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REPRESSION/1395: Siedlungen zerstört, Roma deportiert ... die Freiheit der Starken (SB)



Über 50 der nach Ankündigung der Regierung in Paris 300 zu räumenden Roma-Lager wurden bereits zerstört. Die ersten Abschiebungen nach Rumänien und Bulgarien, wo die Betroffenen zusätzlich zur rassistischen Unterdrückung bittere Armut erwartet, wurden durchgeführt, weitere Roma werden in nächster Zeit deportiert. Eine an die Judenverfolgung durch den NS-Staat gemahnende Diktion ist durchaus angezeigt, auch wenn die Betroffenen nicht in ein Vernichtungslager transportiert werden. Roma sind eine ethnische Minderheit, die in dieser Eigenschaft von der französischen Regierung stigmatisiert und Zwangsmaßnahmen unterworfen wird. Sie sind darüber hinaus eine von der Vernichtungspolitik des NS direkt betroffene Gruppe, so daß sich die Erinnerung an diese Zeit geradezu aufdrängt.

Französische Kritiker der Vertreibungs- und Abschiebemaßnahme fühlen sich denn auch an die Verfolgungspraktiken des mit den NS-Besatzern kollaborierenden Vichy-Regimes im Zweiten Weltkrieg erinnert. Die von Sarkozy geforderte Aberkennung der französischen Staatsbürgerschaft bei Roma, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, erinnert nicht von ungefähr an die Deportation von Juden aus Frankreich. Nachdem zuerst jüdische Bürger anderer Staaten betroffen waren, schob die Vichy-Regierung auch französische Staatsbürger nach Deutschland ab, von wo aus sie direkt nach Auschwitz transportiert wurden. Als legalistischer Vorwand diente die Bezichtigung, die Betroffenen hätten sich an Attentaten gegen die deutschen Besatzer beteiligt.

Wer nicht Bürger Frankreichs ist, keinen festen Wohnsitz hat und darüber hinaus als Roma identifiziert wird, ist in einer EU, in der Nationalgrenzen angeblich kein Hindernis für die Reisefreiheit mehr darstellen sollen, Freiwild. Das Schicksal der Armut wird mit dem Stigma des Rassismus besiegelt, denn es ist kein Zufall, daß es ausgerechnet diese Minderheit trifft. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy greift gegen eine nomadisierende Lebensform durch, die das wirtschaftskonforme Gebot der Flexibilität und Mobilität auf eine nicht konforme Weise lebt und sich damit außerhalb einer Ordnung stellt, in der das Primat unbedingter Verwertungstauglichkeit gilt. Eines deutlicheren Signals für den Marsch in sozialrassistische Zeiten bedarf es nicht, um vor Nachstellungen gewarnt zu sein, die wie stets zuerst die Schwächsten treffen, um sich dann in die Reihen anderer für überflüssig erklärter Menschen vorzuarbeiten. Der Raum der Freiheit und des Rechts, wie ihn die EU versteht, ist ganz den Interessen der Starken unterworfen.

19. August 2010