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REPRESSION/1380: Ägyptens Regime regiert weiter mit dem Ausnahmezustand (SB)



Ägypten - verkappte Militärdiktatur, Verbündeter Washingtons, zweitgrößter Empfänger US-amerikanischer Rüstungshilfe und Kumpan Israels bei der Unterdrückung der Palästinenser - hat den Ausnahmezustand um weitere zwei Jahre verlängert. Dieser war nach dem Mord an Präsident Anwar el-Sadat im Jahr 1981 verhängt worden und ermächtigt seither das Regime, oppositionelle Kräfte zu verfolgen und Hungerrevolten niederzuhalten. Festnahme ohne Anklageerhebung, zeitlich unbegrenzte Haft, Prozeß vor einem Sondertribunal, Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit - das sind die wichtigsten Werkzeuge repressiver Staatsgewalt, die sich nur dank massiver Alimentierung seitens der USA behaupten kann.

Hatten es Machthaber Hosni Mubarak und seine Administration in der Vergangenheit selten für nötig befunden, ihre Maßnahmen zu kommunizieren, so läßt das außergewöhnliche Bemühen, die aktuelle Verlängerung diktatorischer Befugnisse zu rechtfertigen, auf beträchtliche Erklärungsnöte schließen. Da ist zum einen der Gesundheitszustand des Präsidenten, der seine Nachfolge auf dynastischem Weg zu regeln versucht. Unterdessen sieht sich die politische Führung mit sozialen Unruhen konfrontiert, da allenthalben Menschen auf die Straße gehen, um höhere Löhne einzufordern. Überdies hat die Opposition mit Mohamed ElBaradei, der vermutlich um das Präsidentenamt kandidieren wird, einen aussichtsreichen Bewerber gefunden, der im Unterschied zu Politikern aus dem konservativen religiösen Lager auch in den bürgerlichen Mittelschichten und nicht zuletzt im Ausland beträchtliche Anerkennung findet. In wenigen Wochen wird die obere Kammer des Parlaments neu gewählt, im Herbst folgt das Unterhaus und im nächsten Jahr stehen Präsidentschaftswahlen an. Das geschwächte Regime muß eine Umwälzung befürchten und setzt projektiv auf unverminderte Repression, um sich an der Macht zu halten.

Nach Jahren gebrochener Versprechen das Ende des Ausnahmezustands betreffend ist auch die wortreiche Versicherung der Regierung nicht weniger unglaubwürdig, man werde diese Maßnahme ausschließlich gegen "Terrorismus" und "Drogenhandel" einsetzen und wolle überdies auf einige Teile des Regulariums verzichten. Die Konstrukte des angeblichen Kampfs gegen Drogen und Terror wurden bekanntlich gerade wegen ihren Willkür und uneingeschränkten Anwendbarkeit in die Welt gesetzt, weshalb ihr Fortbestand in Gestalt des Ausnahmezustands der denkbar umfassendsten Bemittelung der ägyptischen Regierung gleichkommt, jegliche Opposition zu drangsalieren.

Im Land der brutalen Polizeiübergriffe und Foltergefängnisse wird sich nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionellen unter diesen Umständen nichts ändern. Solange die Kultur des Ausnahmezustands Bestand habe, setze sich die Botschaft durch, daß die Sicherheitskräfte über dem Gesetz stehen. Die ägyptische Regierung behauptet schon seit Jahren, sie wende den Ausnahmezustand nur gegen "Terrorgefahren" an, wobei kurzerhand jede mißliebige Opposition zu einer solchen erklärt und verfolgt wird.

Der Sondergesandte der UNO für Menschenrechte und Terrorismus, Martin Scheinin, bezeichnet die Verlängerung des Ausnahmezustands als schweren Schlag. Er leitete im April 2009 eine Findungskommission in Ägypten und legte deren Ergebnisse noch im selben Jahr dem UNO-Menschenrechtsrat vor. Wie er in seinem Bericht bilanzierte, beschränke das ägyptische Recht Terrorismus nicht auf Gewalttaten, sondern fasse "jede Bedrohung oder Einschüchterung" darunter, deren Ziel "eine Störung des Friedens oder Gefährdung der Sicherheit der Gesellschaft" sei. Darüber hinaus befördere es ein breites Spektrum exekutiver Eingriffe in die Arbeit der Behörden. Ein Report, den Scheinin dem Genfer Menschenrechtsrat im März 2010 vorlegte, spezifiziert unter anderem die Kritik, daß gerichtliche Entscheidungen, Gefangene aus Administrativhaft zu entlassen, häufig ignoriert oder die Häftlinge freigelassen, aber anschließend sofort wieder festgenommen würden. (New York Times 12.05.10)

Das Argument der Regierung, sie wolle fortan auf die Überwachung der Kommunikation verzichten, verwirft Sarah Leah Whitson, Direktorin von Human Rights Watch für den Nahen Osten und Nordafrika. Sie verweist auf einen Verfassungszusatz, der es der Administration ohnehin gestattet, permanente "Antiterrormaßnahmen" anzuwenden, die eine Observierung aller Kommunikationswege einschließen. Die Begründung des Ausnahmezustands mit angeblicher "Terrorgefahr" sei daher ebenso durchsichtig wie falsch, da dieser zweifellos dazu diene, Kritiker der Regierung zu verfolgen.

Ausflüchte der ägyptischen Führung, es komme letztendlich weniger auf die Definition des Gesetzes, als vielmehr dessen Anwendung durch die Polizei an, die man in Schulungen zur Wahrung der Menschenrechte anhalte und mit einer juristischen Supervision begleite, sind nicht minder fadenscheinig. In der Praxis ist nach übereinstimmender Einschätzung internationaler Rechtsexperten von einer derartigen Zügelung der Polizeiarbeit weit und breit nichts zu erkennen.

In Washington vergoß der Sprecher des Außenministeriums, Philip J. Crowley, die obligatorischen Krokodilstränen, als er seiner vorgeblichen Enttäuschung Ausdruck verlieh. Man stelle sich die Frage, wie die jüngste Maßnahme mit den Zusagen vereinbar sei, welche die ägyptische Regierung ihrem eigenen Volk gemacht habe, als sie Schritte zur Beendigung des Ausnahmezustands in Aussicht stellte, beließ es Crowley bei der denkbar mildesten Rüge.

Dabei hatte Präsident Mubarak schon 2005 angekündigt, man werde den Ausnahmezustand durch spezifische Antiterrorgesetze ersetzen. Sieht man davon ab, daß die Ägypter damit lediglich vom Regen in die Traufe kämen, verdient es die Begründung Premierminister Ahmed Nazifs vor dem willfährigen Parlament, abschließend wiedergegeben zu werden. Die Verzögerung bei der Umsetzung dieses Versprechens erkläre sich mit den Problemen, eine angemessene Balance zwischen dem Schutz der Nation und der Wahrung bürgerlicher Freiheit zu finden, argumentierte Nazif verschlagen. Nicht anders ergehe es doch US-Präsident Barack Obama beim Versuch, das Gefangenenlager Guantánamo Bay zu schließen. Der gesetzliche Ausnahmezustand Ägyptens lasse sich mit dem US Patriot Act vergleichen, der in den Vereinigten Staaten nach dem 11. September 2001 beschlossen worden ist. Daß sich der ägyptische Premier gegen Scheinheiligkeit der Amerikaner verwahrt, kann allerdings wenig Anlaß zur Schadenfreude geben. Wesentlich bleibt doch, daß sich das Regime in einem Boot mit seiner Schutzmacht weiß und in Tateinheit mit Washington ungehindert der Niederschlagung oppositioneller Kräfte widmen kann.

12. Mai 2010