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REPRESSION/1386: Wie bemißt man Grausamkeit? Abwegiger Vergleich von Exekutionsmethoden (SB)



Überdurchschnittliche Aufmerksamkeit erhielt die alltägliche Hinrichtungspraxis in den USA dieser Tage durch die Erschießung des zum Tode verurteilten 49jährigen Ronnie Lee Gardner. Da der Mann, der bereits 25 Jahre unter den für Todeskandidaten verschärften Haftbedingungen leiden mußte und seine Strafe in der Bundesrepublik allein damit verbüßt hätte, diese Todesart noch vor ihrer Abschaffung im US-Bundesstaat Utah gewählt hatte, wurde er, an einen Stuhl gefesselt, von fünf Schützen kurz nach Mitternacht am 18. Juni niedergestreckt. Die Mitglieder des Hinrichtungskommandos hatten sich freiwillig gemeldet. Ob es tatsächlich eines mit einer Platzpatrone geladenen Gewehres bedurfte, um ihr Gewissen zu beruhigen, ist angesichts der Stellungnahme eines dazugehörigen Polizisten zu bezweifeln: "Es gibt einfach ein paar Leute, die müssen wir von unserem Planeten entfernen", dabei handle es sich um "nichts weiter als ein Zurückschicken eines defekten Produkts zum Hersteller" [1].

Diese Hinrichtungsmethode wurde von Bürgerrechtsorganisationen als besonders brutal bezeichnet, doch das ist sie vor allem für die Zuschauer. Versuche, das System der Todesstrafe in den USA zu humanisieren und medikalisieren, lassen eine moderne Form der Barbarei erkennen, die für manche Todeskandidaten furchteinflössender sein muß als archaische Exekutionsmethoden wie das Erschießen. Diese wurde abgeschafft, weil der achte Zusatzartikel zur US-Verfassung "grausame oder ungewöhnliche Strafen" verbietet. Statt dessen hat sich vor allem die Giftinjektion durchgesetzt, bei der die Delinquenten häufig unter ärztlicher Aufsicht, immer jedoch mit Hilfe medizinisch geschulten Personals umgebracht werden.

Die als schmerzlos gepriesene Methode des Injizierens tödlicher Gifte nimmt bisweilen mehr als eine halbe Stunde in Anspruch, bis der Tod festgestellt werden kann. Was bis zu diesem Zeitpunkt geschieht, können die Exekutionszeugen nicht beurteilen, da bei der dreistufigen Vorgehensweise Mittel eingesetzt werden, die äußere Anzeichen eines Erstickungstodes oder anderer qualvoller Erlebnisse wirksam unterdrücken. So wird dem Todeskandidaten zuerst das ansonsten zur Tötung von Tieren eingesetzte Barbiturat Sodiumthiopental verabreicht, das das Exekutionsopfer in tiefe Bewußtlosigkeit versetzen soll. Als zweites wird das die Muskulatur lähmende Pancuroniumbromid injiziert, das den Betroffenen völlig bewegungslos macht, so daß, welche Schmerzen auch immer er erleidet, kein Anzeichen davon nach außen dringt. Der Einsatz dieses Mittels ist bei der Tötung von Tieren aus Tierschutzgründen in 30 US-Bundesstaaten verboten. Als drittes Mittel wird Potassiumchlorid eingesetzt, das zum Herzstillstand führt und erhebliche Schmerzen verursacht. Da alle in Frage kommenden Personen, die über das Ausmaß ihrer Schmerzen berichten könnten, an den Folgen der massiven Vergiftung sterben, gibt es niemanden, der bezeugen könnte, was die Opfer dieser Rachejustiz tatsächlich erleiden. Man kann sich jedoch etwa anhand traumatischer Erfahrungen, die man bei Katastrophen, Unfällen oder in Gewaltsituationen macht, vorstellen, daß jeder Bruchteil der Zeit, die die Todeskandidaten benötigen, um den mit medizinischen Mitteln zugefügten Tod zu erleiden, unendlich qualvoll ist.

Einen Menschen umzubringen ist immer ein Gewaltakt, und dies nach Maßgabe des humanen Strafvollzugs zu tun stellt den obszönen Versuch dar, besondere Grausamkeit besonders wirksam zu vertuschen. Dazu dient die klinische Sterilität der Exekutionsräume, der medizinische Charakter des eingesetzten Geräts, der bürokratische Charakter des Prozederes und die Anwesenheit von Pflegern und Ärzten, die den Venenkatheter legen und den Tod feststellen. Doch gerade die Gegenwart eines Berufsstands, der per Hippokratischem Eid dazu verpflichtet ist, das Leben zu schützen und zu bewahren, kann besonders schmerzvolle Auswirkungen haben. So versuchte eine Krankenschwester am 15. September 2009 zwei Stunden lang vergeblich, bei dem 53jährigen Todeskandidaten Romell Broom eine Vene zu finden. Dabei wurde Broom 18mal auf so brutale Weise von großvolumigen Kanülen verletzt, daß er die Arme kaum mehr bewegen konnte und starke Schmerzen litt. Die Beschwichtigung des Personals, er solle sich entspannen, dürfte den Todeskandidaten nur noch mehr unter Druck gesetzt haben, ging es doch bei dieser Quälerei darum, die Vorbereitung für seine Ermordung zu treffen. Nun wartet Broom nach 25 Jahren in der Todeszelle auf seine Berufungsverhandlung.

Nach 17 Jahren, die die deutschen Brüder LaGrand voneinander getrennt in Einzelhaft im Todestrakt verbracht hatten, mußte Walter LaGrand am 3. März 1999, eine Woche nach der Hinrichtung seines Bruders Karl, mehrere Stunden in der Gaskammer an den Hinrichtungsstuhl gefesselt darauf warten, bis man ihn 18 quälende Minuten lang zu Tode erstickte. Die vorherige Flucht in den Freitod ist kaum möglich, da den Todeskandidaten dieser Ausweg mit allen Mitteln versperrt wird. So versuchte David Martin Long 1999, sich zwei Tage vor dem angesetzten Exekutionstermin seiner Hinrichtung durch einen Selbsttötungsversuch mit Psychopharmaka zu entziehen. Obwohl er auf der Intensivstation lag, lehnte der Oberste Gerichtshof des Staates Texas einen Hinrichtungsaufschub um 30 Tage ab. Um der Gerechtigkeit Genüge zu tun, muß die Rache fristgerecht vollzogen werden, könnte man die Haltung des Gerichts angesichts des Versuchs Longs, dem Staat Texas in den vorzeitigen Tod zu entkommen, auch umschreiben. Da der behandelnde Arzt die Überführung Longs in die zentrale Hinrichtungsstätte in Huntsville als "riskant" bezeichnete, ohne die Frage zu beantworten, worin dieses Risiko bei einem Todgeweihten eigentlich liegen sollte, entschloß man sich, den Todeskandidaten per Flugzeug unter Begleitung eines vollständigen intensivmedizinischen Teams an seinen Hinrichtungsort zu transportieren, damit er dort zu dem vor seinem Selbsttötungsversuch geplanten Termin hingerichtet werden konnte.

Die Ärzte retteten das Leben des Mannes im Selbstverständnis ihres medizinischen Ethos, um ihn dann einem rechtsethisch begründeten Tod zuzuführen. Long bedurfte bis zu seiner Hinrichtung permanenter medizinischer Hilfe sowie künstlicher Beatmung, sonst hätte er nicht bis zu seiner legalen Ermordung überlebt. "Unter normalen Umständen" wäre Long seinem Arzt zufolge noch ein bis zwei Tage auf der Intensivstation geblieben, da der Termin jedoch eingehalten werden sollte, machte man selbige mobil und praktizierte die Intensivpflege bis zu seiner Ermordung durch den Staat Texas am 8. Dezember 1999 per Giftinjektion.

Im Fall der Erschießung Gardners von einer besonders brutalen Hinrichtungsmethode zu sprechen kann also kaum Bestand haben. Ohnehin ist das Ausmaß der Grausamkeit, das Menschen zu erleiden haben, die auf angeblich humane Weise umgebracht werden, von keinem außer ihnen zu ermessen. Für alle an einer Hinrichtung beteiligten Personen interessant ist die Frage nach der eigenen Verantwortung, die sie bei diesem Vorgang tragen. Die von ihnen selbst vor Jahrzehnten begangene Grausamkeit durch die planmäßige Tötung im Staatsauftrag zu vergelten ist das eigentliche Problem, dem man sich mit dem Für und Wider der jeweiligen Mordprozedur in keiner Weise nähert.

Fußnote:

[1] http://www.bild.de/BILD/news/2010/06/10/todeskandidat-ronnie-lee-gardner/winselt-um-gnade-erschiessungskommando.html

19. Juni 2010