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REPRESSION/1468: Fromms letzte Nebelkerze - NSU-Untersuchungsausschuß zahnlos (SB)




Daß sich der Verfassungsschutz jeder ernstzunehmendem parlamentarischen Kontrolle entzieht, liegt in seiner Natur. Vom Inlandsgeheimdienst etwas anderes zu erwarten, als den Fortbestand der herrschenden Verhältnisse mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu betreiben, hieße den symbiotischen Schulterschluß zwischen Staatsgewalt und Kapital mit seiner eigenen Doktrin der demokratischen Gesellschaftsordnung zum Wohle aller zu verwechseln. Das linke Spektrum bis hin zu Abgeordneten der Linkspartei zu überwachen und sich zugleich der neonazistischen Szene ausgiebig zu bedienen ist aus geheimdienstlicher Sicht kein Widerspruch, erfüllt sich in beidem doch das übergeordnete Prinzip der Abwehr realer oder potentieller Gefahren für die uneingeschränkte Verfügung über den Menschen als Brennstoff eines für unanfechtbar erklärten Verwertungsregimes.

Zwangsläufig sah sich der NSU-Untersuchungsausschuß des Bundestags bei der Vernehmung des scheidenden Verfassungsschutzpräsidenten Heinz Fromm und jenes aktenvernichtenden ehemaligen Referatsleiters in der Kölner Zentrale mit seiner eigenen Ohnmacht und mithin der strukturellen Degradierung des Parlaments zu einem Erfüllungsgehilfen bundesrepublikanischer Staatsräson konfrontiert. Nachdem der aus Gründen der Geheimhaltung wie ein nebulöser Schemen an ungenanntem Ort auf- und abtauchende Reißwolf zum maßgeblichen Vorgang der Entsorgung von Belastungsmaterial schlichtweg die Aussage verweigert hatte, konnte sein höchster Vorgesetzter getrost die Farce auf die Spitze treiben, einen "schwerwiegenden Verfall für das Ansehen des Bundesamts für Verfassungsschutz" zu beklagen, "dessen Folgen für die Funktionsfähigkeit des Amtes nicht vorhersehbar sind", und von einer "schweren Niederlage für die deutschen Sicherheitsbehörden" zu fabulieren. [1] Auf diese Weise den Ruf nach einem noch effektiveren Inlandsgeheimdienst und insbesondere einer engeren Zusammenarbeit aller Sicherheitskräfte zu munitionieren, ist das Abschiedsgeschenk Fromms, der sich das Verdienst ans Revers heften kann, als bislang höchstes Bauernopfer seinen unter den mißlichen Umständen bestmöglichen Beitrag dazu geleistet zu haben, die Affäre in einen Glücksfall umzumünzen.

So räumte der Verfassungsschutzpräsident zerknirscht ein, daß die Fahnder bei der Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) irrtümlich Kriminalität als Hintergrund gesehen und keine Bezüge zum Rechtsextremismus festgestellt hätten: "Diese analytische Engführung hat sich als Fehler erwiesen." Die Verantwortlichen für diese Pannen würden auch durch notwendige Aufklärungsarbeiten, Gesetzesänderungen oder personelle Konsequenzen nicht entlastet, und zu diesem Personenkreis zähle er sich selbst. "Ich weiß nicht, ob es dafür irgendwann eine nachvollziehbare Erklärung geben wird." Seine Bitte um Versetzung in den Ruhestand sei dem Umstand geschuldet, daß man in seiner Behörde versucht habe, Fehler zu vertuschen. Er sei von seinen eigenen Mitarbeitern "hinters Licht geführt worden". [2] Das Schreddern der Dokumente könne er nicht nachvollziehen: "Ich habe keine überzeugende Erklärung anzubieten." Verabredet sei gewesen, alte unbenötigte Akten, nach und nach zu vernichten. Der verantwortliche Beamte sei womöglich nach der Devise verfahren, "alte Dinger - Bezüge zum NSU? - Fehlanzeige! Also weg", gab sich Fromm naiv-ahnungslos. Die Mitglieder der Zwickauer Neonazi-Zelle hätten jedenfalls nie als V-Leute gearbeitet: "Nach allem, was ich weiß, kann ich das ausschließen", versicherte Fromm.

Damit nicht genug, durften Mitglieder des Untersuchungsausschusses Einsicht in 45 Ordner mit angeblich wieder rekonstruierten Geheimakten nehmen, die - wie könnte es anders sein - natürlich keine Hinweise darauf enthielten, daß V-Leute der NSU angehörten oder zu ihrem Umfeld zählten. Sollte man von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß zumindest erwarten, sich eine derart unverfrorene Roßtäuscherei nachdrücklich zu verbitten, so bilanzierte der Ausschußvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) in einem Armutszeugnis sondergleichen, "dass das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht als Hort des Datenschutzes betrachtet werden kann". Mit seinem Fazit, "dass die Art und Weise, wie Akten geführt, gespeichert oder gelöscht werden, eher an eine Lotterie als an ein seriöses Prinzip erinnert", beteiligte sich auch Unions-Obmann Clemens Binninger (CDU) nach Kräften an der Verdummungsstrategie, dem Geheimdienst Chaos, Fehler und Pannen anzulasten. SPD-Obfrau Eva Högl rang sich wenigstens zu der flauen Erklärung durch, daß der Verdacht der Vertuschung nicht ausgeräumt worden sei.

So blieb es einmal mehr dem Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele vorbehalten, etwas kräftiger auf den Busch zu klopfen. Er stellte in Frage, daß die Mitglieder des Zwickauer Neonazi-Trios definitiv keine V-Leute des Verfassungsschutzes waren. "Wir haben nur die Akten, die uns vorgelegt wurden, und wir haben Anhaltspunkte dafür, dass es noch mehr V-Leute gegeben haben könnte, die gar nicht in den Akten enthalten sind. Deshalb müssen wir Fragen danach stellen - warum wurden gerade Akten vernichtet nicht etwa von den Leuten, die man werben wollte, wo man vielleicht die Akten nicht mehr brauchte, sondern gerade von denen, die eingesetzt wurden?" [3]

Was Ströbele mit dieser Äußerung eher andeutet als beim Namen nennt, ist der selbst von der deutschen Konzernpresse längst kolportierte Umstand, daß nicht nur die NPD, sondern die gesamte Neonaziszene massiv vom Verfassungsschutz unterwandert ist. Weder läßt sich der NSU auf das bekannte Trio reduzieren, noch blieb dessen Existenz und Morden dem weiteren rechtsgerichteten Umfeld verborgen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich ist sich daher der noch längst nicht gebannten Gefahr wohlbewußt, daß diese Faktenlage am Ende doch noch von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen und entsprechend bewertet wird. Um die Kontrolle über die "Aufklärung" der Neonazi-Affäre zu behalten, hat er in seinem Ressort einen Sonderermittler eingesetzt. Der Unterabteilungsleiter Verfassungsschutz, Hans-Georg Engelke, soll alle Sachverhalte im Zusammenhang mit der "Operation Rennsteig", die der Anwerbung von V-Leuten im "Thüringer Heimatschutz" diente, umfassend aufklären. Man darf gespannt sein, welche Deckel der Bundesinnenminister demonstrativ lüften wird, um das Treiben des Verfassungschutzes am Überkochen zu hindern und den Blick mißtrauisch gewordener Bürger um so nachhaltiger mit weiteren Dampfschwaden zu vernebeln.



Fußnoten:

[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/nsu-untersuchungsausschuss-in-berlin-fromm-gesteht-versagen-seiner-behoerde-ein-1.1402506

[2] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/untersuchungsausschuss-fromm-nennt-neonazi-morde-schwere-niederlage-a-842696.html

[3] http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEBEE86402Y20120705

5. Juli 2012