärfter Verhörtechniken" unter Inanspruchnahme von Erkenntnissen geplant, die das SERE-Programm erbracht hatte. Laut dem vom US-Journalisten Mark Danner an die Öffentlichkeit gebrachten Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) zum Umgang mit den angeblich wichtigsten Terrorverdächtigen in Guantanamo bestand die Rolle der Mediziner und Psychologen bei den Folterungen darin, das Instrumentarium der Qualen durch ihr Fachwissen effizienter zu machen. Sie garantierten das Überleben der Gefangenen nicht, um diesen zu helfen, sondern um den Folterern mehr Spielraum beim Zufügen schlimmster Schmerzen zu gewähren.

So gaben die Gefangenen bei Interviews mit IKRK-Mitarbeitern an, daß die den Folterungen beiwohnenden Ärzte den Verhörexperten immer wieder Anweisungen gaben, wie die eingesetzten Methoden zu verbessern wären, wie lange man mit den Torturen noch weitermachen könne und wann es besser wäre, sie abzubrechen. Die ärztliche Fürsorge ging so weit, daß bei Gefangenen, während diese mit dem Waterboarding an die Grenze des Erstickungstods gebracht wurden, der Puls gefühlt und der Sauerstoffgehalt des Blutes kontrolliert wurde. Ein in Streßposition an die Wand geketteter Häftling, dem bereits ein Bein amputiert worden war, gab an, daß ein Mediziner regelmäßig überprüfte, wie sehr sein verbliebenes Bein unter dieser Belastung anschwoll, um ihm gelegentlich zu gestatten, sich hinsetzen zu dürfen.

Ärzte und Psychologen waren bei praktisch allen Folterverhören anwesend. Sie hatten Teil daran, daß ein Gefangener 183 Mal beim Waterboarding in Todespanik und Erstickungsnot versetzt wurde, sie waren zugegen, als Gefangene Dutzende Male mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen wurden, als sie bis zu sieben Tage lang angekettet stehen mußten, als sie stundenlang in kleine Kisten, in denen sie sich kaum bewegen und nur schwer atmen konnten, eingesperrt wurden, als man ihnen Wasser und Nahrung entzog oder ihnen bis zu elf Tage lang jeden Schlaf raubte, indem man sie nackt extremen Temperaturen aussetzte, mit eiskaltem Wasser übergoß und mit dröhnender Musik beschallte. Dabei spielten die medizinischen Experten nicht nur ihr besonderes Wissen um die Belastbarkeit des Menschen aus, sie erlangten auch neue Erkenntnisse und setzten diese an den Gefangenen ein. Sie nahmen nicht nur beobachtend an Folterverhören teil, sondern betrieben Folterforschung.

Dies geht auch aus der elaborierten Darstellung der einzelnen Techniken in den veröffentlichten Rechtsgutachten hervor, mit denen der CIA versichert wurde, daß ihre Experten beim Quälen nicht folterten. Die dort aufgestellten Maßgaben, den Delinquenten die jeweiligen Grausamkeiten nur für bestimmte Fristen oder unter spezifischen Konditionen zuzufügen, sind Ergebnis medizinischer Wissenschaft. Nur unter dieser Voraussetzung konnte behauptet werden, daß die Foltermethoden nicht in der Absicht begangen wurden, "schweren Schmerz oder schweres Leid zu erzeugen". Man quälte unter dem Vorwand, dies nicht zu tun, mit Hilfe ärztlicher Gutachten, in denen behauptet wurde, daß man seine Pflicht tue, wenn man Menschen den bekanntgewordenen Torturen aussetzt.

Die Rolle, die Vertreter der medizinischen Wissenschaft in Guantanamo und anderen US-Foltergefängnissen spielten und womöglich spielen, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Objektivierung des Menschen durch seine physische und psychische Evaluation. Schon indem man ihn wie ein Insekt auf den Seziertisch ärztlicher Begutachtung legt, ihn mit Methoden und Apparaten traktiert, die eine unüberbrückbare Distanz zwischen Arzt und Mensch schaffen, werden Voraussetzungen für gegen das Interesse der Patienten verstoßende Behandlungsformen geschaffen.

Daran hat die stark formalisierte, verwissenschaftlichte und administrativ durchorganisierte moderne Medizin besonderen Anteil. Der hohe Anspruch ärztlicher Ethik wird nicht erst im Folterlager in sein Gegenteil verkehrt, er wird bei Pharmaexperimenten an bezahlten oder auch unfreiwilligen Probanden, beim Einsatz psychiatrischer Zwangsmaßnahmen gegen politische Dissidenten, bei der Euthanasie an nichteinwilligungsfähigen Menschen, bei reproduktionsmedizinischen Selektionen oder bei zweckrationalen Entscheidungen über die Verteilung knapper medizinischer Ressourcen verraten. Ärzte und Psychologen haben Mördern und Diktatoren wertvolle Dienste geleistet, wenn es zu ihrem Vorteil war, so daß nichts irreführender sein könnte, als ihnen ad hoc menschenfreundliche Absichten zu unterstellen.

6. Mai 2009