Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

REPRESSION/1352: Geheimpolizei dementiert, um sie einzuführen (SB)



Zwar hat das Bundesinnnenministerium dementiert, daß dem am 22. September verfaßten Dokument zur Ausweitung der Vollmachten des Verfassungsschutzes eine konkrete Planung zugrundeliegt. Allein die Aussage des Büroleiters von Wolfgang Schäubles, es handle sich bei den unter dem Titel "Vorbereitung Koalitionspapier" versammelten Vorschläge um eine Art Zusammenfassung der Vorhaben, die man in der gegenwärtigen Legislaturperiode nicht verwirklichen konnte, verrät jedoch, daß es um nichts anderes als die erhebliche Ausweitung exekutiver Überwachungs- und Zugriffskompetenzen geht.

Die dem Papier, über das die Süddeutsche Zeitung (25.09.2009) berichtet, zu entnehmende Aufwertung des Verfassungsschutzes zu einer Art Geheimpolizei, die mit weitreichenden Möglichkeiten der Überwachung privater Wohnungen und Computer sowie des Zugriffs auf die Informationen der Vorratsdatenspeicherung Staatsfeinde aller Art aufspüren soll, gehört seit langem zu den Projekten, mit Hilfe derer der Bundesinnenminister geheimpolizeiliche Strukturen etablieren will. Auch die angekündigte Generalisierung des genetischen Fingerabdrucks zur allgemeinen Ermittlungsmethode und der Einsatz verdeckter Ermittler, die bei ihrer Tätigkeit zum Begehen von Straftaten berechtigt sein sollen, liegen auf der Bahn seit langem verfolgter Absichten sicherheitsstaatlicher Ermächtigung.

Auf diesem Weg ist man nicht erst seit dem 11. September 2001 gut vorangekommen. Bezeichnenderweise steht in dem Bericht der Süddeutschen Zeitung nicht die Terrorismusbekämpfung im Vordergrund, sondern es dominiert ein allgemeines Staatsschutzinteresse, das sich gegen angeblich verfassungsfeindliche Elemente richtet. Wenn man bedenkt, daß die gesamte Bundestagsfraktion der Linken unter Beobachtung des Inlandgeheimdienstes steht, dann liegt auf der Hand, das die außerparlamentarische und radikale Linke erst recht ein Ziel geheimdienstlicher Observation sein soll und ist.

Dies dürfte, ungeachtet der die Kriminalitätsbekämpfung betreffenden Bestandteile des Dokuments, im Mittelpunkt des praktischen Nutzens stehen, denen sich die Sachwalter der Geheimexekutive von der Erweiterung ihrer Vollmachten versprechen. Wie relevant die bekanntgewordene Planung ist, belegt das sogenannte Stockholm-Programm der EU. Diese zur Verabschiedung durch den EU-Ministerrat im Dezember entworfene Sicherheitsagenda enthält insbesondere im Bereich der datenelektronischen Überwachung nämliche Punkte, mit denen die nächste, voraussichtlich wieder über einen Bundesinnenminister Schäuble verfügende Bundesregierung befaßt sein wird. Das Gremium, das die inhaltlichen Vorgaben des Stockholm-Programms erarbeitete, wurde während der deutschen Ratspräsidentschaft von diesem Bundesinnenminister gegründet [siehe dazu INFOPOOL-BÜRGER/GESELLSCHAFT-FAKTEN - STANDPUNKT/117: Erklärung zum neuen Fünfjahresplan der EU zur Justiz- und Innenpolitik (ECLN)].

Es ist wahrscheinlich, daß es sich bei dem Bekanntwerden des Papiers um einen Testballon handelt, anhand dessen, wie häufig im Bereich der inneren Sicherheit vorexerziert, erst einmal dementiert werden kann, was dann schrittweise realisiert wird. Dies im unmittelbaren Vorfeld der Bundestagswahl zu tun läuft auf eine informelle Wahlwerbung hinaus, mit der man Bürger für die Unionsparteien gewinnen will, denen deren Programm noch nicht staatsautoritär genug ist. In Anbetracht der anstehenden Verschlechterung der sozialen Lage vieler Menschen lassen sich mit der Aussicht auf den noch stärkeren Staat durchaus Wähler mobilisieren.

25. September 2009