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REPRESSION/1391: Sicherheitslabor Love Parade - "Crowd Control" für den sozialen Notstand (SB)



Die Suche nach den Schuldigen für die Toten und Verletzten von Duisburg verengt den Blick auf die Frage der Zuständigkeit, so daß die Frage danach, wieso überhaupt Zehntausende von Menschen in eine von Zäunen und baulichen Hindernissen umgrenzte Fläche manövriert werden, weitgehend unbeachtet bleibt. Der Begründer der Berliner Love Parade, Dr. Motte, gibt zu bedenken: "Ganz wichtig: keine Absperrungen. Bei Veranstaltungen mit Hunderttausenden Menschen darf man die Menschen nicht einpferchen. Die müssen fliehen können, falls Gefahr droht." Wie es im einzelnen dazu kam, daß die Polizei mit Absperrungen versuchte, den Strom der Menschenmassen zu regulieren, ist als Bestandteil der Schadensanalyse wichtig. Daß Großveranstaltungen, zu denen Hunderttausende kommen, in Situationen räumlicher Abgeschlossenheit stattfinden müssen, ist einer Ratio der Kontrolle geschuldet, in der sich letztlich konkretes Herrschaftsinteresse artikuliert.

Abgesehen von den kommerziellen Erwägungen, die etwa im Fall von Fußballstadien hochorganisierte Systeme der Zugangskontrolle und Bewegungslenkung hervorgebracht haben, treten Behörden und Sicherheitskräfte vor allem in Aktion, um das Ausbrechen anarchischer Zustände zu verhindern. Ohne zu sehr auf dem Widerspruch herumzureiten, daß das Motto der Duisburger Veranstaltung "The Art of Love" auch ohne Katastrophe eher die Gleichschaltung verordneten Unterhaltungskonsums denn einen Freiraum menschlicher Kreativität und Zugewandheit meint, springt die Metapher des "Lagers" in Anbetracht der auf einem unwirtlichen ehemaligen Bahnhofsgelände eingepferchten, von außen durch Polizeikräfte gesicherten Menschenmassen ins Auge. Als Chiffre der gesellschaftlichen Organisation unter dem Diktat des permanenten Ausnahmezustands sind darunter nicht nur nach innen stacheldrahtbewehrte Areale zur Isolation widriger Menschengruppen wie Migranten oder Flüchtlinge gemeint. Das "Lager" beschreibt jede strukturelle Zonierung, mit der die administrative Logik staatlicher Verfügungsgewalt aus- und einschließt, selektiert und spaltet, um Herrschaft effizient zu praktizieren.

Auch wenn schon der entfernte Gedanke herrschaftskritischer Art durch das beschwichtigende Lamento eines harmlosen Vergnügens, das sich unversehens in eine Tragödie verwandelte, in Abrede gestellt wird, so sprechen dicht an dicht in einem Tunnel aneinander gedrängte Menschen, die sich nicht weiterbewegen können, eine andere Sprache. Die furchteinflössende Klaustrophobie einer Situation, in der man kaum noch Luft bekommt, von allen Seiten mit anderen Körpern kollidiert und keinen Fluchtraum zur Verfügung hat, dazu ausgehalten von Jugendlichen, die sich teilweise durch den Konsum von Alkohol und Drogen auf das erwartete Vergnügen eingestimmt hatten, könnte auch zu dem Schluß führen, daß die Opferbilanz eher niedrig war. Auch wenn sich die meisten Todesfälle außerhalb des Tunnels ereignet haben sollen, so dürfte das Trauma dieser ohnmächtigen Lage dazu beigetragen haben, daß die Menschen anschließend ohne Rücksicht auf den andern übereinander hertrampelten. Wer diese Enge auch nur einige Minuten erlebt, kann einen Eindruck davon erhalten, wie man Menschen mit stunden- und tagelanger physischer Bewegungseinschränkung foltern kann, ohne daß körperliche Spuren zurückbleiben.

Die Kontrolle von Menschenmassen ist nicht umsonst ein wichtiges Thema repressionstechnischer Forschung. So ist das Thema "crowd control" fester Bestandteil der Aufstandbekämpfung niedriger Intensität, also etwa der Unterdrückung zivilgesellschaftlicher Proteste oder spontaner mangelbedingter Hungeraufstände. Dabei gelangen nicht nur ein großes Arsenal "nichttödlicher" Waffen zum Einsatz, sondern auch eine komplexe operative Logik des Lenkens von Menschenströmen durch mobile Zäune, bauliche Hindernisse oder speziell ausgebildeter Sicherheitskräfte. Die technische und logistische Organisation von Massenveranstaltungen etwa in Fußballstadien, bei denen mit personengebundenen Tickets, deren Käufer biometrisch zu identifizieren sind, mit Videoüberwachung, die einzelne Fans in der Masse mit automatisierter Gesichtserkennung dingfest machen kann, mit Minidrohnen, die Einblicke in die Menschenmassen aus unerwarteten Winkeln gewähren, unterscheidet sich nicht so sehr von Maßnahmen, die in Internierungslagern verwendet werden.

Schon vor der Entwicklung hochwirksamer Techniken der Surveillance eigneten sich Fußballstadien, wie etwa die Internierung von Regimegegnern nach dem Putsch gegen den chilenischen Präsidenten Salvador Allende gezeigt hat, als improvisierte Gefangenenlager. Die Überführung der Flutopfer nach dem Hurrikan Katrina in New Orleans in ein Football-Stadion und ein Kongreßzentrum, wo sie unter bisweilen menschenfeindlichen Bedingungen überleben mußten, erfolgte zwar in den meisten, aber nicht allen Fällen unter Zustimmung der Betroffenen. Das Krisenmanagement im Katastrophengebiet wurde unter anderem mit Söldnern privater Sicherheitsfirmen bestritten, die zuvor im Irak eingesetzt waren. Die Übergänge zwischen Nothilfe und Aufstandsbekämpfung waren durchweg fließend, wie Fälle gezeigt haben, bei denen Menschen mit vorgehaltener Waffe an der Flucht aus oder Helfer am Zugang zu dem Krisengebiet gehindert wurden.

"Die "Loveparade", ein Kind der Freizeitgesellschaft und ein Enkel der Friedensbewegung, ist am Ende. Die Feierfreude ist bei Leuten, die noch vor wenigen Tagen beim "Public viewing" während der Fußball-Weltmeisterschaft den Reiz des Massenhaften genossen, erloschen. Die Menschenmasse ist zu einem Sicherheitsrisiko geworden." [1]

Der Kommentator der FAZ (26.07.2010) erinnert ungewollt daran, daß Menschenmassen von Behörden und Regierungen stets als Sicherheitsrisiko weniger für sich selbst denn die herrschende Ordnung behandelt werden. Demgegenüber werden Strategien der Kontrolle des Raumes in Stellung gebracht, bei denen es zunächst sekundär ist, welches Ziel die jeweilige Bewegungslenkung und -einschränkung hat. Als Kriegsgegner und Antimilitaristen im April 2009 in Strasbourg gegen den NATO-Gipfel demonstrierten, wurden sie fernab des Treffens der Spitzenpolitiker auf ein nur über Brücken zugängliches, dünn bewohntes und ansonsten aus Industriebrachen bestehendes Areal gelenkt. Schon ihre unter massivem Polizeieinsatz erfolgte Isolation in einem Teil des öffentlichen Raums, in dem die Öffentlichkeit fast ausschließlich aus Demonstranten und Polizisten bestand, führte den Sinn einer öffentlichen Demonstration, die zumindest optische Konfrontation mit den Adressaten des Protests, ad absurdum. Dies und die anschließende Absperrung des Gebiets an den wenigen Zu- und Abgängen für mehrere Stunden mit dem Ziel, Verhaftungen vornehmen zu können, ließ eine geradezu militärstrategische Ratio der zivilen Unterdrückung erkennen.

In Duisburg kann die beschworene Harmlosigkeit des Anlasses nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Veranstaltung schon von der konzeptionellen Anlage her repressiven Charakters war. Die vielfach im Vorweg kritisierte Engführung der Menschenmassen hat gezeigt, daß diese nicht erst mit Eintreten des Ernstfalls zum Sicherheitsrisiko wurden, sondern es im Sinne sicherheitsstrategischer Präventivlogik längst waren. Wäre es anders, dann wären die Interessen der Veranstalter etwa am Monopol über den Getränkeverkauf oder die Verhinderung von Schäden im öffentlichen Raum am Einspruch der Polizei gescheitert. Diese hat sich zumindest so weit auf die räumliche Einschließung der Veranstaltung wie der Zu- und Abmarschwege eingelassen, daß sie für die entsprechenden Absperrungen sorgte und diese auch durchsetzte. Mit welcher Intensität dies getan wurde, darüber gibt es unterschiedliche Berichte Betroffer, die allerdings bis zur Androhung des Einsatzes von Schlagstock, Reizgas und Schußwaffe reichen.

Da es sehr viel leichter ist, eine prinzipiell systemkonforme Masse partybegeisterter Jugendlicher unter Kontrolle zu halten als eine größere Menge von Demonstranten, die von nichts anderem ausgehen, als daß sie aufgrund ihres oppositionellen Anliegens mit der Staatsgewalt in Konfrontation geraten, selbst wenn sie dies nicht beabsichtigen, signalisieren die Maßnahmen, mit denen die Raver in Duisburg zum Gegenstand eines rigiden Sicherheitsmanagements wurden, eine härtere Gangart des Staates mit jeder im grundrechtlichen Sinne in Freiheit versammelten Menschenmenge. Auch wenn die Desorganisation von Duisburg keiner gezielt herbeigeführten sicherheitstechnischen Laborsituation geschuldet sein mag, läßt sie sich doch für die weitere Erforschung der Mittel und Methoden der Aufstandsbekämpfung verwerten.

Wie sehr diese in den Augen der Herrschenden not tut, gab im Juni EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bei einem Treffen mit Gewerkschaftsführern kund. Als Grund für seine Warnung, daß die demokratischen Verhältnisse in den von der Wirtschaftskrise besonders schwer betroffenen EU-Staaten Südeuropas möglicherweise beseitigt werden könnten, nannte Barroso unter anderem Militärputsche und Umstürze. Auch in Deutschland mehren sich, wenn auch zunächst in den Zirkeln neokonservativer Vordenker, die Zeichen dafür, daß nicht nur die demokratischen Freiheiten der Bundesbürger, sondern schon deren "freiheitlich-demokratisches" Hybrid aus ideeller Verfassungsrhetorik und neomachiavellistischer Realpolitik zur Disposition neuer Formen des "Durchregierens" stehen könnte. Die Gründe dafür liegen auf der Hand - die sozialen Umbrüche der Krisenbewältigung sind nicht nur vorübergehender Art, sondern das haushaltspolitische Austeritätsregime kündigt einen unumkehrbaren Paradigmenwechsel an. Die Jahre der normativen Egalität sozialstaatlicher Minimalversorgung sind gezählt, in der zusehends von Ressourcenknappheit und Verteilungskämpfen gebeutelten Welt setzt sich immer mehr die sozialdarwinistische Ratio des kapitalistisch vergesellschafteten Naturzwangs durch.

So erwünscht die Herstellung gesellschaftlicher Kohäsion mit Hilfe identitätsstiftender Mega-Events ist, so prekär ist das Risiko, daß der organisierte Frohsinn in anomische Raserei oder gar selbstorganisierten Widerstand umschlägt. Mit der Infragestellung sozialer Sicherheiten schwindet auch die Bereitschaft, sich dem Primat der Eigentumsordnung zu fügen und in der neofeudalen Klassengesellschaft seinen Platz unter den Knechten und Dienern einzunehmen. Selbst im kulturindustriell durchnormierten und bürgerlich befriedeten Ritual des Rave könnte ein Funke unbeherrschbarer Subjektivität glimmen, um so gebotener erscheint es den Herren der Welt, jeden Brandherd ungezügelten Lebens so früh wie möglich auszutreten.

Fußnote:

[1] http://www.faz.net/s/RubAB001F8C99BB43319228DCC26EF52B47/Doc~E781E96EF56054DC0A7AC5BB8CF5925CC~ATpl~Ecommon~Scontent.html

26. Juli 2010